Eine sanfte Ehrfurcht kommt auf, wenn man die heiligen Hallen des The Chedi Andermatts betritt. Hoch sind die Decken, gedämpft das Licht, durchdacht das Design bis ins letzte Detail. Das Hotel enttäuscht nicht – weder die grosszüzigen Zimmer, noch die ausgezeichneten Restaurants und am aller wenigsten die Bar. Diese umfasst nämlich rund 500 Spirituosen und in ihr werden absolute Kunstwerke von Cocktails kreiert – dies bescherte der Bar auch den Titel «Beste Hotelbar der Schweiz». Dafür verantwortlich zeichnet sich die 28-jährige Barmanagerin Marie Gerber und ihr Team. Jedoch nicht nur dafür: Grosse Events, Schulungen, die Lobby, die Terrasse und die Cigar Library mit zahlreichen Zigarrenschätzen werden ebenfalls von Marie gemanagt.
Wir haben das Allroundtalent zum Gespräch mit Rosé-Champagner und Cocktails getroffen, um mit ihr über Leidenschaft, spontane Tanzeinlagen, Priester:innen, Teamwork und Männderdomänen zu reden.
Marie, kannst du dich an deinen ersten Cocktail erinnern?
An den Ersten, den ich getrunken habe? Schlecht. Er war bestimmt auch grausam schlecht – womöglich ist es besser, dass ich mich nicht daran erinnern kann.
An den Ersten, den ich selbst kreiert habe, kann ich mich jedoch sehr genau erinnern. Das war ein Sake-Cocktail hier im The Chedi Andermatt. Er hiess «Maries Apple Picknick» und war mit Sake, Lavendel, Zitrone und Apfellikör. Serviert wurde er in einem kleinen, hübschen Glas und mit einem getrockneten Brotchip mit Meersalz und Öl obendrauf.
Warum bist du Barkeeperin geworden?
Ich habe meine Karriere zwar in einer Bar begonnen, dann aber auch in anderen Bereichen der Gastronomie gearbeitet. Selbst ins The Chedi Andermatt kam ich eigentlich als Servicekraft – durch einen glücklichen Zufall landete ich dann da, wo ich hingehöre: In einer sehr edlen Bar, mit anspruchsvollen Gästen. Ich liebe es grenzenlos kreativ zu sein, Dinge, also in meinem Fall Cocktails, zu kreieren, die ganze Geschichten erzählen. So kann ich nicht nur Drinks, sondern ganze Momente für die Gäste schaffen. Die Stimmung in einer Bar ist sowieso einzigartig, wenn ich die dann mit dem perfekten Getränk noch unterstreichen kann, ist das ein tolles Gefühl.
Alkohol lockert bekanntlich das Mundwerk. So auch bei deinen Gästen. Ist ein/e Barkeeper:in nicht auch immer ein bisschen Psycholog:in?
Psycholog:in, Priester:in, Hundesitter:in – die Liste ist endlos und das macht meinen Job unheimlich spannend. Manchmal tauschen wir im Team dann die witzigsten Stories aus – teilweise schon sehr absurd, aber auch extrem unterhaltsam, was wir alles erleben. Wir könnten ganze Bücher schreiben.
Kannst du eine Story mit uns teilen?
Psycholog:innen haben ja bekanntlich Schweigepflicht. Was jedoch immer wieder passiert, auch hier im The Chedi Andermatt, sind spontane Tanzeinlagen von gelockerten Gästen. Das ist immer extrem lustig und animierend für alle Zuschauenden. So kommt es nicht selten vor, dass am Schluss die ganze Bar tanzt.
Was hältst du denn von Alkohol?
Ich selber trinke eher wenig Alkohol. Das ist ironischerweise bei vielen Barkeeper:innen der Fall. Die saufen nicht. Wenn du mit Alkohol arbeitest, trinkst du viel bewusster und bist wählerischer. Das bewusste Trinken rückt aber allgemein immer mehr in den Fokus. Man konzentriert sich vermehrt auf die verschiedenen Geschmäcker, Kombinationen und auch auf die Atmosphäre, in der man trinkt und setzt sich damit auseinander. Aus diesem Grund haben wir mittlerweile auch sehr viele alkoholfreie Cocktails auf der Karte, die gut ankommen.
