Wenn man bedenkt, dass circa 2 Milliarden Menschen auf der Erde menstruieren, lässt sich schätzen, dass weltweit über 100 Millionen Liter Periodenblut im Müll und im Abwasser landen – und das jeden Monat. Für viele gehört es da leider auch hin, da es immer noch mit Ekel und Scham verbunden wird. Doch was, wenn das bisher verschwendete Blut für die Wundheilung oder bestimmte Krankheiten genutzt werden kann? Ist unser scheinbares Abfallprodukt doch wertvolle Flüssigkeit und es braucht nicht nur mehr Forschung dazu, sondern gleich noch einen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft? Sieht ganz danach aus.
Doch was ist an Periodenblut anders als an unserem «normalen» Blut? Der Unterschied in der Zusammensetzung ist klein, aber fein. Unser sogenanntes systemisches Blut besteht hauptsächlich aus roten und weissen Blutkörperchen, Plasma sowie Blutplättchen. Periodenblut enthält zusätzlich Gewebe des Endometriums, also von der Gebärmutterschleimhaut. Denn jeden Monat durchläuft der weibliche Körper einen bemerkenswerten Erneuerungsprozess: Wird die Eizelle nicht befruchtet, stösst der Körper diese zusammen mit der Gebärmutterschleimhaut ab, wodurch eine Art Wunde entsteht. Doch diese «Wunde» heilt auf aussergewöhnliche Weise und bereitet sich darauf vor, neues Leben zu empfangen. Dieses einzigartige Regenerationsvermögen, das im menschlichen Körper sonst nur schwer zu finden ist, ähnelt dem der Seesterne, die bei Verlust eines Arms diesen wieder nachwachsen lassen können. Diese Zellregeneration könnte potenziell neue therapeutische Anwendungsmöglichkeiten eröffnen.
Wundheilung durch Periodenblut: Die Studie, die Aufmerksamkeit erregte
Ein Forscherteam von der University of Adelaide in Australien kam anhand solcher Überlegungen bereits auf eine Idee: 2017 veröffentlichten sie eine Studie, die den Einsatz von Periodenblutplasma als Behandlung für Wundheilung untersuchte. Zuerst züchteten sie eine Zellschicht aus menschlicher Haut in einer Petrischale und fügten dann gezielt Löcher in die Schicht, um sie mit Periodenblutplasma zu befüllen. Bei den ersten Versuchen nahmen sie das Ergebnis noch mit Skepsis auf – als sie einen Tag später zurückkehrten, waren die Löcher verschwunden. Der Vergleich mit normalem venösem Blutplasma zeigte bemerkenswerte Ergebnisse: Während die Wunden mit venösem Blutplasma nur zu 40% verheilt waren, heilten die mit Periodenblutplasma behandelten Wunden zu 100%. Weitere Tests mit überschüssiger Haut aus Schönheitsoperationen bestätigten die Ergebnisse – Periodenblut beschleunigte sogar die Heilung. Könnte dies die Wundheilung revolutionieren? Könnte es für Brandopfer oder Diabetiker, die unter langsamer Wundheilung leiden, von Nutzen sein? Es klingt vielversprechend, doch es gibt ein erhebliches Risiko: die Möglichkeit, dass Viren oder Bakterien von einer Person zur anderen übertragen werden. Trotzdem erkannten die Forscherinnen, dass Periodenblut eine hohe Konzentration an Proteinen enthält, die unser systemisches Blut nicht aufweist – und das könnte der Schlüssel zur revolutionären Heilung sein.
Die Studie sorgte für Aufsehen, da sie die Möglichkeit eröffnete, dass Periodenblut, welches in der Vergangenheit weitgehend ignoriert wurde, wertvolle biologische Eigenschaften aufweist, die in der Medizin genutzt werden könnten. Weitere Untersuchungen und Tests sind jedoch nötig, um die Sicherheit und Wirksamkeit dieser Methode zu bestätigen.
Bedeutende Eigenschaften von Periodenblut und Potenziale für Heilung
Menstruationsstammzellen besitzen Eigenschaften, die sie für medizinische Anwendungen vielversprechend machen: Sie können sich in verschiedene Zelltypen verwandeln, haben eine hohe Vermehrungsrate und lassen sich nicht-invasiv und schmerzfrei aus Menstruationsblut gewinnen. Ihre regelmässige Verfügbarkeit macht sie zu einer praktischen Quelle im Vergleich zu Knochenmark- oder embryonalen Stammzellen. Ein wichtiger Anwendungsbereich ist die Diagnostik von Gebärmutterhalskrebs. In Ländern wie Thailand, in denen gynäkologische Vorsorge aufgrund kultureller Barrieren und unangenehmer, invasiver Untersuchungen eingeschränkt ist, könnte Menstruationsblut eine weniger belastende Alternative bieten. Zudem könnte die Nutzung von Periodenblut zur Diagnose von Krankheiten wie Endometriose oder Myomen Millionen von Frauen teure und schmerzhafte Untersuchungen ersparen. Es gibt bereits Hinweise, dass Veränderungen der Gebärmutterzellen im Menstruationsblut bei Endometriose-Patientinnen erkennbar sind – ein potenzieller Durchbruch für die Diagnostik.
