LARY (Larissa Sirah Herden) ist Sängerin, Schauspielerin und Allround-Künstlerin – kurz: eine Frau von Welt, die ihre Gefühle stets klangvoll und ausdrucksstark ausatmet, anstatt sie in Watte zu packen. Mit ihrer samtig rauen Stimme verbaut sie ihr reflektiertes Seelenleben in eleganten Gassenhauern, die tagelang nachhallen und inspirieren. Die gebürtige Gelsenkirchenerin nennt ihren Musikstil «Hardcore-Chanson für Romantikultras». Ihre Songs schreibt sie selbst: ob am Klavier, im Studio, in Berlin oder in Paris. An ihrer Seite ist oftmals Sparringpartner Nr. 1 und Produzent Patrice, der auch mit zwei Features auf «STEREO NOIR» vertreten ist. Schauspielerisch zeigte LARY ihr Talent bereits in verschiedenen Filmen und Serien – darunter «Conti – Meine zwei Gesichter» und «Bad Banks». Am gleichen Tag der Albumveröffentlichung erscheint zudem die Comedy-Serie im Mockumentary-Style «Player of Ibiza», in der LARY die Hauptrolle Amelie spielt. Das Gespräch mit ihr, könnte man sagen, war fast wie Therapie bei einer guten Freundin.
LARY, warum schreibst du eigentlich so viele Songs über meinen Ex?
LARY: (lacht laut) I know, Girl, so geht’s uns allen. Ganz ehrlich, ich könnte mir gut vorstellen, dass mein Ex auch dein Ex ist, und wir haben davon nichts mitbekommen. Würde mich nicht wundern.
Haha, stimmt. Es gibt aber auch genug Typen, wie den, den du zum Beispiel im Song «Junge» beschreibst. Du meintest, dass da sehr viel Wut, Enttäuschung und Unbeeindrucktsein von der generellen Performance und den niedrigen Standards von unreifen Man-Childs mit drin steckt.
Total! Ich glaube, es gibt ganz viele Männer, die genauso sind, aber es selbst gar nicht auf dem Schirm haben, weil sie nicht so unter die Lupe genommen werden. Doch wir sind jetzt gerade in einem Zeitalter, in dem genau solche Verhaltensweisen demaskiert werden und man Männer mehr in die Pflicht nimmt. Wo man sagt: Du kannst gerne alles so machen, wie du das möchtest, aber kommunizier das bitte. Ich denke, dass wir heutzutage auch direkter sagen: Kannst du mich irgendwie auf Augenhöhe treffen? Von daher tut sich ja Einiges. Und ich kenne auch echt viele tolle Männer – in die verliebe ich mich nur nicht (lacht).
Daher sind auch viele deiner Songs eine Ode an die Liebe selbst.
Total! Ich finde es interessant, dass es sich auf dem Album die Waage hält. Es gibt auch Songs, die mich daran erinnern, dass ich mal total verliebt war und dann auf einmal alles total toll war. Ich finde, dass sich das Verliebtsein so anfühlt, als hätte jemand die Farben im Leben gesättigt. Das ist wie eine Droge. Und ist dieses Gefühl wieder weg, sieht man die Farben nicht mehr so intensiv. Es ist alles ein Teil von der Geschichte meines Herzens, und ich finde das sehr schön, so zurückzublicken auf alle Erfahrungen und alle Gefühle, die man fühlen kann.
Und wie ist das für dich, die Songs, in denen du eher schmerzhafte Beziehungen verarbeitet hast, immer wieder zu singen?
Eher heilsam und empowernd. Ich würde mir Sorgen machen, wenn solche Songs mich im Nachhinein noch genauso zerstören, wie wenn ich sie aufschreibe. Beim Aufschreiben checke ich ja schon, worum es geht und was irgendeine Erfahrung mit mir gemacht hat. Klar, dann muss ich noch heilen, aber es ist wenigstens nicht mehr dieses ganze Chaos in mir drin. Das heisst, der Prozess des Darüberschreibens ist für mich ein riesiger Teil der Heilung. Bei manchen Songs checke ich auch erst viel, viel später – nach einem halben Jahr beim Hören – was da eigentlich los war. Da merke ich dann, dass verschiedene Ebenen davon sichtbarer werden und wie mir Dinge ins Bewusstsein sickern. Je mehr Abstand man zu sich selbst hat, desto besser kann man das ganze Bild sehen. Beim Singen bin ich zwar wieder sehr in diesen Emotionen drin, aber das geht mir bei den positiven Songs genauso.
Was hat dir am meisten geholfen, dich aus toxischen Dynamiken zu lösen?
