Bereits vor vier Jahren startete die ECAL-Absolventin Pauline Jeanbourquin mit der Recherche für einen Dokumentarfilm über die «Faiseur de secret»-Gabe, die in ihrer Heimat dem Jura weitverbreitet ist. Wer die Gabe besitzt oder weitergegeben bekommt, soll mittels Formeln eine Vielzahl an Beschwerden, Krankheiten oder Verletzungen lindern oder gar heilen können. So auch die 17-jährige Hauptprotagonistin in «Feu Feu Feu» Juliette. Sie hat die aussergewöhnliche Gabe von ihrer Grossmutter weitergegeben bekommen. Juliette praktiziert diese jedoch nicht nur, sondern teilt sie auch tagtäglich mit ihren Tausenden Abonnent:innen auf TikTok. Auf diesem Weg stiess die Filmemacherin auf die charismatische junge Frau. Die «Faiseur de secret»-Gabe dient zwar als Aufhänger des Films, jedoch enthüllt «Feu Feu Feu» schnell zahlreiche Facetten. Pauline Jeanbourquin war es wichtig, vor allem das Leben dieser Menschen hinter der ganzen «Magie» zu zeigen.
Produziert wurde «Feu Feu Feu» von der renommierten Genfer Produktionsfirma «Close Up Films». Produzentin Flavia Zanon war von Anfang an begeistert von Pauline Jeanbourquins Vorhaben und ihrer Art und Weise, wie sie Geschichten der Gen Z erzählen möchte.
Wir haben uns am Vision du Réel mit der jungen Regisseurin unterhalten.
Pauline, wie bist du dazu gekommen, diesen Film zu drehen?
Pauline: Bereits vor vier Jahren habe ich damit begonnen, über einen Film, der die «Faiseur de secret»- Gabe thematisiert, nachzudenken. Im Jura, wo ich herkomme, ist sie sehr verbreitet. Ich wollte aber nicht nur das Thema beleuchten, sondern vor allem das Leben der Menschen hinter dieser Gabe. Mir war es wichtig, keine ältere Person zu porträtieren, sondern zu zeigen, wie die neue Generation mit diesem historischen Erbe umgeht. Ich fand damals eine potenzielle Protagonistin. Sie war 15. Ihr Grossvater wollte ihr seine Gabe weitergeben. Der Plan war, dass ich sie fünf Jahre lang filme. Nachdem wir bereits fast drei Jahre gefilmt hatten, entschied sie, dass sie seine Gabe nicht annehmen wollte. Diese Jahre waren ein gutes Learning für mich. Per Zufall stiess ich kurz danach auf dieses Mädchen auf Tiktok – bis dahin hatte ich dieses Thema noch nie auf Tiktok gesehen. Das fand ich spannend. Also kontaktierte ich Juliette und sie sagte zu. Danach ging alles sehr schnell. Juliette informierte mich über dieses bevorstehende Sommercamp. Ich rief meine Produzentin an, erzählte ihr davon und sie fand es eine geniale Idee.
Das Setting ist tatsächlich perfekt – ich musste mich während der Visionierung immer wieder daran erinnern, dass ich einen Dokumentarfilm schaue.
Als ich von Juliettes Ferienplänen hörte, dachte ich dasselbe. Eine Hexe im Kloster – grossartig, öffnet aber auch ein Spannungsfeld. Deshalb wollte ich nicht werten und möglichst neutral bleiben. Ich möchte auch allen, die den Film schauen, überlassen, was sie über die verschiedenen Thematiken denken. Die Szene mit Juliette und der Nonne zum Beispiel ist sehr eindrücklich, weil sie beide an etwas glauben. Auch wenn die Dinge, woran sie glauben, sehr unterschiedlich sind, ist es spannend, weil beide einfach starke Frauen mit einer starken Überzeugung sind. Katholizismus ist natürlich alles andere als feministisch, aber auch da wollte ich nicht werten.
Denkst du, «Feu Feu Feu» ist ein feministisches Werk?
