Logo Akutmag
Icon Suche

«Lange hatte ich gar nicht das Bedürfnis, dass meine Musik das Zimmer verlässt» – Jamila im Interview

Es gibt Menschen, die sind mit einem aussergewöhnlichen Talent gesegnet. Oft erkennen sie dieses jedoch selbst nicht oder zweifeln es an. Das tat auch Jamila bis vor Kurzem. Ich kenne sie seit einigen Jahren, wir schrieben gemeinsam in ihrem Kinderzimmer Songs und ich hörte ihrer Angel-Voice beim Singen zu. Nun, einige Jahre später wagt sie endlich den Step in die Öffentlichkeit und droppt «Indifferent», die Single ihrer soon-to-be-released Debut-EP «Fadeout». Ich habe mich mit ihr darüber unterhalten.

Von Leila Alder

Ich kenne dich schon lange. Dein Talent auch. Warum hat es so lange gedauert bis du endlich den Schritt in die Öffentlichkeit gewagt hast?

Jamila: Musik ist für mich etwas sehr persönliches. Etwas, in dem ich meine tiefsten Ängste, Unsicherheiten und Gedanken verarbeite, die ich sonst nicht so leicht mit anderen teilen kann. Musik ist für mich ein Safespace geworden, der mir die Möglichkeit gibt, ehrlich zu mir selbst zu sein. Lange hatte ich gar nicht das Bedürfnis, dass die Musik mein Zimmer verlässt. Andere schreiben Tagebuch, ich Musik. Mit dem Älterwerden habe ich realisiert, dass es ein grosses Geschenk für andere Menschen sein kann, wenn du deine Verletzlichkeit zeigst und ihnen damit das Gefühl gibst, dass sie nicht alleine sind. Dadurch kriegen sie vielleicht die Chance, sich auch mehr auszudrücken. Seit ich das realisiert habe, habe ich das starke Bedürnfis meine Musik, in der so viel von mir steckt, mit der Welt zu teilen.

Und wie fühlst du dich mit diesem Step?

Ich bin nervös. Die Rezeption in meinem Freund:innenkreis war sehr positiv. Ich hatte lange das Gefühl, meine Musik interessiert niemanden. Ich ging in ein musisches Gymnasium. Da gab es so viele talentierte Menschen. Ich hatte nicht das Gefühl, dass jemand genau auf mich wartet oder dass ich mich unterscheide von den anderen.

Was hebt dich denn ab?

Meine Reflektiertheit. Sie ist eine meiner grössten Stärken aber auch meiner Schwächen. Dazu kommt eine starke Empathiefähigkeit. Ich bin sehr sensibel im Bezug auf mich selbst aber auch auf meine Umwelt. Das ermöglicht einen spannenden Blick auf das Innenleben. Ich glaube, gerade meine Generation hat ein starkes Verlangen nach Intimität. Ich und meine Songs verkörpern das. Besonders die Leadsingle der EP, die am 21. April erscheint.

Kannst du das erläutern? 

Ich habe alle Songs, auch diese Single in meinem Schlafzimmer geschrieben. Sie waren nie für die Öffentlichkeit konzipiert. Die mussten einfach entstehen – für meinen Prozess. Ich habe beim Schreiben nicht an meine Hörer:innen gedacht oder ob sie auf Resonanz stossen. Ich denke, man hört und spürt, dass diese Songs aus einem Impuls entstanden sind. Dass sie jemals das Schlafzimmer verlassen, hätte ich nicht gedacht. Das ist durch einen crazy Zufall so gekommen.

Tell me more!

