Auch ich bin Teil der Klimajugend, zwar nie ganz vorne dabei, aber immer irgendwo eingequetscht in der Masse zwischen farbigen Schildern, Megafons und schreienden Stimmen. Diese Schreie richteten sich oftmals auch direkt an den Bund. Bei diesem Artikel wollte ich einmal die Perspektive wechseln und habe mich dazu mit Reto Burkard, dem Co-Leiter der Abteilung «Klima» vom BAFU, zur aktuellen Klimastrategie des Bundes unterhalten.
Kurz zur Klimastrategie 2050 selbst: Durch das Übereinkommen von Paris (Dezember 2015, die Schweiz ist 2017 beigetreten) wurden die Schweiz sowie die anderen Staaten der Staatengemeinschaft dazu aufgefordert eine langfristige Klimastrategie für den Zeithorizont bis 2050 zu erarbeiten. Die «Langfristige Klimastrategie der Schweiz» wurde vom Bundesrat anfangs 2021 verabschiedet und beim UNO-Klimasekretariat eingereicht. Ziel der Strategie ist es, mögliche Wege der Schweiz für die Erreichung des 2019 vom Bundesrat beschlossenen Netto-Null Ziels 2050 (Klimaneutralität) aufzuzeigen.
Was genau ist ein klimaneutraler Staat?
Reto Burkard: In einem klimaneutralen Staat werden nicht mehr Treibhausgase ausgestossen als mit natürlichen oder technologischen Speichern wieder aufgenommen werden können. Natürliche Speicher sind zum Beispiel Pflanzen oder Bäume und technische Speicher wären beispielsweise Anlagen, die direkt CO2 aus der Atmosphäre rausfiltern, das danach sicher im Untergrund gespeichert wird; dies z.B. in Island. Schlussendlich soll die Bilanz zwischen den Emissionen und den Speichern null betragen.
Die Strategie hält aber fest, dass die Schweiz vorrangig ihre Emissionen so stark wie möglich reduzieren muss. Dies betrifft hierzulande vorallem die Bereiche Verkehr, Gebäude, Industrie und Landwirtschaft. Speicher sollen nur zum Einsatz kommen für Emissionen, die schwer vermeidbar sind.
Ein Grossteil der Emissionen von der Schweiz fallen «indirekt» an (z.B durch importierte Güter); inwiefern werden diese bei der Erreichung der Ziele beachtet?
Für die Erreichung der Klimaziele der Staaten und dem Übereinkommen von Paris werden nur die Emissionen berücksichtigt, die innerhalb der Staatsgrenzen der Schweiz anfallen. Die sogenannten «grauen Emissionen», die beispielsweise durch den Konsum anfallen, werden in dieser Klimabilanz nicht berücksichtigt. Dies hat auch damit zu tun, dass es methodisch eine riesige Herausforderung ist, Emissionen, die im Ausland anfallen, dem «Verursacher» zuzuordnen. Die Staatengemeinschaft geht davon aus, dass, wenn wir beispielsweise Emissionen in China verursachen (durch die Produktion von Konsumgütern etc.), die negativen Folgen der Emissionen oder die Kosten für die Emissionsreduktion im von China exportierten Produkt eingepreist werden.
Diese grauen Emissionen werden aber zunehmend politisch diskutiert.
Warum ist es wichtig, dass die Schweiz bis 2050 klimaneutral wird?
Aufgrund der geographischen Lage ist die Schweiz besonders vom Klimawandel betroffen. Hierzulande steigen die Temperaturen doppelt so stark wie im weltweiten Durchschnitt. Das bedeutet, wenn man von einem globalen Temperaturanstieg von 1,5 Grad* spricht, nehmen die Temperaturen in der Schweiz um rund drei Grad zu.
Wir sind in einer guten Ausgangslage, um Klimaneutralität zu erreichen und damit unseren Beitrag an das globale, gemeinsame Ziel zu leisten: Wir haben extrem gut ausgebildete Leute und gute Voraussetzungen, um klimafreundliche Konzepte und Technologien zu entwickeln, die wir auch in andere Länder exportieren können.
(*Hier ist der Temperaturanstieg gemeint im Vergleich zur vorindustriellen Zeit und dies bedeutet nicht einfach ein längerer Sommer!)
Sind wir auf dem richtigen Weg, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen? Können wir es uns leisten, diese Ziele von Paris nicht zu erreichen?
