Text von Lucca Süss
Durch die Rekontextualisierung von Alltagsobjekten innerhalb neuer Zusammenhänge, ohne ihre ursprünglichen kulturellen «Stimmen» zu verlieren, erhalten die Materialien in Lucca Süss‘ Arbeit eine erweiterte Bedeutung und Funktion. Sie werden dabei zu einem fortwährend wandelnden Körper – zu einem Körper, der sich in einem Zustand der Transition und der Transformation befindet.
Dieser Prozess der Aneignung und Umdeutung von Objekten, die in der Regel für queere Personen nicht zugänglich sind, wird zu einem Akt der Ermächtigung. Die angeeigneten Objekte dienen nicht nur ästhetischen Zwecken, sondern werden auch durch Ironie und Brüche in neue, subversive Narrative überführt. In Süss‘ Arbeiten wird das Material selbst wie ein mutierender Körper behandelt: ein Körper im Übergang, in einem kontinuierlichen Wandel. Diese Transformation des Materials spiegelt die Übergangsprozesse von Trans-Personen wider, die ebenso in einem fortwährenden Zustand der Veränderung und Neuverhandlung sind.

Die Werke setzen sich mit Diskursen auseinander, die aktuell, dringend und für viele Menschen von existenzieller Bedeutung sind. Süss‘ Ziel ist es, durch ihre Arbeiten die Realität von queeren und Trans-Personen sichtbar zu machen und ein Bewusstsein für die Herausforderungen, aber auch die Potenziale von Transformation und Identitätsfindung zu schaffen.
Der Fokus von Lucca Süss’ Arbeit liegt auf der Transformation – auf materieller wie auf symbolischer Ebene. Materialien aus Brockenhäusern, Secondhand-Läden oder Onlineplattformen werden gezielt gesammelt. Jedes Objekt wird sorgfältig ausgewählt, zerlegt und durch Prozesse wie Schmelzen, Schweissen, Nähen, Brechen oder Biegen in etwas Neues überführt.
Dabei geht es nicht um blosse Verfremdung, sondern um eine bewusste Umcodierung der ursprünglichen Funktion und Bedeutung. Was einst alltagspraktisch war, wird zum skulpturalen Körper – ein Körper, der gesellschaftliche Zuschreibungen sichtbar macht und zugleich unterwandert.

Im Kern der Praxis steht ein queerer Umgang mit Materialität – jenseits von Kategorien wie «nützlich», «logisch» oder «klar strukturiert». Die verwendeten Objekte – etwa Duschrohre, Sportgeräte oder Möbelstücke – tragen kulturelle Marker in sich und verkörpern häufig heteronormative Ordnungssysteme. Diese Ordnungen werden aufgebrochen, indem die Materialien in neue Kontexte überführt werden. Die Skulpturen erscheinen dadurch als hybride Wesen, als instabile Körper im Zustand des Wandels – sie performen Transition, Identitätsverhandlung und Unruhe.
Diese künstlerische Herangehensweise ist eng mit Lucca Süss‘ Perspektive als trans Person verknüpft. Die Aneignung und Umwandlung von Dingen, die ursprünglich nicht für diese Perspektive gedacht waren – Dinge, die Funktionen und Ästhetiken normativer Körper bedienen – wird zum Akt der Selbstermächtigung. In der Zerlegung und Neukonstruktion der Objekte spiegelt sich das Erleben von Transition: ein nicht-linearer, offener Prozess, in dem Körper, Identität und Materialität ineinandergreifen, sich gegenseitig formen und transformieren.
Ein exemplarisches Projekt ist «The Hulk’s Garden», eine Zusammenarbeit mit Liam Rooney. Die Installation verbindet Skulptur und Performance und setzt sich mit der Ästhetik und den Ideologien der sogenannten Manosphere auseinander. Die Skulpturen bestehen aus deformierten Fitnessgeräten – Symbole eines hypermaskulinen Körperideals –, deren Funktionalität durch gezielte Modifikationen gebrochen wird. Sie wirken organisch gewachsen, wie mutierte Maschinen, die keiner eindeutigen Nutzung mehr folgen. In der Performance fungieren sie als choreografische Partner – sie sabotieren, unterstützen oder provozieren den Körper. Bewegung wird durch sie bestimmt, verhandelt zwischen Stärke, Verletzlichkeit und Ironie.

Im Zentrum steht die Frage: Was macht das Ideal des «Alpha-Mannes» eigentlich aus – und wie absurd erscheint es in seiner Überzeichnung? Durch die performative Auseinandersetzung mit Ritualen der Selbstoptimierung – von Fitness bis Looksmaxing – wird die Künstlichkeit dieser Ideale offengelegt. Der Körper wird zur Projektionsfläche, zur Karikatur, zum hybriden Wesen – irgendwo zwischen Camp, Mythos und Maschine.
Auch jenseits performativer Arbeiten versteht Lucca Süss Skulptur nicht als abgeschlossenes Objekt, sondern als offenes Feld der Verhandlung – als Raum, in dem alternative Perspektiven entstehen können. Jedes Material bringt eine eigene Geschichte mit, doch Ziel ist keine Balance zwischen altem und neuem Sinn, sondern eine radikale Umschreibung. Die Objekte verlieren ihre Lesbarkeit, werden instabil, fluide, widerspenstig – genau darin liegt ihre Kraft.

Diese Prozesse sind eng mit Fragen von Identität und Körperlichkeit verknüpft. Wie Kleidung im queeren Alltag zugleich Rüstung, Sichtbarkeit und Risiko bedeutet, so werden auch die Skulpturen zu Oberflächen der Verwandlung. Sie tragen Spuren vergangener Funktionen und gleichzeitig das Potenzial einer anderen Zukunft. Widerständig und fragil, laut und verletzlich zugleich.
Der «mutierende Körper» ist dabei kein blosses Symbol – er ist strukturelles Prinzip von Lucca Süss‘ Arbeit. Die Skulpturen befinden sich in einem Zustand des permanenten Werdens, sie verweisen auf die Fluidität von Geschlecht und die Unmöglichkeit fixer Kategorien. Wie Susan Stryker beschreibt, wird Transsein oft als monströs konstruiert – Lucca Süss greift dieses «Monströse» auf, nicht als Bedrohung, sondern als produktive Form des Widerstands. Die Arbeiten fordern heraus und eröffnen Räume für neue Denk- und Wahrnehmungsweisen.
Letztlich ist das Werk von Lucca Süss eine Einladung – zur Auseinandersetzung mit anderen Formen des Seins, zur Reflexion über die Konstruktion von Körpern, Machtverhältnissen und Bedeutungen – und zur Anerkennung von Wandel als produktivem Zustand.