Kurz nach meiner Matur ging ich auf einen Roadtrip nach Kalifornien. Auf einem Hike habe ich einen jungen Produzenten und Songwriter aus Kolumbien getroffen. Er hat mich gefragt, ob ich ein Foto von ihm machen könne. Wir tauschten danach unsere Instas aus. Fünf Jahre später, 2022, war er beruflich in Zürich und konnte sich an mich und meinen Traum vom Musik machen erinnern. Also haben wir uns getroffen. Er hatte sein ganzes Equipment dabei, war noch zwei Tage in Zürich. Er fragte mich, ob ich einen Song ready habe. Am nächsten Tag kam er zu mir in mein Schlafzimmer und wir nahmen «Indifferent» auf. Es war verrückt, wie gut die spontane Zusammenarbeit klappte. Er konnte Dinge umsetzen, die ich in meinem Kopf hatte, jedoch das Werkzeug dazu nicht. Er blieb dann zwei Wochen länger in Zürich und wir produzierten meine erste EP. Es war das grösste Geschenk, einen Menschen zu treffen, der an mich glaubt und Potenzial in mir sieht. Er hat mich richtig zu diesem Schritt gepusht.

Erzähl uns noch mehr zur EP. Was erwartet uns?

Sie kommt Anfang Juni raus und besteht aus vier Songs, die sich alle im gleichen Universum abspielen und im selben Zeitraum entstanden sind. Zwei davon sind sehr melancholisch und zwei etwas upbeatiger und catchier. Es geht viel ums Erwachsenwerden, Zukunftsängste, Liebe und die Bewältigung von unaufhaltbaren Veränderungen. Alles Themen, die mich beschäftigen.

«Indifferent» ist die Leadsingle der EP: Herzschmerz verpackt in catchy Up-Beats. Wenn man nicht wirklich auf die Lyrics achtet, dann würde man den Inhalt des Songs nicht erahnen. Es geht um Gefühle, die man einfach nicht abschalten kann, darum, dass etwas wertvoll gewesen ist und man es mit sich trägt, auch wenn es vorbei ist. 

Der Song «Fadeout» gibt tiefe Einblicke in meine psychische Gesundheit. Das ist scary aber auch wichtig. Ich bin hingesessen, habe die letzten Jahre reflektiert und dann einfach alles runtergeschrieben. Der ist schnell entstanden, weil alles so aus mir rausfloss. Ich war mir lange nicht sicher, ob ich den Song auf die EP nehmen werde. Kurz bevor mein Produzent zurückreisen musste, haben wir bei mir in der WG, ich wohne mit 37 Menschen zusammen, eine Listening-Party gemacht. «Fadeout» war der letzte Song, den wir uns anhörten. Meine beste Freundin hatte Tränen in den Augen und sagte mir, wie berührt sie sei. Das war so eine schöne Reaktion, dass ich die Veröffentlichung wagen wollte.

Der Song «Apex» handelt von Unsicherheiten und Idealisierung in einer Beziehung. Was alles so fragil und zerbrechlich macht, weil man ständig mit einer inneren Angst lebt, wodurch man sich nie fallen lassen kann. 

In «Seventeen» geht es um Leichtigkeit. Ich werfe darin einen nostalgischen Blick zurück auf meine Jugend und die Leichtigkeit einer first Romance, die die Transition ins Erwachsenenalter schaffen muss. Dass plötzlich Themen dazu kommen, mit denen man sich vorher nie befassen musste.

Was wünschst du dir für dich?

Dass ich meinen Platz in der Musikszene finden kann. Ich muss nicht reich werden, aber ich hätte gerne die Ressourcen und die richtigen Menschen um mich, dass ich unbekümmert Musik machen, Konzerte spielen kann. Nicht viele Menschen können in der Schweiz von ihrer Musik leben. Aber ich möchte es versuchen. Meine Ängste ausblenden. Ich will nicht irgendwann zurückschauen müssen und mich ärgern, dass ich es nicht wenigstens versucht habe.

Was würdest du anderen jungen Artists mit auf den Weg geben, die sich noch nicht trauen ins Spotlight zu treten?

Zeigt eure Musik einfach mal einer/einem richtig guten Freund:in. Am Anfang ist alles sehr überfordernd; vielleicht kennt man nicht die richtigen Leute, weiss nicht, wo anfangen. Dazu kommen noch die finanziellen Ressourcen, die den meisten fehlen. Da hilft es, sich selbst so viel wie nur möglich beizubringen. Das Internet ist eine gute gratis Möglichkeit, um seine Arbeit zu zeigen und an ein Publikum zu kommen.

17. April 2023

Support us!

Damit wir noch besser werden