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«Körper und Nacktheit sind zeitlos» – Chantal Convertini im Interview

Ihre Bilder sind zeitlos, sanft, ehrlich. Dabei immer im Mittelpunkt: Der Mensch und sein Körper. Chantal Convertini hat mit uns über ihr liebstes Sujet und ihre Leidenschaft zur Fotografie gesprochen.

Von Aysin Kirver

Schon als kleines Kind vergnügte sich Chantal mit kreativen Aktivitäten wie Zeichnen, Malen und Tanzen. Die Freude an der Kamera entdeckte sie als Teenie. Damals war die Kamera ein Mittel fürs Dokumentieren verschiedenster Sachen. Als sie sich mit der Zeit Wissen über die Fotografie aneignete, änderte sich ihre Perspektive drastisch. Für sie war klar; dass ein Foto das gleiche Potential hat, wie eine weisse Leinwand.

Die Fotografie ist für Chantal eine Art, die Welt zu sehen, eine Leidenschaft, die es ihr erleichtert sich mit anderen an einem Punkt zu treffen. Nach ihrem Abschluss hätte sie Kunst unterrichten können. Sie entschied sich aber für die Fotografie und machte sich selbstständig. Nun lehrt sie mit ihrer intimen, ehrlichen Fotografie Selbstliebe. Ihr Hauptsujet: Menschliche Körper.

Warum hast du den Körper als Sujet deiner Bilder gewählt? 

Chantal: Der Körper ganz allgemein ist für mich faszinierend. Ich tanze seit ich acht Jahre alt bin. Körper, Ausdruck und Bewegung war und ist etwas, das mich in seinen Bann zieht.

Angefangen habe ich mit der Portraitfotografie. Der Körper war dann irgendwann eine so natürliche Erweiterung von Ausdruck und Emotion, dass es logisch schien, ihn in meine Fotografie miteinzubeziehen. Mit dem Entdecken mehrerer Künstler:innen, die mit Nacktheit arbeiten, habe ich mich auch in die Haut als Sujet verliebt. Körper und Nacktheit sind zeitlos, etwas besonders, ehrliches, starkes, verletzliches. Es ist und bleibt meine liebste Ausdrucksform.

Was erhoffst du dir mit deiner Fotografie verändern zu können? 

Zu Beginn war da kein Gedanke an ein grösseres Ganzes, oder an etwas, das ich verändern könnte. Ich habe meine Fotografie auch lange nicht als «Kunst» angesehen.  Erst nach Jahren in der Fotografie und dem Arbeiten mit Körpern und täglich konfrontiert werden mit Zensur und Regeln, wurde mir klar, dass ich gerne den Körper, speziell jener der Frau, in nicht sexualisiertem Kontext zeigen möchte. Für mich und viele andere ist es extrem befreiend, den Körper auch in einem komplett Sex-freien und natürlichem Kontext zu sehen.  In der Kunst kriegt der Körper in meinen Augen etwas spielerisches, emotionales und kraftvolles.

Ich hoffe, einen kleinen Teil dazu beizutragen, dass Körper und Nacktheit neu vermittelt werden und so ihre Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit, frei von Tabus und Scham, zurückerhalten.

Wie stehst du selbst zu deinem Körper? 

Auch ich hatte mit meinem Körper und mit mir selbst lange gehadert. Selbstportraits zu machen und mich komplett frei und eigen zu sehen, hat mir sehr geholfen ganz viel Selbstliebe zu kultivieren. Ich liebe nicht alles bedingungslos an mir, aber alles darf seinen Platz haben und ist gut so wie es ist.

Wann fühlst du dich am wohlsten in deinem Körper? 

Wenn ich genug geschlafen habe, viel Bewegung hatte – tanzend oder fotografierend, ich freudvoll und energiegeladen bin, in der Sonne sitzend.

Hatte die Fotografie einen Einfluss auf dein Körperbild? 

Absolut! Alles, was selbstliebend und selbstreflektierend ist, hat einen enorm positiven Einfluss auf mein Körperbild. Alles, was von aussen auf mich einprasselt, Bilder von perfekten Körpern, haben definitiv negative Spuren hinterlassen. Spuren die man erst wieder ablegen muss, mit viel Arbeit.

Was empfiehlst du Menschen, die sich nicht wohl in ihrem Körper fühlen?

Sich im eigenen Körper wohlzufühlen ist extrem schwierig, weil wir uns ständig vergleichen. Aber unser Körper ist etwas absolut Wundervolles.  Ein Powerhouse, dem man viel Liebe schenken soll. Man sollte jeden Tag dankbar sein und die Kritik die im Hinterkopf schwirrt, loslassen, sich mit liebendem Blick betrachten und das, was man sieht zu lieben lernen. Gleichzeitig sollte man sich von Medieninhalten freihalten, die einen schlecht fühlen lassen. Bilder beeinflussen uns sehr.

Was ebenfalls helfen kann: Jeden Tag sich und seinem Körper etwas Gutes tun. Braucht er Ruhe? Eine Pause? Bewegung? Musst du mal schreien oder rennen? Und last but not least: Ich glaube Selbstportraits könnten allen helfen.

Was hältst du von den heutigen Vorstellungen eines perfekten Körpers? 

Es ist immer noch so, dass das Bild der super schlanken, perfekten Frau und des muskulösen Mannes vorherrscht. Aber es gibt auch ganz viele sichtbare Veränderungen, die extrem schön und wichtig sind. Verschiedene Marken, die versuchen ihre Werbungen mehr inclusive zu gestalten.

Ein grosses Problem sehe ich immer noch auf Social Media, wo Algorithmen vermeintlich perfekte Körper favorisieren, weil es die Leute zu mehr Engagement bringt. Es ist tief in uns verankert was wir kulturell und teilweise auch biologisch – wirklich nur teilweise – als schön empfinden.

Auch nicht zu vergessen: Es sind sehr viele junge Menschen auf diesen Medien unterwegs, die vielleicht noch nicht kritisch über die Nutzung nachgedacht haben. Sie möchten einfach dazugehören, erfolgreich sein und dazu muss man eben schlank, cool und schön sein. Immernoch. Das muss unbedingt verändert werden und es bedarf an viel Aufklärung.

Inwiefern schränken Plattformen deine Fotografie ein?

Was für ein Thema! Es ist vor allem Instagram, das als meine Hauptreichweite ein wichtiger Teil meines Jobs ist, das mir das Leben schwer macht. Es hat mir so viel ermöglicht, der Algorithmus und all die Regeln, machen mir die Arbeit aber schwer. Wir haben eine richtige Hass-Liebe. Auf Patreon wiederum, als mein Haupteinkommen, sieht man echte, unzensierte Bilder – lediglich ein Blick in die/den Künstler:in, ohne Werbung. Das ist Kunst für mich.

09. Juni 2022

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