Es war eine dieser Nächte, die sich einbrennen. Da stand er an den Decks, DJ Motorola – ganz in seinem Element, und was aus den Lautsprechern kam, war für mich Neuland. Ein Soundbild wie aus einer anderen Welt: roher Ghetto-Tech, durchzogen von Hiphop-Lyrics, zerlegt und neu zusammengesetzt, über schnelle elektronische Basslinien gelegt, gewürzt mit melodischen Synthesizer-Spuren. Ich hatte so etwas in meiner Stadt noch nie gehört – und es fühlte sich an wie eine Einladung.
Aus ersten Singles wurde eine EP, aus der EP nun ein Album: «Razor Blueprint.»
Einige Wochen nach dem Release sprechen wir miteinander. Spätabends, online, wie es sich für zwei Menschen gehört, deren produktivste Stunden jenseits der Bürozeiten liegen.
DJ Motorola spricht ruhig, fast zurückhaltend. Kein selbstinszenierter Mythos, keine Pose. Seine Musik braucht das nicht. Was mich rührt, ist seine Bescheidenheit. Was mich beeindruckt, ist seine Arbeitsmoral. Und vielleicht ist es genau das, was seine Tracks so besonders macht: dass in ihnen jemand spricht, der nicht laut sein muss, um gehört zu werden.
Wie geht es dir mit dem Release?
DJ Motorola: Gut, danke. Ich bin sehr froh. Ich bin, als wir das letzte Mal gesprochen haben, noch gar nicht sicher gewesen, ob das Ding noch das Licht der Welt erblickt. Weil es oft so ist, dass, wenn du sehr lange an einem Projekt arbeitest, du das Produkt gar nicht mehr interessant findest, weil es dir verleidet ist. Einfach weil du so zu lange dran bist. Weil du die einzelnen Lieder schon zu oft gehört hast.
Es wäre aber schade gewesen, so ein langes Projekt mit meinem Laptop, welcher mittlerweile schon acht Jahre alt ist, sterben zu lassen. Die Rückmeldungen sind herzlich, ehrlich und schön.
Die Arbeit an diesem Projekt hat also eine Weile gedauert?
Ja! Aber es gibt Phasen, in welchen du gar nicht viel daran arbeitest. Andere Phasen, in welchen du extrem in das Projekt investiert bist. Dann gab es wirklich viele Tracks, die ich angefangen habe, die es nicht aufs Album geschafft haben. Schlussendlich sind es sieben geworden. Das ist schon eine sehr destillierte Version von dem, was der Folder auf meinem Desktop schlussendlich an offenen Projekten gehabt hätte.
Der Titel «Razor Blueprint» hat eine starke Wirkung – und klingt dabei fast schon musikalisch, wenn man ihn ausspricht. Wie kam es dazu?
Dass der Titel so gut über die Lippen geht, freut mich. «Razor Blueprint» sollte ursprünglich nur ein Trackname sein, aber je öfter ich ihn sagte, desto klarer wurde: Das ist mehr. Der Klang fühlte sich von Anfang an stimmig an – rund, fast selbstverständlich.
Was die Bedeutung betrifft: Mein DJ-Name ist eine Hommage an das «Motorola Razr» – dieses ikonische Flipphone aus dem Jahr 2008, das ich ästhetisch einfach wahnsinnig stark fand. Der Name ist eine Verneigung davor. Und so trägt auch das Album diesen Bezug in sich: Razor verweist auf das Motorola Razr und Blueprint steht für meinen musikalischen Bauplan – für die Essenz dessen, was meinen Sound ausmacht. Es ist mein Blueprint als DJ Motorola.

Wie hat sich dein Sound über die Jahre verändert – welche Einflüsse sind geblieben oder in den Hintergrund getreten?
Wenn ich meiner Musik ein Genre zuordnen müsste, würde ich sie als introspektive elektronische Musik bezeichnen – auch wenn es diese Kategorie so vielleicht gar nicht gibt. Begriffe wie «Intellectual Dance Music» gehen in eine ähnliche Richtung, wirken für mich aber unpassend. Was soll schon «intellektuelle Musik» sein?
