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Living the dream

Wie mir Neo aus «Matrix», Musk, Harari und eine Horde anderer geistiger Kolosse weismachen wollen, mein Leben sei nichts anderes als ein absurd langer Traum, ein geniales Computerspiel, eine grandiose Illusion. Guten Morgen, Action, Tadah.

Von Lothar J. Lechner Bazzanella

Vor einigen Tagen hatte ich meine Freundin endlich dazu gebracht, den Film «Matrix» (den ersten Teil; alles was danach kam, war Müll) mit mir zu schauen. Der Film gefiel ihr. Vermutlich nicht nur wegen Keanue Reeves, den wir beide ziemlich scharf finden. Vor allem die Grundidee des Blockbusters begeistert. Für alle, die nicht wissen, worum es im Klassiker geht: Shame! Wenn ihr mit dem Lesen hier fertig seid, Fernseher an und Kulturlücke schliessen! So viel vorweg: In «Matrix» leben die Menschen in einer von Robotern vorgegaukelten Scheinwelt. Alles nur ein ewiger Traum. Aus diesem Traum auszubrechen, ist die Aufgabe des Helden der Saga.

Und obwohl ich den Film schon mehrmals gesehen hatte, wirkte er dieses Mal länger in mir nach. Wie eine Wunde an der Ferse, die jedes Mal erneut aufreisst, wenn man ein paar Schritte geht. Seit Wochen scheint mir meine Aussenwelt immer wieder den gleichen Gedanken – oder vielleicht doch Code, Impuls – einzublenden: Du und alles was du siehst, schmeckst, riechst, hörst, denkst oder fühlst, sind nicht real. Oder wie es in «Matrix» heisst: «Real ist nichts anderes als elektrische Signale, die von deinem Gehirn interpretiert werden.» Alles nur Schwindel, Einbildung, Hokuspokus. Erschaffen von mir selbst, einem übergeordneten Wesen, Superrechner, Gott, ach, was weiss ich. Descartes berühmtester Satz «Cogito ergo sum», «Ich denke, also bin ich» zerbröselt. Ich bin vielleicht gar nicht. Wer Welt sagt, will betrügen. 

Meine Welt scheint mir gerade deutliche Signale geben zu wollen, dass es sie so nicht gibt. Eine merkwürdige Illusion, die sich selbst zur Kritik stellt. Egal ob ich nun meditiere und der weichen Stimme von Sam Harris lausche. Every experience you have ever had has been shaped by your mind. The feeling that we call «I» is itself the product of thought

Ob ich mir alte Vorlesungen von Allan Watts auf Youtube reinziehe. Try to imagine what it will be like to go to sleep and never wake up… now try to imagine what it was like to wake up having never gone to sleep. Reality is only a Rorschach ink-blot, you know.


Ob ich nun Bücher lese; mein letztes war «Die Anomalie» von Hervé le Tellier, in dem der französische Mathematiker und Autor auch mit der Idee der Scheinwelten spielt: Zwei Flüge, unterschiedliche Start- und Landezeiten, aber identische Crews, die gleichen Passagiere, die gleichen Leben dahinter. Alles in doppelt und keiner kann sich erklären, warum. Déjà-vu in Reinform. Fehler in der Matrix. 

Oder ob ich abends durch Netflix zappe, bei einer Folge «Black Mirror» hängen bleibe und sehe, wie der Spielzeugentwickler Robert Daly sein eigenes kleines Universum erschafft und eher dort seine Zeit verbringt als in der «realen Welt». Um Sam Harris hier nochmals zu zitieren: «My mind begins to seem like a video game.» Die Welt als Illusion. Als Traum. Programm. 

Vielen dieser Ideen liegt die Simulationstheorie des schwedischen Philosophen Nick Bostrom zugrunde. 2003 präsentierte er sie in seiner Abhandlung «Are you living in a computer simulation?». Bostrom stellt die Hypothese auf, dass unser Leben möglicherweise von einer höheren Zivilisation nachgestellt wird. Der Schwede begeisterte und beunruhigte damit Tausende. Zu einem der bekanntesten Jünger Bostroms gehört Tesla-Chef Elon Musk. In einem Guardian-Interview aus dem Jahre 2016 sagte er: «Vor vierzig Jahren hatten wir Pong – zwei Rechtecke und einen Punkt. Heute haben wir fotorealistische 3D-Simulationen mit Millionen von Menschen, die gleichzeitig spielen, und es wird jedes Jahr besser. Das Problem besteht darin, dass es – wenn realistische Simulationen des Universums möglich sind – sehr schnell viel mehr Simulationen der Realität als tatsächliche Realität geben wird. Die Chancen, dass wir uns zufällig – unter Milliarden von Welten – in der einen befinden, die keine Fälschung ist, stehen Milliarden zu eins.»

Auch der Historiker und Weltbesteller-Autor Yuval Noah Harari scheint der Theorie Bostroms Glauben zu schenken. In seinem Buch «Homo Deus» schreibt er: «Da es nur eine reale Welt gibt, die Zahl potenzieller virtueller Welten hingegen unendlich ist, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass man zufällig in der einzigen realen Welt liegt, bei fast null.» Beunruhigend, wenn selbst so grosse Geister beginnen, an der Echtheit unserer Welt zu zweifeln.

Doch was tun gegen die Furcht vor der eigenen Nichtigkeit? Schliesslich wird mir vermutlich in naher Zukunft kein mysteriöser Typ mit Sonnenbrille und weitem, schwarzem Ledermantel in irgendeiner abgefuckten Bruchbude die eine Pille anbieten, die mich das Universum endlich verstehen lassen wird? Moment, gar nicht mal so unwahrscheinlich in Zürich. Ich würde die Pille vermutlich nicht nehmen, lassen wir das mal so stehen. 

Aber was würde geschehen, wenn wir heute den Beweis dafür hätten, dass wir nur eine Simulation, eine Kopie, ein Spiel sind? In der «Anomalie» von le Tellier heisst es diesbezüglich: «Nichts. Nichts wird sich ändern. Wir werden morgens aufwachen, wir werden arbeiten gehen, weil wir weiterhin unsere Miete bezahlen müssen, wir werden essen, trinken, Liebe machen wie vorher. Wir werden weiterhin so handeln, als wären wir real. Wir sind für alles, was beweisen könnte, dass wir uns irren. Das ist menschlich. Wir sind nicht rational.»

Einen anderen Weg geht der bekannte iPhone-Hacker und Entwickler George Hotz. Auch er ist von der Simulationstheorie überzeugt. Man müsse die Simulation jailbreaken. Durch Experimente mit Teilchenbeschleunigern und Quantencomputern Dinge tun, die nicht vorgesehen sind. Das System ad absurdum führen oder bewusst beeinflussen. Man könne Cheats verwenden, um den Klimawandel zu stoppen, Pandemien abzuschalten oder sogar die Simulation endgültig zu verlassen. Aufwachen aus dem Traum. Von der Bühne des Magiers springen und ins Freie treten.

Für mich klingt das alles leider viel zu kompliziert. Schliesslich kann ich gerade Bücher lesen, meditieren und auf Netflix meine für mich vorgesehenen Simulationsminuten runterspielen. Zu gemütlich sollte ich mir es aber auch nicht machen. So empfiehlt der Kosmologe und Wissenschaftsphilosoph Max Tegmark einen Weg mit der Simulation umzugehen, der mir persönlich am realsten (urplötzlich hat die Steigerung von «real» ganz neue Facetten) und am elegantesten scheint: «Geht raus und macht richtig verrückte Dinge. Damit euch die Simulatoren nicht abschalten.»

11. März 2022

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