Die eigenen Erfahrungen. Wenn man fünf Mal gegen eine Wand rennt, fragt man sich irgendwann: Warum? Ich glaube, das Scheitern ist das, was einem am meisten hilft, zu wachsen. Ich habe zum Beispiel oft ähnliche Erfahrungen, vor allem in Beziehungen, gemacht. Ich lerne immer erst, wenn ich Dinge wiederhole – egal, ob das Beziehungen mit Partnern oder Freund:innen betrifft – und mir wirklich extrem doll wehgetan wird. Es ist total bescheuert, aber es ist so. Ich glaube wirklich, dass es sehr schwer ist, etwas zu lernen, wenn man nicht richtig aufs Maul fliegt.
Welche Art von Liebe willst du jetzt anziehen?
Ich versuche gerade für mich, das Richtige zu finden und zu schauen: Was kann ich geben? Was möchte ich geben? Was ist wirklich eine Entscheidung und wo handle ich vielleicht aus einer Verletzung heraus? Und habe ich jetzt einfach nicht mehr den Mut, eine bestimmte Art von Liebe einzugehen? Ich beobachte mich gerade viel selbst, vor allem, wie ich mich mit Männern verhalte und aus welchen Gründen ich Dinge tue. Ich bin einfach sehr vorsichtig, aber nicht im Sinne von: Ich habe Angst, verletzt zu werden – das ist es gar nicht, sondern eher: Was ist es wirklich, was ich brauche? Doch das ist schwierig, weil ich als Künstlerin immer auf der Suche bin nach etwas, was mich komplett umhaut und mir die Luft zum Atmen nimmt. Aber generell ist für mich wichtig, dass man sich seinen Space nehmen und seine Grenzen aufzeigen kann. Einfach eine gesunde Autonomie, die aber auch Intimität hat.
Spielst du mit dem Albumtitel «STEREO NOIR» auch auf die Schattenseiten des Lebens an?
Ich hatte schon immer einen Hang zu Melancholie und habe mich schon lange und intensiv, auch mit dem Album «Hart Fragil», mit den dunkleren Seiten meiner Persönlichkeit auseinandergesetzt. Jetzt findet sich das alles in so einer Balance und ist wie ein Stereo-Channel, bei dem es zwei gleichzeitige Quellen gibt: Bei mir ist da also diese Dunkelheit und gleichzeitig ein informierter Optimismus und etwas sehr Romantisches. Ich mag auch das Bild, das «STEREO NOIR» aufmacht: Diese ganze Filmnoir-Welt, den musikalischen Einfluss des alten und neuen Paris und die Ikonen der 30er- und 40er-Jahre wie Marlene Dietrich.
Du zeigst dich schon immer bewusst verletzlich. Fällt dir das manchmal noch schwer?
Überhaupt nicht. Ich bin sogar total auf der Suche danach. Wenn es sich für mich nicht echt anfühlt; Wenn es sich nicht anfühlt, als würde ich gerade etwas Ehrliches oder Bedeutsames erzählen, dann hätte ich gar keinen Bock, etwas zu sagen. Es ist also eher das Gegenteil. Ich frage mich immer: War das jetzt gerade ehrlich? Was versuche ich noch zu verstecken? Kann ich es stattdessen bewusst zeigen? Ich glaube, man begreift oft gar nicht, wie gut man darin ist, sich selbst anzulügen. Wie sehr man sich seine Wahrheit strickt. Das muss ich mir manchmal vor Augen halten und mich fragen: Ist das wirklich das, was gerade passiert, oder ist das einfach die Version der Situation, die mich am meisten schützt? Es ist immer eine Suche nach mir selbst. Trotzdem habe ich nicht das Gefühl, ich muss meinem Leben einen besonderen, ganzheitlichen Sinn geben. Ich komme auch irgendwie so ganz gut klar.
Glaubst du, wir Frauen sollten uns wieder öfter verletzlich – und nicht nur stark – zeigen?
Beides. Ich finde, alle sollten das machen, was sich gut und richtig anfühlt. Deshalb würde ich davon absehen, zu sagen: Wir sollten dies oder wir sollten das. Doch es würde uns allen sicher guttun, den Fokus nach innen zu richtigen und viel weniger darauf zu hören, was andere Leute sagen. Heutzutage ist einfach das Meiste, was ich irgendwo sehe oder lese, nur die Kopie von den Gedanken, die ich schon woanders gelesen habe. Es passiert selten, dass wir uns wirklich mit uns selbst auseinandersetzen und Gedanken haben, die unsere eigenen sind und sich auch auf uns selbst beziehen. Ich habe das Gefühl, dass jede:r überall irgendeine beknackte Lösung für alles anbietet. Zum Beispiel fühlen wir uns so und so wegen Mercury-Retrograde. Das ist auch ein bisschen anstrengend, dieses sehr Offene und sehr Verletzliche, wo jede Person, ob man es will oder nicht, einem seine Gefühle vors Gesicht knallt.