Introspektiv trifft es besser – gerade in Bezug auf das Album. Auch wenn es elektronische Musik ist, die man oft mit Tanzen und lauten Boxen assoziiert, bleibt der Kern eher nach innen gerichtet. Diese Haltung zieht sich durch die Tracks – unabhängig vom Tempo. Selbst der siebte Track, der mit 180 BPM an der Oberfläche schnell wirkt, hat für mich etwas Ruhiges, fast Meditatives. Genauso wie der Ambient-Track ohne jede Rhythmusstruktur. Es ist Musik, die man nicht unbedingt hören muss, sondern in die man sich versenken kann – am besten mit Kopfhörern, in Stille, ganz bei sich.
Eine schöne Definition – gerade weil sie offen bleibt. Introspektiv meint dann weniger ein Genre als einen Zustand: das Hören als Moment des Bei-sich-Seins.
Was es in anderen auslöst, kann ich nicht beurteilen. Ich weiss einfach, wie ich mich fühle beim Produzieren oder wenn ich es selber höre. Und ich kann nur ahnen, dass es anderen auch ähnlich gehen könnte.
Deine Sample-Arbeit hat etwas zutiefst Transformierendes. Entsteht bei dir zuerst ein Beat, eine Idee, ein Rhythmus – oder beginnt alles mit dem Sample selbst? Gibt es eine feste Herangehensweise, oder ist der Prozess eher intuitiv, suchend?
Bei mir gibt es tatsächlich beide Herangehensweisen. Manchmal höre ich irgendwo eine kurze Sequenz, die sofort inspiriert. Dann starte ich mit dem Sample, ohne dass Melodie oder Drums schon da sind. Bei Bust-That war das so: Ich wusste, der Lil-Will-Schnipsel passt perfekt, die Melodie kam erst später dazu.
Oft ist es aber umgekehrt: Ein Track steht bereits – mit Beat, Bassline, Harmonie – und mir fehlt ein vokales Element. Gerade in elektronischer Musik ist das nicht selbstverständlich, aber ich finde, es bringt Tiefe. Gut gesetzte Vocals stören selten, im Gegenteil. Ich verfremde sie stark – mit Reverb, Delay, Pitch –, manchmal reichen Millisekunden, wie ein Fragment aus White Flag von Dido, das sich am Ende fast wie ein eigenes Instrument anfühlt.
Dieser transformative Umgang mit Samples – als Ausgangspunkt oder Ergänzung – ist für mich essenziell.

Wie hast du für dich den Rahmen dieses Projekts gefunden – gab es für dich einen klaren Anfang, ein Ende und eine Idee davon, wie das Ganze als stimmiger Fluss funktioniert?
Welche Tracks ins Album kommen und in welcher Reihenfolge, habe ich im Prozess immer wieder neu entschieden – die Reihenfolge sicher über hundertmal angepasst. Klar war nur: Die pianistische Ouvertüre gehört an den Anfang, der schnellste, kraftvollste Track ans Ende. Alles dazwischen war offen – zuletzt habe ich mich vor allem am Tempo orientiert. Hier hat das einfach Sinn ergeben.
Was bewegt dich an Musik – und warum ist sie deine Kunstform?
Ein grosser Teil meiner Inspiration kommt aus dem Hören elektronischer Musik – im Club, aber auch allein. Dieser Moment, wenn ein Track dich trifft, sei es durch Drums oder eine Melodie, die hängen bleibt, ist oft der Auslöser für meine eigenen Schaffensprozesse. Manchmal reicht auch ein Sound in einer Serie oder ein Jingle in einem Video – und plötzlich ist der Impuls da, alles stehen zu lassen und einen neuen Track zu beginnen.
Musikmachen bedeutet mir viel – nicht nur als Ausdrucksform, sondern als schöpferischer Akt. Es geht weniger darum, dass es Musik sein muss, sondern darum, überhaupt etwas zu erzeugen, statt nur zu konsumieren. Ich glaube, kreatives Tun – in welcher Form auch immer – ist wesentlich für das menschliche Glück.