Ich denke die Staatengemeinschaft kann sich das nicht leisten. Wenn wir das Ziel von 1,5 Grad** verfehlen, werden bei den Ökosystemen irreversible Schäden stattfinden. Technologisch ist es möglich, dass die Schweiz bis 2050 klimaneutral sein wird. Aber es ist sicher so, dass die Zeit drängt. Das neue CO2 Gesetz, über das die Schweiz 2021 abgestimmt hat, wäre ein erster richtiger Schritt gewesen in Richtung Netto Null. Das Volks-Nein war aber nicht ein Nein zum Klimaschutz im Allgemeinen, sondern mehr ein Nein zu gewissen Massnahmen.
Aufgrund dieser Konstellation haben wir Zeit verloren, die wir jetzt aufholen müssen. Für den Bundesrat steht eine Abkehr vom Netto-Null Ziel nicht zur Diskussion. Nach der Ablehnung hat der Bundesrat innert Rekordzeiten einen Vorschlag für ein neues CO2-Gesetz vorgelegt. Voraussichtlich wird er noch in diesem Jahr die definitive Version verabschieden und dann dem Parlament zur Beratung übergeben. Die Absicht des Bundesrates ist, dass das Gesetz am 01.01.2025 in Kraft tritt.
** dies ist eine der Zielsetzungen des Pariser Klimaabkommens
Was sind nun die nächsten Schritte der Schweiz?
Die Schweiz hat sich mit dem CO2-Gesetz zum Ziel gesetzt ihre Emissionen bis 2030 gegenüber 1990 zu halbieren. Dieses Ziel hat sie auch unter dem Pariser Übereinkommen eingereicht. Das wichtigste klimapolitische Instrument, um dieses Ziel zu erreichen, ist das CO2-Gesetz***. Selbstverständlich tragen auch andere Gesetzgebungen zum Klimaschutz bei, wie z.B das Energiegesetz Das geltende CO2-Gesetz lief Ende 2021 aus, wurde aber Anfang dieses Jahres bis bis Ende 2024 verlängert. Für die Zeit von 2025 bis 2030 soll ein neues CO2-Gesetz die Verminderung der Emissionen regeln.
***hiermit ist das momentan geltende CO2-Gesetz von 2012 gemeint
Was würden Sie unseren Leser:innen gerne mitgeben, wie können wir dazu beitragen die nationalen Klimaziele zu erreichen?
Ich möchte die Bevölkerung ermutigen, dass man die Verantwortung nicht komplett an den Staat abgeben soll. Natürlich kann der Staat die Grundlagen für klimafreundliches Handeln schaffen, dafür gibt es das CO2-Gesetz. Schlussendlich sollte aber auch jeder Mensch sorge zur Umwelt tragen und eigenverantwortlich aktiv werden. Es gibt hier viele Hebel im Bereich Wohnen, Essen und der Mobilität. Dafür muss man nicht auf die kommenden Gesetzgebungen warten.
Meine Konklusion zu dem Gespräch
Es war sehr spannend, mehr über das Vorgehen des BAFU zu erfahren. Denn bekanntlich ist es viel einfacher, von aussen her Dinge zu kritisieren, als die konkrete Planung und Umsetzung innerhalb eines Staates und seinen Systemen.
Bezüglich der Zielerreichung hat es mich überrascht, dass graue Emissionen für die Erreichung vom Status der Klimaneutralität überhaupt nicht miteinberechnet werden müssen. Mir ist bewusst, wie kompliziert die Berechnung dieser Emissionen ist. Allerdings ist somit Vorsicht geboten, wenn man von einem klimaneutralen Staat spricht! Ich frage mich auch, ob wir die Verantwortung dieser Emissionen als wohlhabendes Land einfach auf die Ursprungsländer «abschieben» können, da die Emissionen dort aufgrund unseres Konsumverhaltens anfallen. Zudem ist fraglich, ob Staaten wie China diese Emissionen wirklich lokalisieren und die externen Kosten in ihre Preisberechnung mitaufnehmen.
Die kommunizierte Selbstverantwortung sehe ich ab einem gewissen Punkt kritisch an. Ja, wir alle müssen zum Handeln nicht auf Gesetzgebungen warten. Aus meiner Sicht muss der Staat aber die nötigen Rahmenbedingungen schaffen, damit ein nachhaltiger Lebensstil erstrebenswert ist. Unabhängig vom Status der Sensibilisierung und des persönlichen Interessens dem Klimaschutz gegenüber.
Und dann ist da noch das Ding mit der Zeit. Zeit, die uns irgendwann nicht mehr bleibt, um sie sich zu nehmen. In Anbetracht der (unvorstellbaren) Auswirkungen auf unseren Planten, all seinen Bewohner:innen der Gegenwart und der Zukunft. Der gegenwärtige Rekordsommer – getrieben von Hitze und Waldbränden – zeigt, dass gravierende Veränderungen bereits heute stattfinden.
20. August 2022