Wie können fragmentierte Erinnerungen an eine abwesende Person durch Objekte eine neue Form der Präsenz erlangen? Liza Raheems Kurzfilm «HEROINE – NECESSARY OBJECTS» bewegt sich als sensibles, zugleich kühl und warm inszeniertes 13-minütiges Porträt einer verstorbenen Person an der Schnittstelle von persönlicher Reflexion und universellen Fragestellungen zu Verlust, Erinnerung und Vergänglichkeit. Mit beeindruckender Präzision und emotionaler Tiefe nähert sich die junge Filmemacherin dem schwierigen Terrain der Trauerarbeit, indem sie die Verbindung zwischen materiellen Dingen und immateriellen Erinnerungen erkundet.
Der Film, ausgezeichnet mit einer Special Mention bei den Internationalen Kurzfilmtagen Winterthur 2024, überzeugt durch raffinierte Bild- und Klangwelten und macht die Grenzen zwischen Abwesenheit und Dasein, zwischen Persönlichem und Kollektivem, spürbar. In unserem Gespräch wollen wir den kreativen Prozess hinter diesem Werk und die vielschichtigen Herausforderungen bei der Darstellung einer verstorbenen Person im dokumentarischen Format ergründen. Was für eine Verantwortung trägt eine Filmemacherin, wenn sie das Leben einer abwesenden Person porträtiert? Welche narrative Kraft besitzen persönliche Objekte, wenn es darum geht, Geschichten von Verlust und Verbundenheit zu erzählen? Ein Austausch.
Aus deiner Perspektive als Regisseurin: Von was handelt der Kurzfilm «HEROINE – NECESSARY OBJECTS»?
Liza: Dieser Film befasst sich mit verschiedenen Themen. Einerseits erforscht er, was passiert, wenn Erinnerungen auf Gegenstände treffen. Gleichzeitig geht es um meine Beziehung zu meiner Schwester, um Vergänglichkeit und den individuellen Umgang mit Trauer.
Was bedeutet für dich die Idee einer Welt, in der auch Abwesende präsent sein dürfen?
Trauer lähmt und gibt einem manchmal das Gefühl, vergessen zu wollen. Dieser Film ermöglichte mir eine tiefe Auseinandersetzung mit meiner Schwester, ihrer Person und ihren Gegenständen. Mir war es möglich, die Erinnerung an sie in einer künstlerischen Arbeit aufleben zu lassen, die eine Hommage an sie sein soll. Ich wollte einen Raum schaffen, in dem eine Person spürbar wird, die es nicht mehr gibt. Es ging mir darum, dass nicht der Schmerz oder die Scham über den Tod im Vordergrund stehen, sondern ihre Person, unsere Verbindung und die Fragen, die ich mir nach ihrem Tod und auch heute noch stelle.
Der Kurzfilm wagt einen Balanceakt zwischen einer persönlichen Familiengeschichte und universellen Themen wie Verlust und Erinnerung. Was möchtest du, dass das Publikum aus deinem Film mitnimmt?
Es ist extrem schön, die Resonanz und Verbundenheit mit den Zuschauenden zu spüren. Vor allem, wenn sie ihre eigenen Geschichten der Trauer und Verluste mit mir teilen. Aber ich habe diesen Film in erster Linie für meine Schwester, unsere Mutter und mich selbst gemacht. Für unser Weiterkommen in der Trauerarbeit. Deshalb war es mir auch wichtig, die Widmung am Ende des Films einzubauen. Was die Zuschauenden aus diesem Film mitnehmen, ist extrem unterschiedlich.
Die Verarbeitung von Trauer scheint mir in der moderneren Filmgeschichte oftmals nur ein Nebenstrang der Handlung zu sein. Gibt es filmische Referenzen, die dich bei der Konzeption inspiriert haben?
Eine filmische Referenz hatte ich nicht. Aber ich habe einige Bücher gelesen, die mich inspiriert haben, wie zum Beispiel «Die Zeit der Verluste» von Daniel Schreiber, in dem es um das Verarbeiten von individuellem, aber auch kollektivem Verlust geht.
Warum hast du dich für das Dokumentarformat entschieden, und gab es dabei Momente, die schwer darzustellen waren?
Ich liebe die Spontanität, die Dokumentarfilme mit sich bringen. Man muss immer offen sein für Zufälle, die sich vielleicht erst später in der Montage als Geschenk herausstellen. Wir hatten ein paar solche Momente. Wie zum Beispiel das Entdecken des «necessary objects»-Etiketts an der Bluse. Die Bluse ist über 30 Jahre alt und ist zu einem essenziellen Gegenstand in meinem Kleiderschrank geworden. Als ich bemerkt habe, dass der Brand «necessary objects» heisst, wusste ich sofort, dass ich den Namen in den Titel einfliessen lassen möchte. Zu Beginn stellte sich mir die Frage, wie ich die Geschichte einer verstorbenen Person erzählen kann. Vor allem im Dokumentarfilm trägt man meiner Meinung nach als Regieperson eine enorme Verantwortung den Protagonist:innen gegenüber. Wie lässt man sie ihre Geschichte erzählen? Wie werden sie gezeigt? Zu Beginn machte es mir grosse Mühe, dass mir dieser Austausch verwehrt blieb. Ich finde aber nach Fertigstellung des Films, dass es mir und dem gesamten Team gelungen ist, mit grosser Sensibilität diese Geschichte zu erzählen, die Zuschauenden nah heranzulassen und trotzdem die Anonymität ihrer Person zu wahren. Zum Beispiel, indem wir ihr Gesicht nicht zeigen.
Welche Themen oder Ansätze willst du in zukünftigen Projekten als Filmschaffende weiter erkunden?
Ich bin sehr offen, was mein zukünftiges Schaffen angeht. Langsam finde ich meine Filmsprache und freue mich, diese auszuarbeiten. Der Brückenschlag zwischen fiktivem und dokumentarischem Schaffen interessiert mich sehr, und ich bin neugierig, auch einmal eine ganz andere Herangehensweise zu erforschen und umzusetzen.
World Premiere: November 2024
Original Version: Swiss-German (English subtitles), colour, DCP, 13 min.
ISAN: 0000-0007-2562-0000-A-0000-0000-7
Production: HSLU Studienbereich Video Hochschule Luzern – Design Film Kunst, SRF Schweizer Radio und Fernsehen
Producer: Volko Kamensky, Urs Augstburger
Directed and written by: Liza Raheem
Cinematography: Dschamila Hirsiger
Editing: Sarah Marie Benathan
Location Sound Mix / Sound Design: Noah Brun
Re-Recording Mix: Hans Peter Gutjahr
Music: Gaudenz Niggli
28. November 2024