Eine Klasse des Cast / Audiovisual Media Studienganges der Zürcher Hochschule der Künste, wollte in einem Schulprojekt auf Gentrifizierung, also «die Verdrängung einkommensschwächerer Haushalte durch wohlhabendere Haushalte in innerstädtischen Quartieren», demnach die Aufwertung von Vierteln, durch Sanierung oder Umbau, welche einkommensschwächere Bewohner:innen dazu zwingt weiter in die Agglomeration zu ziehen, aufmerksam machen.
Das Thema ist in Zürich nichts Neues: Stadtplaner:innen sind vor schwierige Fragen gestellt. Die Stadt wird immer beliebter und es zieht mehr und mehr Menschen in Richtung Zentrum. Das Problem: Die Mieten werden höher und Bewohnende können sich die neuen Mietpreise nicht mehr leisten.
Darunter leiden nicht nur Studierende, welche dazu gezwungen werden weiter weg vom Ort des Lernens zu wohnen, sondern auch Familien und Rentner:innen, welche seit Ewigkeiten in diesen Gebieten wohnen.
Diese Aufwertung der Viertel, und gleichzeitige Verstärkung von sozialen Ungleichheiten, wollte eine Gruppe junger Menschen auf eine moderne Art und Weise thematisieren: durch eine Tiktok-Kampagne.
Die Story: Eine junge Studentin, Lorena, entschied sich, nach einer Mieterhöhung und Trennung mit ihrem Freund, kurzerhand in ihrer Schule, der Zürcher Hochschule der Künste, unterzukommen. Die Studierenden produzierten neben vielen Videos mit Lorena, einer erfundenen Figur, eine 14-minütige Reportage mit Fachpersonen.
Die Sache zog an: Viele fieberten mit der jungen Frau aus Zürich mit, einige merkten jedoch, dass die überspitzten Videos ja fast nicht echt sein können – das Problem ist jedoch mehr als echt. Gentrifizierung wird besonders von jungen Menschen, welche in Zukunft darunter leiden werden, wenig besprochen.
Das Projekt wollte das ändern. Statt die Kreativität der Studierenden zu loben, hagelte es Kritik: Nach der Auflösung, dass die Geschichte und die Personen frei erfunden sind, fühlten sich viele hinters Licht geführt. Schweizer Medienhäuser wie der Blick oder 20-Minuten liessen kein gutes Haar am Projekt.
Sie werfen vor, dass Obdachlosigkeit belächelt und euphemistisch behandelt wird, was aber nicht weiter von der Wahrheit sein könnte: Obdachlosigkeit wird im Projekt nicht einmal erwähnt. Lediglich die Erhöhung der Mieten, und ihre freiwillige Entscheidung, statt einer neuen Wohnung, ein Schlafplätzchen an ihrer Schule zu suchen.
Wieso unterscheidet sich diese Kampagne von anderen Werbespots, welche auch fiktive Geschichten weiterbringen? Oder Spielfilmen, welche auch oft zur Erregung der Aufmerksamkeit dienen sollen?
Besonders die fundierte Reportage «Leben am Limmat» klärt des Weiteren über Gentrifizierung auf. Mit Mercel Hug, CEO CH-Verband der Immobilienwirtschaft, Walter Angst, Leiter Kommunikation Mieterinnen- und Mieterverband Zürich, Dr. Gabriela Debrunner, Postdoktorandin ETH, Raum- und Landschaftsentwicklung und weiteren Spezialist:innen konnten die Studierenden eine informative, gutverständliche und gut produzierte Reportage schaffen.
Leider ist das in den Hintergrund gerückt. Wahrscheinlich ist es für viele schwer zu verstehen, dass das Storytelling nicht nur in Filmen und Shows zum Thema wird, sondern auch auf den Sozialen Medien schon lange genutzt wird. Die Gefahr, dass «Fake News» einfach als Fakt akzeptiert werden, ist seit jeher bestehend, nun sind die Zuschauer:innen mit ihrer eigenen Leichtgläubigkeit konfrontiert.
Trotzdem ist es wichtig den Fokus nicht auf die wohlbemerkt geniale Social Media Kampagne zu legen, sondern auf das Problem der Gentrifizierung und deren Folgen für die ganze Gesellschaft und zukünftige Generationen.
23. Januar 2022