Dieser Beitrag wurde von Janica Madjar verfasst und ist Teil der aktuellen Ausgabe «nass» des Internetmagazins «Zollfreilager».
Meine Hände streichen über die Köpfe starrer Ufergräser, sie sind Säbel und rauen meine Handflächen auf. Der Hund bleibt mit der Nase an Unsichtbarem hängen und richtet sein Hinterteil aus. Ich schaue ihm jeden Tag beim Scheissen zu. Ich hebe seine warme Scheisse auf mit einer zarten, schwarzen Plastiktüte, die sich nur sehr ungern öffnen lässt. Ich weiss viel über die Ausscheidung meines Hundes. Ein Tier haben bedeutet, sich obsessiv mit der Konsistenz seines Stuhlgangs zu beschäftigen. Flüssig ist eher schlecht, genau wie bei dir, genau wie bei Kindern, aber davon habe ich wirklich keine Ahnung. Du hast mir mal erzählt, dass du dir wünschst, dein Vater würde sich genauso sehr für dich wie für den Stuhlgang seines Hundes interessieren. Er ist einer dieser Männer, die sich über eine harte Kackwurst von Bello freuen, ja ganz toll gemacht, guter Bub Bello, braver Bub. Dein Vater hat dich als Kind nie gewickelt.
Der Hund und ich verbringen viel schöne Zeit zusammen. Wenn er den Kopf schief legt und mich mit seinen eindringlichen Pfannkuchenaugen anschaut, oder wie er meinen Atem beruhigt, wenn ich ihm beim Schlafen zusehe, zusammengerollt wie ein schwedisches Gebäck mit süsser Füllung. Der Hund verschwindet im Waldstück und sucht nach seinem eingeschlafenen Jagdtrieb. Ich rufe ihn zurück zu mir. Leider kreuzt sein Weg deine Joggingroute.
Nimm den verdammten Köter an die Leine, Hundeschule würd dir guttun.
Achso, vorbei also mit dem Frieden. Ich rufe dir ein sorry zu. Du schiesst an uns vorbei und erwiderst, dass du dir von meiner Entschuldigung auch nichts kaufen kannst.
Du rennst weiter und hast uns nach der Kurve schon wieder vergessen. In mir hingegen wird unsere Begegnung noch Wochen nachhallen. Ich werde mir (mehrmals) von allen meinen Freund*innen bestätigen lassen, dass ich mich selbst fehlleite. Scheiss doch auf die, sagen sie im Kanon. Und ich werde das unangenehme Gefühl von unserem Zusammentreffen natürlich trotzdem fürsorglich in mein Oberstübchen einbrennen. Im Dunst der Synapsen nach ähnlichen Erlebnissen suchen und sie dann, in ruhigen Momenten, nochmal detailgetreu durchleben.
Pisser, sagt der Hund und pisst an den nächsten Busch. Ich hatte seit längerem erwartet, dass er zu sprechen beginnt. Scheiss auf die. Seit wir zusammen unterwegs sind, häufen sich solche Erlebnisse. Ich bin das perfekte Auffangbecken all deiner Wut, deines Frustes. Ich bin eine junge Frau mit einem kleinen Hund. Schlimmer noch, ich nehme mir Raum. Ich dringe ein in deine Naherholung am Fluss. Ich tue so, als übte ich mich in abgefuckter Gelassenheit. Ich bin die dir längst verlorengegangene Vernunft. Ich bin kein tätowierter Typ mit Pitbull. Um mich macht niemand einen Bogen.
Durch mich gehst du direkt hindurch.
Es hat seit Wochen nicht geregnet. Jetzt schiesst das Wasser wie aus Feuerwehrschläuchen, es ist, als liefen der Hund und ich durch eine Filmszenerie. Deine Silhouette verwischt in der Ferne. Ich sehe dich nur aus dem Augenwinkel, der Hund fletscht die Zähne. Ich drehe mich nach dir um, aber du bist verschwunden. Wir gehen schneller, ich umgehe die Pfützen, der Hund steuert gnadenlos darauf zu, durch sie hindurch. Der Tag rutscht in den Fluss, wir gehen unter allen Brücken der Stadt hindurch. Darüber schweben leise rauschend Lichtschlangen, die Menschen transportieren. Wir machen uns auf in die engen Strassen, ergeben uns Rauch, Rausch und Ruppigkeit. In der Beiz, in die ich stolpere, wischen sie Blut von der Türschwelle. Blut und abgebrochene Zähne.
