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Privat in der Öffentlichkeit

Wir beurteilen Menschen oft anhand sehr kurzer Begegnungen oder noch schlimmer, anhand ihrer Online-Präsenz. Ob die Person offen oder verschlossen ist, privat oder doch eher sehr öffentlich. Das ganze Onlinespiel ist jedoch trügerisch. Was heisst es, in der Öffentlichkeit privat zu sein?

Von Sina Schmid

Seit meinem zwölften Lebensjahr bin ich mehr oder weniger aktiv auf Instagram. Das ist enorm früh, wahrscheinlich in Retrospektive zu früh, heutzutage aber Normalität. Zwischenzeitlich hatte ich meinen Account auf der Social Media Plattform gelöscht, bin aber seit einigen Jahren ohne Unterbruch dabei. Alle paar Monate nervt mich das ganze dann zu sehr und ich lösche meine App für einige Tage oder Wochen, mein Account bleibt jedoch online. In den Phasen, in denen ich wirklich aktiv bin, poste ich recht viel. Es macht mir Spass mit anderen zu interagieren, aber am meisten finde ich es selbst lustig, zu posten was ich gern möchte und so meine Erlebnisse zu teilen. Was die meisten meiner Abonennt:innen nicht zu verstehen scheinen ist, dass sie mich nicht kennen. Was heisst es, in der Öffentlichkeit privat zu sein?

Mein Insta ist ein wilder Mix aus Politik, Schrott, lustigen Videos und Bildern von meinen Freund:innen und mir, Fotos aus den Ferien, Umfragen zu soziologischen Themen und sozialen Problemen, Aufklärungsarbeit und Selfies. Besonders wenn ich viel Zeit habe, teile ich Ausschnitte meines Lebens im Internet. Es macht mir einfach Spass. Der Grund: Ich finde mich selbst echt witzig. Ich halte viele Erlebnisse sowieso für mein zukünftiges Ich digital fest, dann kann ich sie auch gleich teilen. Bei politischen oder anderen ernsten Themen geht es mir darum meinen Mund aufzumachen. Ungerechtigkeiten lösen in mir schon seit klein auf eine Frust und Wut aus, dass ich beides einfach irgendwie loswerden muss. Klar, das mache ich auch ganz analog in meinem Umfeld, jedoch ist meine Reichweite digital dann doch grösser, beziehungsweise Mitgeteiltes verbreitet sich schneller.

In letzter Zeit ist mir aufgefallen, dass sich viele Menschen mir anvertrauen, ohne mich zu kennen. Einerseits freut mich das, es zeigt mir, dass ich vertrauenswürdig wirke. Zudem habe ich immer ein offenes Ohr für alle, ich weiss, dass nicht jede:r das Glück hat ein unterstützendes und vertrauenswürdiges Umfeld zu haben, da bin ich gerne Platzhalter und helfe, wo ich kann. Dennoch finde ich es manchmal spannend, dass manche Menschen glauben mich zu kennen.

Klar, ich wirke offen und so als würde es mich nicht jucken was andere von mir denken. Ehrlich gesagt interessieren mich Meinungen Fremder über meine Person meistens sehr wenig, da ich weiss, dass sie einfach zu wenig Informationen haben, um mich legitim zu beurteilen oder zu verurteilen, weshalb ich mit gewissen Erlebnissen noch offener umgehe. Die Meinungen von Fremden interessieren mich nur bei Themen, die ich anspreche, nicht jedoch wenn es um mich als Person geht. Aber genau das veranlasst dann gewisse Personen dazu, sich eine Meinung über meinen Charakter und meine Person zu bilden. Wie kann jemand, der noch nie ein Wort mit mir gewechselt hat, meinen Charakter beurteilen?

Zusätzlich frage ich mich auch, ob allen auch wirklich bewusst ist, wie fake Instagram ist. Oder auch welchen kleinen Anteil der Wirklichkeit beziehungsweise des Lebens die Plattform darstellt. Es wird genau das gezeigt, was die Teilenden auch von sich geben wollen. Das sind so handverlesene Momente und Ausschnitte, sie sind fast nicht der Rede wert. Zudem sagen sie ganz wenig über die Person dahinter aus. Ich persönlich weiss ganz genau was ich wann poste. Es scheint meistens spontan, ist es auch oft, trotzdem poste ich nur das, was ich auch wirklich zeigen will. 

Ich glaube auch, dass durch Instagram die Wahrnehmung Fremder so dermassen gestört wird, dass es mit der Wirklichkeit fast nichts mehr zu tun hat. Beispielsweise bin ich eine sehr private Person. Das würde man mir aber anhand meines Instas im ersten Moment nicht ansehen. Es käme mir nicht in den Sinn, irgendwelche emotionalen Dinge zu posten, wenn es mir schlecht geht oder ich Herzschmerz habe, wenn ich auf jemanden wütend bin, wer gerade mein neuer Crush ist (ausser Butrint Imeri, ihn würde ich immer posten). Meine Meinungen und meinen Weltschmerz, die teile ich gerne.

Aber auch bei meinen Meinungen ist das so eine Sache: öfter stelle ich Fragen als einfach eine Meinung rauszuhauen. Klar, bei News zu aktuellen Geschehnissen die ich einfach teile kristallisiert sich schnell eine Meinung heraus, bei anderen Umfragen jedoch halte ich mich im Hintergrund. Online weiss niemand mit wem ich es neben meinen Girls zu tun habe, die Mädels sind fast so präsent auf meinem Insta wie ich selbst. Es weiss auch fast niemand, wo ich arbeite, was meine Pläne für die Zukunft sind und auch sonst weiss man eigentlich nicht so viel über die wirklich persönlichen Dinge in meinem Leben. Das ist gut so. Das gehört meiner Meinung nach auch nicht auf Social Media, ausser jemand ist Influencer und das Teilen des Lebens gehört zum Beruf. Ist jedoch hier bekanntlich nicht der Fall. 

Wer sich dann eine Meinung zu mir bildet, hat einfach zu wenig Infos um eine ernstzunehmende Kritik zu äussern, was für mich in dem Moment dann der Grund ist, mich ganz klar von Meinungen Fremder über mich zu distanzieren. 

Ich habe neulich meine gute Freundin Zoe gefragt, was sie denkt, wie viel ich von meiner Persönlichkeit auf meinen vielen Stories preisgebe. Sie meinte “maximal 20%”. Auch das ist zu viel, es ist wahrscheinlich viel weniger. Ich will nicht, dass man mich mit diesem Text missversteht. Ich bin auch im richtigen Leben sehr privat und eher verschlossen, was Emotionales und halt «Privates» betrifft. Mit meinem (guten, sarkastischen) Humor kann ich das on- und offline super überspielen, was mir auch gut gefällt. Mit diesem Text möchte ich eher darauf hinweisen, dass man niemanden kennt, dem man nur online begegnet ist. Das ist nicht schlimm, wenn man sich dem auch wirklich bewusst ist. 

Fazit: Vorsicht vor schnellen Be- und Verurteilung Fremder, besonders auf Social Media. 

23. August 2021

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