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Fight the Power #5

Jacqueline Badran, Zürcher Nationalrätin und SP-Vizepräsidentin, hat in der «SRF Arena» die Behauptung der SVP zerlegt, dass wir in einer Diktatur leben. Warum das wichtig ist.

Von Daniel Ryser

Die vorletzte Kolumne war dem Faschismusforscher Timothy Snyder gewidmet, und da gab es einen Abschnitt, der wie folgt lautete: «Vermeide die Phrasen und Schlagworte, die jeder andere verwendet. Erfinde deine eigene Sprechweise, selbst wenn du nur das vermitteln willst, was in deinen Augen jeder sagt.» Gegen den Strom schwimmen als Mittel gegen den Faschismus.

Sprache schafft Wirklichkeiten, und hierzulande behauptet SVP-Milliardärin und Nationalrätin Martullo-Blocher wiederholt, dass wir in der Schweiz in einer Diktatur leben. Sie nennt die Demokratie Diktatur und die Frage ist: In welches System will sie denn? Die Vorstellung semi-geil.

Sie sagt es zum Beispiel während der vergangenen Zehn-Stunden-Debatte im Parlament zum Covid-19-Gesetz, die zweite Gesetzesrevision, wo vor allem wirtschaftliche Hilfen verhandelt wurden (gegen welche sich die SVP konsequent stemmte). Martullo-Blocher sagte während der Debatte im Parlament, wo stundenlang in dutzenden Abstimmungen um Mehrheiten gerungen wurde: «Laut Definition handelt es sich bei der Diktatur um eine Regierungsform, in der wenige über die Mehrheit bestimmen. Das ist bei Covid-19 ganz klar der Fall. Es liegt in der Natur der Sache, dass in einer Diktatur meist mit Willkür, nämlich nach eigenen Massstäben statt nach Interessen der Allgemeinheit, entschieden wird.» Und dann das: Ein paar Stunden später fragt dieselbe Martullo-Blocher Bundesrat Alain Berset, ob Geschäftsreisende eventuell privilegiert werden könnten beim Impfen. 

Wo nichts mehr wahr ist, ist alles möglich. Und wenn eine Lüge tausend Mal wiederholt wird, an prominenter Stelle, in einem nationalen Parlament beispielsweise, dann bleibt irgendwann irgendwas hängen. «Wenn wir die Wahrheit aufgeben, dann übergeben wir die Macht an jene mit Reichtum Charisma, die dann Spektakel an die Stelle der Wahrheit setzen», schreibt Snyder in seinem Buch «Über Tyrannei. Zwanzig Lektionen für den Widerstand». Man kann den Namen Trump an dieser Stelle einsetzen, oder eben Martullo-Blocher. Denn ihr Gerede von Diktatur hat die Ebene der Wahrheit längst verlassen.

Das Schweizer Parlament könnte beispielsweise, von wegen Diktatur, im schlimmsten Fall und mit den nötigen demokratischen Mehrheiten, Notverordnungen erlassen, die den Bundesrat sofort überschreiben würden. Nur: «Das will niemand. Verantwortung übernehmen für eine sofortige Öffnung, das dann lieber doch nicht. Lieber den Bundesrat kritisieren, und damit hat es sich dann.»

Das sagte SP-Nationalrätin Jacqueline Badran kürzlich bei einem gemeinsamen Mittagessen im Bundeshaus, während sie Blumen auspackte, die ihr jemand anonym hatte zukommen lassen als «Dank für deinen unermüdlichen Einsatz». Und obwohl noch nicht einmal daran gedacht werde, Mehrheiten für eine Notverordnung zusammenzustellen, veranstalte die «SRF Arena» dann eine Sendung zur Frage, ob wir in einer Diktatur lebten, sagt Badran, und damit seien die Medien Teil eines gefährlichen Spiels: Man verbreite Dinge, die mit der Realität nichts zu tun hätten und gebe ihnen somit eine gewisse Legitimität: Diktatur in einem Land, wo die SVP, die «Diktatur» ruft, zwei der sieben Bundesräte stellt und mit der FDP über die Mehrheit verfügt, die zudem beide Kammern präsidiert, den National- und den Ständerat.

Es ist fucking sad, und man möchte sich sofort ordentlich betrinken.

«Sie lenken mit ihrem Gebrüll vom eigentlichen Thema ab, nämlich, dass sie in der Krise völlig versagen», sagt Jacqueline Badran. «Diese Krise kostet. Und das einzige, was die SVP dazu zu sagen hat: Schulden können wir uns nicht leisten. Also sofort öffnen. Denn wenn man die Leute zwingt zum Öffnen, verlieren sie den Anspruch auf Unterstützung. Und ja, wir müssen uns verschulden, um die Leute zu retten und um das Virus zu besiegen. Und da stemmen sie sich gegen jeden Rappen. Dabei kapieren sie noch nicht einmal, dass die jetzigen Hilfsmilliarden sind. Opportunitätskosten. Alles ist auf lange Sicht teurer, als wenn wir jetzt mit schnellen Hilfen verhindern, dass die Leute Konkurs gehen. Denn sonst haben wir nichts mehr, was wir später wieder hochfahren können.»

