«Zollfreilager» behandelt in reflektierenden und künsterisch-experimentellen Formaten Themen rund um Kultur, Kunst und Migration. Zu den Beitragenden gehören Studierende und Dozierende des Master Kulturpublizistik der Zürcher Hochschule der Künste sowie verschiedene Gastautor:innen aus allen Kontinenten und Disziplinen. Aus der aktuellsten Ausgabe des Internetmagazins, die den Titel «nass» trägt, werden auserwählte Beiträge im August parallel auf akut publiziert. Wer nicht warten kann bis dahin, kann die komplette Ausgabe bereits hier lesen.
Let’s dive in…
Nass. Vollgesogen, triefend, durchtränkt, feucht, klamm,
glitschig, schwammig, juicy, wässrig, benetzt, klebrig, schleimig,
humid, diesig, erfrischend, perlend..
Wir alle sind angewiesen auf Flüssigkeit, die uns den Rachen hinunterrinnt, auf unserer Haut perlt, unsere Augen in einem Meer schwimmen lässt. Nass, das brauchen wir alle. Auf verschiedene Arten und Weisen machen wir uns alle nass – aus Angst, aus Mut, aus Verzweiflung. Es bringt uns in Bewegung, bahnt sich durch unsere Körper, erhält uns am Leben. Ein kostbares Gut, etwas scheinbar Selbstverständliches – bis wir in der Dürre ausharren müssen. Deshalb begibt sich die Zollfreilager-Redaktion ins feuchte Blau.
Kostproben
«Denken Sie einfach an etwas Schönes», meint die Zahnärztin und mein Mund füllt sich mit Flüssigkeit, die von einem Schlauch regelmässig abgepumpt wird. Als ich die Vibration des Bohrers spüre, sich ein Druck über Kiefer und Schädel ausbreitet, schliesse ich die Augen und denke an den Sommer: Wie ich auf dem Holzsteg am Ufer liege, aufs vorbeiziehende Wasser blicke und plötzlich so viel Zeit habe.
Von Susanna Bosch aus «Über die Wertigkeit der Zeit»
Weibliche* und männliche Körper schwitzen gleich viel, sagt die Forschung. Über die Menge an Schweiss, mit denen sie sich abkühlen, entscheidet das Verhältnis von Gewicht zu Hautoberfläche, nicht das Geschlecht. Gleich viel, aber trotzdem anders. Wenn ich die Augen schliesse und an schwitzende Männer denke, sehe ich Szenen aus Kriegsfilmen vor mir, Männer beim Training. Sportlich animalisch. Ich kenne den Geruch von Männerschweiss, er ist omnipräsent, wird einem ständig zugemutet. Bei Frauen*schweiss denke ich an Wechseljahre oder an Sex, ein salziges Rinnsal zwischen zwei Brüsten. Ende der Liste meiner Assoziationen. Kenne ich den Schweissgeruch anderer Frauen*?
Von Marie Duchêne aus «Im Saftladen – humoris feminini»
Damals gab es Winter, die waren noch kalt. Wir hatten wochenlang Zeit, um Schneemänner zu bauen und sie dann wieder umzutreten. Wir schlittelten über selbstgebaute Schanzen und machten so viele Schneeengel, dass wir sie nicht mehr zählen konnten. Wenn es mal richtig kalt war, konnten wir rund um die Klosterinsel, wo der Fluss fast stillsteht, über das Wasser gehen. Diese Zeiten, wo der Rhein zufror, waren unwahrscheinlich. Unwahrscheinlich toll. Doch der Rhein ist schon lange nicht mehr gefroren.
Von Cindy Ziegler aus «Rhein-Zeitreisen»
Da ist etwas an diesem Regenmantel, das mich unruhig macht, irgendwas daran stinkt so bestialisch nach Geheimnis. Ich habe Lust, das alles so richtig nass zu machen, das alles so richtig zu durchtränken, einzuweichen, aufzulösen.
Von Anja Jeitner aus «Sich nass machen»