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Langeweile, please hit me hard!

Es regnet. Da ich nicht im Auto sitze, kann ich den vielen Tropfen nicht bei ihrem spannenden Rennen am Fenster zusehen und tippen, welcher gewinnt. Es ist meistens der unerwartete Aufholer. Egal. Ich wende meinen Blick an die Wohnzimmerdecke, bin fasziniert von all dem Freiraum und frage mich: Wie lange dauert nochmal Langeweile?

Von Janine Friedrich

Die Spülmaschine mischt ein paar Sounds unter die Gedanken in meinem Kopf. Ich liege auf der Yogamatte, lehne meine Beine gegen einen Balken und merke, wie mein Blut die Adern herabfliesst. Angenehm. Wenn ich mich öfter langweile, werde ich dann langsamer alt? Die Zeit vergeht schliesslich weniger schnell – gefühlt. Nicht wie im Flug, sondern eher wie im Zug. Nicht, dass ich es nötig hätte, langsamer zu altern. Seit Jahren werde ich auf Mitte 20 geschätzt, bin aber mittlerweile 31. Gute Gene, gute Gedanken, viel Lachen, hin und wieder Grimassen – falls jemand fragt. Vielleicht sollte ich einfach lügen, damit die Leute mit ihrer Einschätzung über mein Alter richtig liegen – gefühlt. Wäre das schon People Pleasing? Dann lieber nicht. Ganz genau genommen sind wir allerdings alle um die 14 Milliarden Jahre alt, wie das Universum selbst. Warum nehme ich das nicht ab sofort als Antwort auf die Altersfrage, um einfach noch mehr Verwirrung reinzubringen? Deal.

Der Geruch von ihm und mir, von Sex, kommt auf einmal wieder in meine Nase; liegt scheinbar noch in der Luft. Können diesen wunderbaren Duft eigentlich auch andere wahrnehmen? Er haftet noch an mir, zumindest solange, bis ich duschen gehe. Gerade bin ich aber zu beschäftigt damit, in Langeweile zu baden. Abgesehen von dem guten Sex am Nachmittag finde ich für den Rest des Tages alle möglichen zur Auswahl stehenden Tätigkeiten sehr unbefriedigend und gebe mich diesem Gefühl bereitwillig hin. Ich habe mich richtig danach gesehnt, nicht zu wissen, was ich tun soll. Es war nur kurz unangenehm, doch jetzt tut es gut, einfach vor mich hin zu existieren und auf neue Ideen der Beschäftigung zu warten. Jedenfalls mag ich dieses natürliche Parfum, den Geruch von Sex, ungefähr genauso sehr wie Baumarktduft. Ich winkle mein rechtes Bein an, spüre, wie es durch den Blutfluss wieder belebt wird, und nehme meinen Fuss in die Hände, um ihn zu massieren. Tennissocke aus. Mit dieser ungeteilten Aufmerksamkeit hat mein Fuss wohl nicht gerechnet. Je genauer ich meine Zehen betrachte, desto lustiger finde ich sie. Ich fange an zu lachen. Für die innere Balance massiere ich auch noch meinen linken Fuss und lache wieder über meine Zehen, weil ich sie immer noch witzig finde.

Dann fällt mir mein Schlangenwürfel aus Holz ins Auge. Also, er fällt mir nicht wirklich in mein Auge. Er lag ja nicht über mir in der Luft. Wäre aber schon ziemlich cool, wenn manche Dinge einfach im Raum schweben könnten, natürlich ohne herunterzufallen. Für die Astronauten auf der ISS-Station ist das tatsächlich das Normalste der Welt, oder vielmehr das Normalste im All. Verrückt. Als Kind hatte ich immer Angst davor, dass meine Erdanziehungskraft plötzlich schwinden könnte und ich einfach von unserem Planeten falle. Ist zum Glück nie passiert. Wenn ich falle, dann immer auf unseren Planeten. Das habe ich bei der begonnenen und nie komplett zu Ende gebrachten Skydiving-Ausbildung selbst getestet. Fazit: Die Erde findet mich sehr anziehend. Für mich ist es ebenfalls ein klares Match, wenn ich ehrlich bin. Ich nehme mir den Würfel. Hab ihn lange nicht benutzt. Ob ich dieses haptische Rätsel noch lösen kann? Denk schon. Wie erwartet, schaffe ich es direkt beim ersten Versuch. Die Challenge fehlt. Geht das auch blind? Eine knappe halbe Stunde bringe ich es mir bei, dieses unnütze Talent, und beglückwünsche mich selbst, als ich es wirklich ohne Hinschauen schaffe. Jetzt weiss ich, wie sich der unerwartete Aufholer beim Regentropfenrennen fühlt. Wie ein Gewinner.

Ob ich mit einer Rückwärtsrolle auf die Couch komme? Ich versuchs ein paar Mal. Vergeblich. Es würde sich lohnen, das zu üben. Für wen genau, weiss ich noch nicht. Ist halt noch so ein unnützes Talent. Ich seufze laut und fange an zu summen. Dann singe ich etwas, was mir gerade in den Sinn kommt. Ich habe Lust, Gesangsunterricht zu nehmen. Vielleicht treffe ich ja wirklich schon ab und zu Töne. Also für mich klingt es super. Wusste denn der Baum, der der Balken früher mal war, schon immer, dass er mal ein Balken werden würde? Oder wurde ihm seine Bestimmung von anderen aufgezwungen und er gab sich schlichtweg hin? Who knows. Wie ich diese Langeweile vermisst habe. All der Konsum, der sich heutzutage alles verzehrend auf unser Leben auswirkt, lässt uns so viel von uns selbst verpassen. Wie schade. Ich will nicht, dass mein Leben und meine innere Welt vom Aussen verzehrt werden, ohne sie auszukosten. Nur wie schaffe ich das? Mehr kreieren als konsumieren. Mehr Leichtigkeit, Spiel und Entdeckungsgeist in den Alltag integrieren.

Langeweile ist dafür ein perfekter Nährboden, denn dieses komplett interne Erlebnis lässt Kreativität und geistige Aufgeräumtheit durch den Freiraum oder den Leerlauf im Kopf zu. Sind wir gelangweilt, dann ist in unserem Gehirn das sogenannte Default Mode Network (DMN) aktiv. Diese Region lässt abschweifende Gedanken, neue Ideen und Tagträume zu. Haben wir keinen Input, dann entsteht Output aus ganz eigener Quelle. Wenn wir uns also hin und wieder ganz bewusst all den Entertainment-on-Demand-Angeboten entziehen und den ständigen Reizfluss unterbrechen, geben wir uns selbst die Chance, das Erlebte, Gehörte, Gesehene vom Tag wirken zu lassen, es zu sortieren und zu verarbeiten. Halten wir die Langeweile aus und können mit unseren Gedanken sein, ist es gar nicht so langweilig, sondern vor allem wohltuend. Das ist definitiv trainierbar, wir haben es nur etwas verlernt. Früher waren Etappen der Langeweile ganz normal. Wie oft haben wir uns als Kinder gelangweilt? Entstanden in diesen Phasen nicht immer die besten Einfälle? Eben.

20. Oktober 2024

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