Die Nacht in der Kleinstadt hat all ihre Romantik verloren. Sie klingt nach klirrenden Gläsern und dumpfem Grölen, Gorillas im Dickicht. Du trittst in die Blutlache vor der Tür und streitest mit einem Freund darüber, was ihr heute Nacht noch machen wollt. Er beschimpft dich als Pussy, weil du lieber nach Hause willst. Du bist auf Xanax und greifst in deinen Hosen nach dem Butterfly, du trägst es an den Eiern, willst zustechen. Du spürst deinen Körper nur vage und dumpf, er ist kein Teil von dir. Du bist nur noch Wut, das war das letzte Mal, dass du dich hast beschimpfen lassen. Du wischst dir die Bluthände und das Adrenalin an der Hose ab und bestellst bei mir an der Bar ein Bier. Du sagst mir mit Blick auf die perfekte Schaumkrone: Ich nehm meins gerne voll. Der Hund setzt zum Biss an, ich halte ihn zurück, es lohnt sich nicht.
Lächle doch mal, war nur ein Witz.
Ich lächle seelenlos, der Hund knurrt. Deine Augen tasten mich ab, gründlich von oben bis unten. Ich trage ein schwarzes Shirt, Hautfetzen schimmern durch. Du würdest mir nicht unbedingt raten, ausgerechnet das zur Arbeit zu tragen. Überleg dir halt mal, Boys will be Boys. Und Boys sind wütend und sie starren dir auf die Titten.
Diese Nächte schleichen sich ein, hängen sich fest, werden zu Erinnerungen und Fantasien, die in Halbschlafphasen wieder ausbrechen. Sie sind Geister und in ihnen spukt es. Ich stelle mir vor, wie mir das Grauen begegnet. Ich begegne ihm nicht in Angst, oder Schmerz. Ich begegne ihm, weil ich genährt bin von den Bildern, die ständig auf mich einballern. Wenn ich die Augen schliesse, werde ich erschossen. Die Kugel fliegt in Zeitlupe auf mich zu, aber ich kann sie nicht greifen, sie tritt in mich ein und versetzt dem ganzen Körper einen Schlag. Ich falle und falle und schlage niemals auf. Selten vielleicht auf Wasser, es hat die Härte von Asphalt. Zähes Nass tränkt das weisse Shirt. Das ist der Unterschied zwischen dir und mir. Dein Ventil öffnet sich gegen aussen, meins richtet sich gegen mich selbst.
Am 3. Juni 1968 betrat Valerie Solanas Andy Warhols Studio in New York mit einer Pistole und einem Racheplan. Sie schoss drei Mal auf den Künstler, bevor ihr Magazin leer war.
Wenn ich die Augen schliesse, brettern Augenblicke aus Beziehungen, die ich mit dir geführt habe auf mich ein. Jeder einzelne fühlt sich an wie der Schlag eines Baseballschlägers. Du bestrafst mich mit aggressiver Stille und redest einen Tag lang nicht mit mir, weil ich mit meinen Freundinnen tanzen war, anstatt mit dir einen Film zu schauen, obwohl du leider nur heute für mich Zeit hattest. Die Farbe meiner Badezimmertür blättert langsam ab, weil du sie eingeschlagen hast, als ich mich darin eingeschlossen habe, um mich zu schützen vor deinen Worten. Deine Worte, die mir die Meinen im Mund umdrehen. Sie drehen so schnell, dass die Bewegung auf meinen Körper überspringt. Schwindel verschleiert und verzieht meine Wahrnehmung, und du interessierst dich für Blowjobs und Antifaschismus und dafür, wieso du die Arschkarte gezogen hast. Ich erzähle niemandem mehr von dir, weil ich genau weiss, dass mit dir zu weit gehe. Eigene Grenzen weit hinter mir gelassen, ich habe sie mit Bleistift gezeichnet. Ich gehe los, per Anhalter durch Abgründe. Ich bin eine Hexe, verwandle Wut in Traurigkeit und Schamgefühl. Ich bette sie ein, in Watte, zwischen meinen Lungenflügeln, wo sie miteinander verschmelzen.
Du und der Rest der Gesellschaft haben zum Glück kein Problem mit meiner Traurigkeit und meiner Scham. Ich weine passive Tränen, sie stehen mir gut und du kannst mich endlich retten. Aber die Schleusen senden kaum mehr traurige Nässe, das sind Gifttropfen meiner Wut, sie platzen langsam auf durch die Intensität meiner rastlosen Gefühle. Durchtriebene Skepsis schiesst mir andauernd durch den Kopf, leider keine Kugeln.
Phoolan Devi, die indische Banditenkönigin, liess in den Achtzigerjahren 22 Männer von ihrer Bande erschiessen.