Die Medien und ihre seltsame Rolle: Während im Parlament also eine zehnstündige Sitzung zum Covid-19-Gesetz stattfindet – absolute Rekordlänge und quasi bestes Beispiel dafür, dass die demokratischen Mechanismen funktionieren – produziert das SRF Mitte März die «Arena»-Sendung zur Diktatur-Frage, und weil Martullo-Blocher offenbar abgesagt hatte, nachdem sie erfahren hatte, dass Jacqueline Badran in die Sendung komme, schickte die Partei den Schwyzer Nationalrat Marcel Dettling, und der wurde dort von Badran glücklicherweise aufgegessen.

Badran rückte Dinge zurecht. Während Dettling zuerst einmal behauptete, wir würden in einer «Demokratur» leben, was immer das auch sein soll, und dass man den Bundesrat nicht mehr kritisieren dürfe, und man sich fragte, was der Mann da eigentlich erzählt, der gerade auf SRF den Bundesrat kritisierte und gleichzeitig sagte, man dürfe den Bundesrat nicht kritisieren, und offensichtlich all diese wunderlichen Dinge live am Fernsehen erzählen konnte ohne wie in einer Diktatur Gefahr zu laufen, nach der Sendung auf dem Parkplatz vor den SRF-Studios überfallen, gefesselt, mit einer Haube über dem Kopf in einem hellblauen Mini-Bus verschleppt und an den Stadtrand in ein Wäldchen gefahren und dort windelweich geprügelt zu werden. 

Und trotz der ganzen Absurdität war es wichtig, dass Badran Dettling erlegte wie eine Jägerin ein altes, lahmes Reh – denn ja, das Gebrüll von wegen Diktatur der SVP-Milliardärin Martullo-Blocher, die sich während der Sendung in ihrer Villa in Meilen oder in ihrer Zweitvilla in der Lenzerheide versteckte, es wäre so unfassbar langweilig, wenn es nicht irgendwie auch unfassbar gefährlich wäre, wie uns die Geschichte gelehrt hat: Diese ganze Demokratieverachtung im Namen eines angeblichen «Volkes», dessen Wille missachtet werde. 

Dinge zurechtrücken mit Jacqueline Badran in der «SRF Arena». 

Erstens: «Ich habe mich schwer getan, in diese Arena zu kommen. Ich könnte mich auch hinstellen und sagen, die Erde ist eine Scheibe, und dann gibt es eine Arena und dann müssen andere Leute dann erklären, warum sie vielleicht doch Rund ist, und so komme ich mir in der Rolle vor: Da kann einfach einer rauslassen, wir haben eine Diktatur und ich muss jetzt erklären, warum wir keine haben.» 

Zweitens: «Ich erkläre gerne, warum wir weit davon weg sind eine Diktatur zu sein. Wir haben ein Konkordanzsystem. Das ist ein wunderbares System. Wir haben alle Parteien eingebunden in der Regierung, es ist ein kollegialer Entscheid.»

Drittens: «Dann, wir haben ein Gesetz, das demokratisch beschlossen worden ist, und das ist das Pandemiegesetz. Und das Gesetz sieht vor, dass der Bundesrat für die epidemiologischen Massnahmen zuständig ist und wir zum Beispiel für wirtschaftliche Massnahmen, und das hat ein Grund, warum das in diesem Gesetz steht, das wir alle beschlossen haben unter demokratischen Vorzeichen und die Bevölkerung dazu mit vielen Prozent Ja gesagt hat, der Grund ist, dass man in der Epidemiologie im Kampf mit der Zeit ist. Je schneller die Massnahmen, desto besser kann man das Virus bekämpfen. Das heisst, es muss ein Gremium geben, das schnell handeln kann.»

Selbstverständlich, sagte Badran schliesslich, dürfe die SVP den Bundesrat kritisieren, auch wenn Dettling das Gegenteil behaupte: «Das macht ihr ja seit einem Jahr pausenlos». Sie sagte, dass es zugleich unfassbar anmassend sei, in eine Sendung zu kommen und vom «Volk» zu reden, wenn 70 Prozent der Bevölkerung der Meinung seien, der Bundesrat mache eine gute Arbeit oder die Massnahmen könnten sogar noch strenger sein – und gerade mal 12 Prozent der Meinung seien, man müsse sofort öffnen, hochfahren, zurück zur «Normalität», was immer das dann bedeuten würde.

Und dann kam Badran immer wieder auf ihr eigentliches Thema zurück: Die Menschen, denen durch die Krise das Geld ausgeht, und von denen die SVP nicht sprechen wolle. Die Krise offenbare auch gut, wie Rechtspopulismus heute funktioniere, sagte sie beim Mittagessen im Bundeshaus: Eine kleine Gruppe brülle Diktatur, und grosse Medien transportierten es, eine willkommene Reduktion der Komplexität als Lockmittel, Click-Politik, und von den eigentlichen verdammt komplexen und dringlichen Problemen – etwa wie man den Menschen helfe, die seit Monaten auf Hilfszahlungen warteten und verzweifelten –, spreche keine Mensch.

18. März 2021

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