Würdest du sagen, es geht dir um eine Balance zwischen Konsum und Kreation?
Es spielt keine Rolle, was man erschafft – entscheidend ist, dass man es tut. Etwas zu kreieren, statt nur zu konsumieren, hat für mich etwas Befreiendes. Musik ist mein Weg, diesen Ausgleich zu leben. Was sie in mir auslöst, hängt stark vom jeweiligen Track oder Stil ab. Besonders melancholische Klänge berühren mich – sie sind nicht zwingend traurig, sondern können auch Hoffnung, Sehnsucht oder stilles Glück in sich tragen.
Musik hat die Kraft, Gefühle einzufangen und Erinnerungen zu verankern. Ein Lied wird Teil einer Zeit – und ruft sie jedes Mal zurück. Genau das macht sie für mich so besonders.
Der Release eines Werks ist mehr als nur ein Abschluss – er ist auch ein Akt des Teilens, des Zeigens. Inwiefern ist das für dich nicht nur introspektiv, sondern auch expressiv?
Das ist eine spannende Beobachtung. Ich glaube, Musik ist im Ausdruck oft stärker kodiert als etwa Text oder visuelle Kunst – sie gibt weniger direkt preis, was in einem vorgeht. Gleichzeitig ist das Veröffentlichen ein zutiefst expressiver, fast extrovertierter Akt. Erst in diesem Moment stellt sich die Frage: Ist das, was ich gemacht habe, gut genug? Musik erlaubt es, etwas zu teilen, ohne sich ganz offenzulegen. Die innere Bewegung bleibt teilweise verborgen – und gerade darin liegt ihre Kraft. Auch introspektive Musik hat eine Aussenwirkung.
Wann weisst du, dass etwas fertig ist – trotz der Tatsache, dass kreative Prozesse im Grunde endlos sein könnten?
Ja, auf jeden Fall. Für mich ist ein Track dann abgeschlossen, wenn er musikalisch vollständig klingt – also auf der Ebene der Frequenzen ausgeglichen ist: Tiefen, Mitten, Höhen. In meinem Genre braucht es meist eine Bassline, Drums, Harmonien, Melodie – etwas, das das Gehör auf verschiedenen Ebenen anspricht. Manche arbeiten da sogar mit Checklisten. Wenn all diese Elemente stimmig ineinandergreifen und es professionell klingt, fühlt es sich für mich fertig an.
Der Dunning-Kruger-Effekt, sagt er dir etwas?
Nein.
Er beschreibt gut, wie man sich in neue Dinge einarbeitet: Anfangs steigt das Selbstvertrauen schnell – man hat das Gefühl, man versteht alles sofort. Der Punkt wird manchmal Mount Stupid genannt. Dann folgt die Ernüchterung – Stall of Disillusionment –, wenn man erkennt, wie viel man eigentlich noch nicht weiss. Erst danach beginnt ein langsamer, nachhaltiger Lernprozess.
So war es auch bei mir, als ich anfing, Musik zu produzieren. Anfangs habe ich Tracks auf Soundcloud hochgeladen und gedacht: Das ist fertig. Rückblickend war das übermütig – technisch schlecht produziert, übersteuerter Bass, keine Balance. Ich hatte das Handwerk noch nicht verstanden.
Mit der Zeit kam die Erkenntnis: Komponieren ist nur der erste Schritt. Danach folgen die Feinheiten – Mix, Mastering, Soundqualität über verschiedene Anlagen hinweg. Und mit dieser Erkenntnis kam auch Unsicherheit: Ist es jemals gut genug?
Heute sehe ich das differenzierter. Geschmack ist subjektiv – nicht jeder muss meine Moll-Melodien oder Breakbeats mögen. Aber die technische Qualität muss stimmen. Ein Track ist für mich erst dann wirklich fertig, wenn ich ihn ohne Angst veröffentlichen kann – mit dem Gefühl: Das ist sauber produziert. Der Rest ist Geschmackssache.

05. Juni 2025