Ich will wieder Kind sein. Wut war damals Zorn. Er hat sich entladen in Schreien und Stampfen und Gewalttaten gegen die Luft um mich herum. Alle haben geschaut und es war mir scheissegal. Der Hund hatte das Benzin dabei und ich habe Feuer gespuckt. Es war kilometerweit zu sehen. Aber Zorn wetzt ab, zerbröselt, bis er nur noch reiner Gegenstand der eigenen Abgenutztheit ist. Ich wurde nicht für meinen Zorn gelobt, meine Wut ein Dorn im eigenen, rechten Auge. Seitdem sehe ich die Dinge nicht mehr scharf.
Dir hat dein Vater belanglos, aber stolz über den Kopf gestrichen, als du vor Wut ganz rot angelaufen bist beim Fussball. Aber ich bin nicht hysterisch, emotional oder labil, ich halte den Hund zurück. Ich bin gelassen, behalte die Kontrolle über die äussersten Glieder meines Körpers, über alle Organe. Über den Druck in der Brust, der das Potential hat, in den Bauch abzustürzen. Der Bauch ist der gefährlichste Ort, im Bauch blubbern kleine Säureblasen, die ich runterwürge, wenn sie aufsteigen.
1993 schnitt Lorena Bobbitt ihrem Partner den Penis ab. 24 Jahre später tat Brenda Barattini es ihr gleich.
Der Hund sucht uns einen Schleichweg durch die vibrierende Menschenmasse. Wir tragen Schlangenhäute und kommen zum Stillstand, an einem Ort, wo wir atmen können. Du folgst mir noch immer, ich nehme es wahr, nur durch den Spalt, aus dem meine Augen nach draussen sehen. Du kommst näher, tastest dich der Schneise entlang, die wir in die Menge geschnitten haben. Und du drängst dich an mir vorbei, berührst erst nur meine Schulter, meinen Rücken mit allen zehn Fingern, ich spüre deinen Penis, der an mir vorbei schrammt. Deine Berührungen hinterlassen Brandlöcher auf meiner Haut. Der Hund setzt an und reisst ein Loch in deinen Oberschenkel und ich ramm dir ein Messer in den Hals. Leise sickert dein Blut in die Narben des trockenen Holzbodens. Die Kugel an der Decke schickt flüchtige Lichtflecken, sie streichen über die Lache, sie sieht aus wie verschütteter Rotwein. Ich sehe Glitches, der Bass dröhnt, die Menschen wippen in ihm.
Die Wut in mir ist eine Schläferzelle.
Eine Welle rollt an. Sie bedient das Farbspektrum von Altglascontainern, aber sie nähert sich mit erbarmungsloser Beharrlichkeit. Sie wird vom Tropfen zum Fluss, zum Meer, sie wird zum Tsunami. Und sie schäumt an den Aussenrändern meiner Haut, sie kocht über, an mir hoch und über mich hinaus, ins Leere, ohne es zu erreichen. Wie das drückende Dröhnen, das Kopfschmerzen unter Irfen senden. Schlussendlich geht es allen gleich schlecht und Wut hat nichts mit Gender zu tun. Sie kommt im Narrativ von Weiblichkeit einfach nicht vor. Ernstgemeinte Wut von weiblich sozialisierten Personen ist wie der ausgetrocknete Tümpel im eigenen Garten, und Gewaltfantasien liegen auf seinem Grund.
Die Wut in mir macht mich wahnsinnig. Du siehst meine Wut als Maske des Wahnsinns, und wenn du mich früher hättest wütend sein lassen, wäre ich vielleicht nie wahnsinnig geworden. Es brennt ein introspektiver Nervenkrieg, die Fronten sind meine verschiedenen, benutzer*innendefinierten Skins.
Haben Sie schon mal versucht, sich ab- und wieder anzuschalten?
Der Hund und ich gehen dem Fluss entgegen. Du bist ein Flimmern, das noch selten an uns vorbeihuscht. Wüsste ich nicht von dir, würde ich dich verpassen. Ich war mal Pazifistin, habe ich zumindest gedacht. Aber jetzt erkenne ich mich nur noch bei Nacht, der Tag entartet mich. Ich habe enttarnt, was meinem jüngeren Ich wie elendige Permanenz vorkam, wie Fetzen der Veränderung, ein stetiges Wandeln in weiteren Häuten und Flüssigkeiten. Du und ich, wir verschmelzen manchmal kurz. Aber ich wachse stetig. Du schaust mich an, verloren zwischen Asteroidenschauern und den Möglichkeiten deiner Openworld. Mir geht es meistens gut und die kleinen Wellen des Wassers nehmen mich in den Arm. Ich habe keine Angst, aber Narben verblassen nur.
29. August 2023