Ja, definitiv. Die ganze Geschichte der «Faiseur de secret»-Gabe und des Hexentums ist ein höchst feministisches Thema. Zudem gibt es im Film diese verschiedenen Charaktere. Der, der sich am meisten öffnet, ist ein Mann. Und es sind drei alte Frauen, die Juliette auf ihrem Weg begleiten: Ihre Grossmutter, die Nonne und zum Schluss die Hebamme. Zudem waren wir auch sehr viele Frauen, die hinter der Kamera mitgearbeitet haben. Ich denke also, der Film hat viele feministische Aspekte.
Um die Gruppendynamik im Camp nicht zu stören, musstest du ein gutes Verhältnis zu Juliette aufbauen. Wie hast du das gemacht?
Wir haben viel Zeit zusammen verbracht. Sie erzählte mir einiges und legte mir die Karten. Für mich war es sehr wichtig, wenn ich so tief in ihr Leben eintauche, auch viel von mir zu teilen. Ich wollte mit ihr auf Augenhöhe sein. Irgendwann fühlte ich mich ein wenig wie ihre grosse Schwester. Ich verfügte zum Zeitpunkt der Reise also bereits über viel Vorwissen. Ich konnte dadurch abschätzen, welche Art von Gesprächen stattfinden würden und wie die Dynamik sein würde.
Habt ihr also genaue Momente beziehungsweise Szenarien bestimmt, in denen gefilmt wird?
Ja, denn wir waren ja irgendwie Teil der Gruppe. Das ganze Team war sehr jung, das erleichterte das Eintauchen und Integrieren in ihre Welt. Wir interagierten viel mit ihnen. Liessen ihnen aber auch ihren Raum und ihre Zeit. Wir mussten sehr sorgfältig sein, um die Atmosphäre und ihre Ferien nicht zu stören. Wir bestimmten alle gemeinsam, wann wir filmten und wann nicht. Ich fragte auch oft nach, ob es ihnen zu viel ist oder unangenehm. Wir filmten zum Beispiel fast nur Abends, wenn die Stimmung sowieso ausgelassener war und auch das Licht schöner.
Die Dialoge im Film interessieren mich. Manchmal wirken sie inszeniert.
Ich plante natürlich, was ich filmen wollte. Ich wählte die Orte dafür und fragte, ob man an bestimmten Orten über bestimmte Themen sprechen konnte. Ich sagte ihnen aber nicht, was sie genau sagen sollten. Ich wusste, was ich erzählen wollte und welche Bilder ich dafür brauchte. Ich hatte schliesslich nur zwei Wochen Zeit.
Wie bereits erwähnt, gibt es in diesem Film viele verschiedene Aspekte und Thematiken: Religion, Glaube, Feminismus, Erwachsenwerden, Social Media – was war die Hauptmessage, die du mit «Feu Feu Feu» senden wolltest?
Zu Beginn wollte ich einfach einen Film über die «Faiseur de Secret»-Gabe drehen, mit der Hauptmessage, dass du ein normales Mädchen sein, aber gleichzeitig etwas Magisches haben kannst. Und es nicht heisst, dass du ein Freak bist, wenn du so eine Gabe bekommen hast. Wenn ich den Film jetzt anschaue, dann habe ich das Gefühl, dass «Feu Feu Feu» auch von Hoffnung im Leben erzählt, davon, an etwas zu glauben, das dem Leben Sinn gibt. Und es ist eine Art Generationenporträt geworden.
Der Film ist sehr wohlwollend. Es wird kaum Negativität oder Skepsis gegenüber der «Faiseur de secret»-Gabe sichtbar gemacht. Was war der Grund für diese Entscheidung?
Es gab keine Negativität. Und wenn es sie gab, dann habe ich sie nicht mitgekriegt. Juliette macht ihr Ding und schert sich nicht so darum, was andere Menschen sagen. Das fand ich toll. Ich mag meine Protagonist:innen sehr und wollte, dass das auch die Menschen tun, die den Film schauen.
15. Mai 2024
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