Der Tod kommt manchmal plötzlich. Wissen wir. Jedoch rechnen wir gerade in jungen Jahren nicht damit. Yuya ist eine Frohnatur. Selbstkritisch, chaotisch, weltoffen, wunderschön und «verwitwet». Mit 17 Jahren wurde sie vom plötzlichen Tod ihres drei Jahre älteren Freundes *Alex überrascht. Er starb an einem nicht erkannten Herzfehler.
Yuya, wenn dein Leben verfilmt werden würde, also eine Art Biografie, wäre es ein Drama, eine Komödie oder eine Romanze?
Kein Drama weil ich nicht will, dass mein Leben als traurig angesehen wird. Nachdem mein Freund verstorben ist, habe ich nach zwei Stunden schon den ersten makaberen Witz gemacht. Das Leben muss humorvoll sein, sonst verkümmern wir. Also vielleicht wär es so eine Art DramCom, dramatisch aber irgendwie lustig. Kein Film ist gut, wenn ich nicht weinen muss. Ricky Gervais Afterlife ist ein gutes Beispiel.
Erzähl mir was von deinem verstorbenen Freund.
Alex ist ambitioniert, humorvoll und allgemein ein unheimlich liebes Wesen.
Warum sprichst du im Präsens von Alex?
Ja, ich weiss, dass er seit fast zwei Jahren tot ist, aber irgendwie ist er auch noch hier. Dinge die er gelebt hat, probiere ich weiter leben zu lassen. Er ist wie der kleine Engel auf meiner Schulter, die Gegenpartei zu meinem Tüüfeli, der mich daran erinnert immer weiterzumachen und positiv zu bleiben.
Verstehe. Zurück zu Alex.
Alex wurde von allen gemocht, die ihn kennenlernen durften. Er war sehr selbstbewusst, unglaublich lustig und zuvorkommend. Er hat das Leben so geliebt und so gestaltet, dass es für ihn perfekt war. Damals hat mich das zur Weissglut gebracht! Jetzt bin ich froh darüber. Er ist gestorben nachdem er immer das getan hat, was er liebte. Ein kleiner Egoist, aber im Nachhinein muss ich sagen, er hat genau nach dem Motto gelebt, welches mir jetzt auch richtig erscheint: «Das Leben ist zu kurz um Dinge zu tun welche wir nicht gerne tun.»
Er ist zwei Tage vor deinem 18. Geburtstag gestorben. Wie war das für dich?
Er war ja drei Jahre älter als ich und dadurch schon etwas unabhängiger. Wir haben uns gemeinsam darauf gefreut, dass ich auch bald erwachsen werde, Auto fahre und so. Als mir bewusst wurde, dass ich nicht nur ganz allgemein mein Leben ohne ihn weiterleben muss, sondern besonders diese grossen Schritte ohne ihn machen werde, wurde ich irgendwie noch trauriger. Wir Jungen können uns den Tod irgendwie gar nicht richtig vorstellen, jedenfalls nicht den Tod von Gleichaltrigen oder den eigenen Tod. Mit 80 hattest du 80 Jahre lang Zeit, dich darauf vorzubereiten – sofern das möglich ist. Ich hatte nicht einmal 18. Ich wurde dazu gezwungen mich damit auseinanderzusetzen, Tag ein Tag aus.
Wie lange wart ihr zusammen?
Wenn man es genau nimmt, ist er kurz vor dem 3. Jahrestag gestorben. Ungenau genommen etwa ein Halbesjahr länger. Wir hatten ein rechtes Geschleick bevor wir zusammengekommen sind. (lächelt)
Wenn du an die Monate nach seinem Tod denkst, würdest du heute anders damit umgehen?
Nicht direkt – Ich denke nicht, dass es ein Handbuch fürs richtige Trauern gibt. Ich habe mich aber extrem früh wieder in meinen Alltag gestürzt. Ich bin arbeiten gegangen, habe meine Fahrprüfung bestanden, einen neuen Job gesucht, bin meinen Verpflichtungen nachgegangen. Ich war aber auch jedes Wochenende feiern, in der Hoffnung nicht in der Trauer zu versinken. Ich machte, was sich intuitiv gut anfühlte, auch wenn es sich dann doch als falsch entpuppte. Ich war noch nicht wieder in meine Kraft gekommen, und alles hat mich oft eingeholt. Ich hätte öfters absagen sollen, was auch verständlich gewesen wäre und mir für alles etwas mehr Zeit lassen sollen.
Was hat sich konkret seither für dich geändert?
Alles hat sich verändert. Klar, mehr oder weniger bin ich noch dieselbe Yuya, aber ich bin ruhiger geworden, bewusster und ich schätze das Leben viel mehr. Jetzt wo ich weiss, wie schnell es vorbei sein kann.