Wir werden ja konstant mit Sachen aus dem Aussen zugeballert, bis wir uns nicht mehr hören.
Man hat gar keinen gesunden Umgang mehr mit sich selbst und seinen Gefühlen. Man muss immer sofort alles teilen. Es gibt gar kein vernünftiges eigenes Referenzsystem mehr. Das müssen wir wieder mehr kultivieren. Wenn ich mich nicht abgrenze, überfordert und stresst mich das schnell. Daran arbeite ich noch. Persönliche Grenzen – das ist mein Thema, unabhängig davon, ob in einer Beziehung, in den Sozialen Medien oder allgemein im Lebenskontext. Um irgendwie zu navigieren, muss man wirklich aufpassen und kuratieren, was man reinlässt in sein Inneres und was nicht.
Haben wir in Zeiten von Informationsüberfluss noch Zeit, um uns in Melancholie zu verlieren?
Ich glaube, man hat immer so viel Zeit, wie man sich nimmt – Melancholie ist ein Luxus und ein privilegiertes Gefühl, für das man auch Raum haben muss. Bei mir ist es manchmal so, als läge ein Filter über allem; Eine bestimmte Art, die Welt zu sehen. Ich struggle dann eher damit, dass ich trotzdem ganz viel machen und rüberbringen muss, obwohl ich manchmal gar nicht in der Stimmung dafür bin und lieber mit mir allein wäre. Dann hilft es mir, es anzunehmen. Früher dachte ich, ich muss immer allen ein gutes Gefühl geben und schauen, dass ich selbst nicht zu viel Raum einnehme. Mittlerweile gebe ich mich so, wie ich bin, und wenn ich mich nicht gut fühle, dann sage ich das. Gefühle zu unterdrücken versuche ich, so gut es geht, nicht mehr zu machen. Mache ich es doch, wirke ich aktiv entgegen und hinterfrage mich.
Gibt es einen besonderen Entstehungsmoment im Schreibprozess, den du teilen möchtest?
Bei mir kommt die Inspiration vor allem über Worte. Ich bin eine Wortliebhaberin und lese viel. Daher begegnen mir immer wieder Worte oder Sätze, die mich berühren und die ich dann aufschreibe. Ich hatte zum Beispiel den Satz «Wenn du mit andern Frauen Liebe spielst, spiele ich das Klavier» ganz oft im Kopf, in ganz unterschiedlichen Kontexten. Irgendwann hat er plötzlich aufgrund dessen, wie ich mich zu einem Zeitpunkt gefühlt habe, Sinn ergeben, und daraufhin ist der Song «Junge» entstanden. Bei «Draussen» war es ähnlich. Meistens sind es also Wörter oder Sätze, die ich mit mir herumtrage, und irgendwann verbindet sich ein Erlebnis oder Gefühl damit, dann die Musik und schliesslich kommt der Rest des Songs und es wird ein grosses Ganzes daraus.
Neben Kriegen thematisierst du auch, wie sich in dieser Hinsicht das Menschsein gerade anfühlt. Was hilft dir beim Einordnen von alldem, was so in der Welt abgeht?
Ich versuche, ganz viele Politpodcasts zu hören, weil ich die Dinge greifen können muss und verstehen möchte. Sonst entgleitet einem alles und ruft einen Ohnmachtszustand hervor. Es ist schon nicht so einfach, in der heutigen Welt bei sich zu bleiben und nicht nur ständig irgendeine Art von Eskapismus zu leben. Es ist schon viel, was auf einen einprasselt.
Und bevor wir uns am Samstag (11.05.2024) in Berlin zu deinem Release-Konzert sehen und noch etwas über die Serie sprechen, noch eine Frage: Was wünschst du dir für dein neues Album?
Gute Frage. Ich will natürlich, dass dieses Album direkt von Null auf die Eins geht. Ich wünsche mir, dass es viele Leute hören. Ich glaube, es ist ein echt gutes Album geworden; ein Album, das einen in verschiedenen Hinsichten positiv beeinflussen kann. Und wenn meine Kunst sogar andere Menschen inspiriert, selbst kreativ zu werden, oder ihnen Erkenntnisse beschert, ist das gut.
08. Mai 2024