Welcher deiner Cocktails ist dein persönlicher Favorit und warum?
Einer, den ich für eine Cocktail-Competition, vor zwei Jahren kreiert habe. Es war ein lauwarmer Cocktail mit Rum, Karottensaft, selbstgemachtem Zwiebelsaft, einem kalten Kartoffelespuma und etwas Salz obendrauf. Er sollte zeigen, auf was es in unserem Job vor allem ankommt; nämlich Technik und Bodenständigkeit. Man soll nie vergessen, woher man kommt und versuchen mit den Ressourcen zu arbeiten, die verfügbar sind. Den Zwiebelsaft zum Beispiel, machte bereits meine Grossmutter und die Karotten, die ich benutzte, wuchsen vor unserer Nase. Es muss nicht immer super fancy sein – das Gute liegt ja bekanntlich nah.
Was hebt die Chedi-Bar von anderen ab?
Ihre Grösse ist extraordinär und die Menschen dahinter der Wahnsinn. Insgesamt betreuen mein 17-köpfiges Team und ich – zu Beginn waren wir übrigens zu acht und lange Schichten waren die Norm – vier Bereiche mit über 300 Sitzplätzen. Die Barkarte ist riesig, durchdacht und anspruchsvoll. Wir haben unsere Ziele sehr hoch gesteckt. Mittlerweile sind wir aber ein super eingespieltes Team, sodass alles wie am Schnürchen klappt. Wir haben es geschafft, ein wunderbares Wir-Gefühl zu kreiern, das uns nun hilft absolut Grossartiges zu schaffen – wie unsere neue Karte, die ganz bald rauskommt.
Nebst der Bar bist du auch für den beeindruckenden Humidor mit zahlreichen Zigarrenschätzen im The Chedi Andermatt verantwortlich. Du selbst bezeichnest dich als Zigarren-Liebhaberin, woher kommt diese Passion?
Durch eine Cocktail-Competition (lacht). Ich habe nie geraucht, weder Zigarren noch Zigaretten. Für eine Competition habe ich einen Cocktail kreiert, der mit einer Zigarre aus Schokolade geschmückt war. Kurz bevor ich zur Competition reisen musste, sagte ich zu meinem Chef: «Toll jetzt fahr ich dahin, rede über eine Zigarre und habe keine Ahnung davon». Und so gingen wir dann eine Zigarre rauchen. Danach war ich fasziniert. Es ist eine ganz eigene Welt, mit vielen spannenden Geschichten und es gibt unglaublich viel Wissen, das man sich über Zigarren aneignen kann. Gerade auch in Kombination mit Alkohol. Ich durfte im The Chedi Andermatt bereits viel dazu lernen und habe noch nicht ausgelernt. Ich rauche heute übrigens immer noch keine Zigaretten – ich geniesse nur Zigarren und schalte dabei ab.
Du bewegst dich in einer Männerdomäne. Wünschst du dir mehr Frauen hinter Bartheken und in Humdioren?
Unbedingt! Es gibt sehr viele schlaue, begabte und kreative Frauen, die sich trotzdem nicht trauen. Die meisten Frauen schätzen sich viel zu vorsichtig ein und sind sich ihrer Stärken nicht bewusst, die so essentiell für ein Unternehmen sein können. Um das zu ändern, braucht es Akzeptanz und Offenheit von allen Seiten. Kompetenz kann schliesslich jede:r haben.
Was können Frauen denn besser?
Sie verfügen oftmals über sehr wertvolle Empathie, Authentizität und Ehrlichkeit. Das sind Punkte, die nicht nur in der Gastronomie, sondern überall sehr gefragt sind. Zudem führen sie Dinge mit viel Bedächtigkeit und Sorgfalt aus – Fingerspitzengefühl eben!
17. November 2021