Meine fuck it Mentalität ist auch mit ihm gegangen. Ich habe seither eine innerer Ruhe die ich zuvor nie hatte. Ich erkenne die Relevanz der Dinge die mich beschäftigen, ich kenne meine Grenzen und höre auf meinen Körper, was er mir sagen will. Ich mache jetzt mehr Sachen einfach für mich, und nicht für die Meinung von anderen.
Hast du nach seinem Tod eine Therapie gemacht?
Nicht unmittelbar – erst vier Monate danach.
Wieso hast du gewartet?
Mein Vater ist Psychologe, nicht praktizierend aber er hat mir sehr geholfen. Mit der Zeit gab es dann aber immer wieder Dinge, die ich ihm nicht erzählen konnte oder wollte. Vielleicht hatte es auch etwas mit Stolz zu tun, also dass ich so lange gewartet habe. Ich wollte zuerst mit mir selbst schauen, was ich alleine bewältigen kann. Dann habe ich aber bemerkt, dass ich es nicht mehr konnte und habe mir Hilfe gesucht.
Du hast jetzt einen neuen Freund, mit ihm lebst du auch zusammen. Wie hast du das erlebt, dass du doch relativ schnell mit jemand anderem zusammengekommen bist?
Ich war einfach glücklich wieder lieben zu können und geliebt zu werden.
Ich wusste, ich kann diese zwei Menschen nicht miteinander vergleichen, und Alex nicht durch jemand anderen ersetzen. Ich werde nie über Alex hinweg kommen. Ich liebte ihn und werde ihn immer lieben, es ist nicht wie bei einer Trennung, wenn man irgendwann loslassen kann, vielleicht die Person auch nicht mehr liebt. Bei uns war es anders, der Tod hat uns getrennt, kein Streit, keine fehlende Liebe, die ist geblieben. Manche bezeichnen Alex als meinen Ex-Freund. Er ist nicht mein Ex, er ist mein verstorbener Freund. Ex heisst für mich wir haben es beendet, aber das haben wir nicht. Mein jetziger Freund weiss das und muss sich damit abfinden.
Was hat dir in den letzten zwei Jahren am meisten geholfen deine Trauer zu bewältigen?
Weinen. Ganz viel. Ich habe auch viel darüber geschrieben und gute Serien geschaut, einfach um aktiv traurig zu sein. Manchmal half es mir, darüber zu reden, dann wieder nicht. Und natürlich waren meine unglaublich loyalen Freunde eine grosse Hilfe. Auch Alex’ Freunde haben mich so unfassbar unterstützt. Wir waren zuvor nicht wirklich befreundet, einige habe ich gar nicht gekannt, jetzt sind sie meine besten Freunde.
Identifizierst du dich mit seinem Tod?
Es ist eine Zwickmühle, darüber rede ich auch oft mit meiner Psychologin. Es wird immer ein Teil von mir sein. Es beeinflusst meinen Charakter, aber meine Wurzeln sind irgendwie immernoch dieselben. Ich will nicht «Yuya mit dem toten Freund» sein, aber irgendwie will ich trotzdem dass man weiss, was mir widerfahren ist. Es ist zwar geschehen aber das Erlebte macht mich nicht aus. Ich bin ja nicht nur die verwitwete Freundin.
Wo siehst du dich in fünf Jahren?
Das weiss ich nicht und ich will es auch nicht wissen. Ich mache keine Pläne für die ferne Zukunft.
Wieso?
Weil ich mir schon einmal mein künftiges Leben ausgemalt habe, und dann kam alles anders. Vorausschauen ist im Verkehr und der Ausbildung gut, nicht aber im Leben. Das Leben ist unberechenbar. Es wäre reine Zeitverschwendung etwas zu planen was eventuell nie zustande kommen wird. Langfristige Ziele setze ich nicht, klar ich definiere kurzfristige Ziele und Ideen und so, aber wenn ich morgen sterbe dann bringt mir mein Plan für die nächsten fünf Jahre auch nichts.
War sein Tod auch eine Art Bereicherung für dich?
Ja, ich habe unglaublich viel gelernt und bin sehr daran gereift. Es machte mich stärker – ich liebe mein Leben immernoch und schätze es mehr denn je. Ich bin oft traurig, und mir geht es beschissen aber das gehört dazu.
Ich bin seither auch in einem Zwiespalt bezüglich suizidalen Menschen oder Menschen, die oft schlecht über ihr Leben reden. Klar sind ihre Probleme auch ernst zu nehmen aber es gibt so viele Menschen die gerne gelebt hätten und es nicht konnten. So wie Alex. Er hatte keine Wahl.
(*Name von der Redaktion geändert)
25. Oktober 2020