Die Potenziale dieser Stammzellen sind bemerkenswert: Eine Studie zeigte, dass Stammzellen aus Periodenblut ähnliche regenerative Fähigkeiten wie die aus der Nabelschnur besitzen und sogar Symptome der Multiplen Sklerose bei Mäusen lindern können. Ein weiteres vielversprechendes Anwendungsgebiet ist die Behandlung von Volkskrankheiten wie Arthrose. Hier könnten Periodenstammzellen direkt in betroffene Gelenke injiziert werden, um das Gewebe zu reparieren, wobei an genetischen Veränderungen gearbeitet wird, um ihre Lebensdauer zu verlängern und ihre therapeutische Wirkung zu verbessern. Ein internationales Forscherteam hat zudem 385 Proteine im Periodenblut identifiziert, die zur Wundheilung beitragen. Ihr Ziel ist es, diese Proteine für die medizinische Anwendung nachzubilden, um die Heilung zu unterstützen. In den letzten Jahren entdeckten Wissenschaftlerinnen auch mesenchymale Stammzellen im Periodenblut, die in der regenerativen Medizin zur Reparatur von Knochen, Knorpeln und Gewebe eingesetzt werden könnten. Der Vorteil der Gewinnung aus Menstruationsblut liegt in der schmerzfreien, nicht-invasiven und einfachen Entnahme.
Ein weiteres konkretes Beispiel für die klinische Nutzung von Periodenblut ist ein von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde zugelassener Test, der es ermöglicht, Gesundheitsmarker wie den Blutzuckerspiegel aus Periodenblut zu messen. Biotechnologie-Unternehmen arbeiten auch an der Nutzung dieser Zellen für die Behandlung von Schlaganfällen und Autoimmunerkrankungen. Trotz wachsendem Interesse gibt es jedoch noch Herausforderungen: Unwissenheit, Vorurteile, fehlende Infrastruktur zur Sammlung und Verarbeitung sowie regulatorische Hürden, die eine breitere Nutzung erschweren.
Geschlechterbias und Tabus: Wie gesellschaftliche Barrieren die Wissenschaft behindern
Es ist absurd, dass die Auseinandersetzung mit Menstruationsblut in der Forschung relativ neu ist – dabei ist der monatliche Zyklus genauso alt wie die Menschheit selbst. Die Frage, ob nicht Menstruationsblut als Ressource für die Gesundheitsvorsorge dienen könnte, stellte vor rund zehn Jahren natürlich eine Frau. Für Männer gehört die Periode eben nicht zum alltäglichen Leben, wodurch sie gar nicht oder wenig darüber nachdenken und keine Fragen dazu stellen. Da Periodenblut erst vor ebenso kurzer Zeit als klinisch wertvoll angesehen wurde, gibt es noch sehr wenig wissenschaftliche Daten dazu. Während beispielsweise in den 2010er-Jahren rund 15’000 wissenschaftliche Arbeiten zu Sperma veröffentlicht wurden, gab es nur etwa 400 Veröffentlichungen zum Thema Menstruationsflüssigkeit.
Ein wesentlicher Grund dafür liegt in kulturellen und gesellschaftlichen Tabus. Die Menstruation wurde historisch oft als ungewöhnlich, unrein oder sogar schändlich betrachtet. Im 19. Jahrhundert galt sie als krankhafter Zustand, und der weibliche Körper wurde als minderwertig angesehen. In vielen Ländern brechen Mädchen ihre Ausbildung ab, weil es an Hygieneprodukten fehlt oder sie während ihrer Periode als «unrein» gelten. Auch religiöse Vorschriften tragen zur Stigmatisierung bei – etwa dürfen Musliminnen während ihrer Periode nicht beten, in einigen hinduistischen Regionen dürfen sie keine Tempel betreten und in buddhistischen Kulturen ist ihre Teilnahme an Hochzeiten oft untersagt. Diese historische Stigmatisierung spiegelt sich auch in der medizinischen Forschung wider, in der Frauen lange Zeit als Ausnahme betrachtet wurden. Erst in den letzten 30 Jahren wurden sie zunehmend in klinische Studien einbezogen. Dennoch bleibt die Forschung zu frauenspezifischen Krankheiten weitgehend unterfinanziert – nur 2-4% der Forschungsgelder fliessen in Themen wie Geburt, Schwangerschaft und gynäkologische Gesundheit.
Periodenblut als Ressource voller Hoffnung für die Zukunft der regenerativen Medizin
Weltweit arbeiten Forschende und Start-ups nun daran, weitere Biomarker im Menstruationsblut zu identifizieren. Mit Tampons und Binden lässt sich das Blut relativ einfach in Labore transportieren, um es auf verschiedene Krankheiten zu untersuchen. Wir stehen erst am Anfang dessen, was möglich ist.
Trotzdem gibt es immer noch viele gesundheitliche Probleme von Frauen, über die wenig Wissen vorhanden ist. Doch immerhin sind wir schon so weit, dass immer mehr Frauen offen über ihre Beschwerden und Symptome sprechen und der Zyklus bei der Ernährung oder beim Sport Beachtung findet. Jetzt muss der längst überfällige Paradigmenwechsel nur noch komplett in der Forschungsmedizin ankommen, um globale Gesundheitsprobleme durch das Potenzial unserer eigenen Biologie zu lösen.
Wenn alte Tabus also endgültig fallen und die Forschung weiter gefördert wird, könnte Menstruationsblut in Zukunft eine revolutionäre Rolle in der regenerativen Medizin spielen. Derzeit bleiben noch viele Fragen unbeantwortet, doch als Einzelne können wir zumindest weiterhin einen wichtigen Beitrag leisten, indem wir zur Enttabuisierung dieses Themas beitragen.
04. April 2025