Intermezzo – Italienisch für Zwischenspiel, wörtlich Pause. Letzteres kennt Sally Rooney, die irische Schriftstellerin, nicht. Intermezzi jedoch zu Genüge. Mit «Intermezzo» hat die 33-jährige bereits ihren vierten Roman veröffentlicht, der – wie alle bisherigen Werke – grosse mediale Aufmerksamkeit geniesst (BookTok sei Dank). Zwei ihrer Bücher wurden als Serie verfilmt, eine davon machte Paul Mescal zum gefeierten Schauspieler. Alle lesen Rooney, und wer sie nicht liest, kennt zumindest ihren Namen. Rooney macht keine Pausen: Sie mischt mit, etabliert sich als bedeutende Stimme und bringt sich aktiv in politische Debatten ein.
Rooney ist Marxistin, kritisiert die kapitalistische Seite des Buchhandels und hebt hervor, dass Menschen in bestimmten Kreisen mit Geld bestimmte Bücher kaufen – wodurch Leser:innen und letztlich auch Autor:innen Teil einer kultivierten Klasse werden. Die junge Schriftstellerin ist bekannt für ihre politische Haltung. Sie solidarisiert sich mit Palästinenser:innen, verurteilt israelische Kulturinstitutionen – und dazwischen, als Intermezzo, schreibt sie ein Buch.
Dem Roman ging viel Wirbel voraus. Das Cover – königsblau, mit einem Schachbrett – ist ikonisch. Es symbolisiert die Königsdisziplin, die einer der Hauptcharaktere beherrscht, und steht zugleich für Rooneys Figuren, die sich gegenseitig schachmatt zu setzen scheinen. Dieses Cover fand seinen Weg auf Tote Bags, die frühe Käufer:innen stolz nach Hause trugen – ein Marketing-Coup, der ironischerweise das Konsumgut Rooney weiter stärkte. In den USA wurden zudem fünf Monate vor der Veröffentlichung 2500 Kopien an ausgewählte Kritiker:innen, Influencer:innen und Prominente verteilt. Das Ergebnis: BookTok war überflutet von dem blauen Cover, den Tote Bags und von Menschen, die diesem exklusiven Kreis angehören wollten.
Rooney, die selbst den geistigen Konsum kritisch sieht (siehe auch das Interview «Writing with Marxism» für Louisiana Channel), ist somit zu einem Accessoire geworden, das man mit sich trägt, um Eindruck zu schinden. Schon bei «Beautiful World, Where Are You» setzte Rooney auf Merchandising: gelbe Bucket Hats und Tote Bags, die ebenfalls an Prominente, Journalist:innen und Buch-Influencer:innen geschickt wurden – mit der Aufforderung, sie unter dem Hashtag #BWWAY zu posten. Ein Fotoshooting für «Normal People» in der Vanity Fair zog zusätzliche Kritik auf sich: Das Buch wurde zusammen mit einer 595-Dollar-Designerhandtasche unter der Schlagzeile «This Season’s Best Books and the Must-Have Bags to Stash Them in» inszeniert.
Und doch wäre es falsch, zu behaupten, dass Rooneys Kapitalismuskritik unauthentisch ist. Vielmehr liegt genau in diesem Widerspruch eine schmerzhafte Wahrheit, der wir uns alle stellen müssen: Auch diejenigen, die vom Kapitalismus profitieren, können darunter leiden. Dieser Widerspruch – der Kampf gegen Strukturen, die uns gleichzeitig tragen und erdrücken – fordert uns auf, unsere Privilegien, Ideale und die Bedingungen unseres Zusammenlebens zu hinterfragen.
Rooneys Bücher sind stark im irischen Kontext verankert. Klasse manifestiert sich in ihren Geschichten auf subtile, manchmal unsichtbare Weise, oft geprägt durch den Gegensatz von Stadt und Land. In «Normal People» wird dies deutlich, als Connell, einer der Protagonist:innen, nach Dublin zieht. Der Übergang von seiner ländlichen Herkunft zur urbanen Universitätskultur fällt ihm schwer: Sein Akzent und das fehlende MacBook bleiben Barrieren, selbst wenn er sich die Sprache der akademischen Elite aneignet.
Ein ähnlicher Klassenkonflikt zeigt sich in «Intermezzo». Peter, ein erfolgreicher Anwalt, hat seinen Akzent herauspoliert, fühlt sich jedoch nie wirklich zugehörig. Sein Bruder Ivan, ein aufstrebender Schachmeister, steht ebenfalls in einem Spannungsfeld: Er weigert sich, sich der kapitalistischen Logik seiner Umgebung anzupassen, sieht jedoch auch wenig Alternativen. Die beiden Brüder könnten unterschiedlicher nicht sein. Während sich Peter trotz innerer Kämpfe besser in soziale Strukturen eingliedert, erfüllt Ivan das stereotype Bild eines in sich gekehrten, Zahnspange tragenden Nerds. Der schmerzliche Tod ihres Vaters treibt einen weiteren Keil zwischen die Brüder, da beide unfähig sind, ihre Trauer zu verarbeiten.
Rooney bewegt sich sicher auf ihrem literarischen Terrain: komplizierte Beziehungen. Auch die romantischen Verbindungen der Protagonisten sind geprägt von Kommunikationsschwierigkeiten und sozialen Unterschieden. Peter hat gleich zwei davon: mit seiner ersten Liebe Sylvia, die seit einem Unfall unter chronischen Schmerzen leidet und deshalb unfähig zur sexuellen Intimität ist und Peter trotz Trennung emotional festhält, und mit Naomi, einer jüngeren Sexarbeiterin, die finanziell und später auch wohnungsmässig von ihm abhängig ist. Ivan wiederum beginnt eine Affäre mit Margaret, einer deutlich älteren Frau, die von der Beziehung mit ihrem alkoholkranken Ex-Mann geprägt ist. Alkohol – ein immer wiederkehrendes Motiv in Rooneys Romanen – wird hier als Droge gezeigt, die soziale Bindungen einerseits stabilisiert und andererseits zerstört.
Diese Konstrukte aus Abhängigkeit und Missverständnissen machen den Kern von Rooneys Werk aus: Beziehungen, die nicht funktionieren wollen, geprägt von sozialen Strukturen, die sie sabotieren.
Viele werfen Rooney vor, dass ihr Marxismus und ihre Kapitalismuskritik rein performativ seien. Diese Kritik ist nachvollziehbar, denn sie kuratiert ihre Charaktere mit grosser Sorgfalt: der reiche Anwalt, die Kaschmir tragende Exfreundin, die Gespräche über Bourdieu, der Bruder, der in seinem geerbten Haus lebt und seine geldbringende Arbeit hinterfragt. Ihre Figuren wirken privilegiert, ihre Probleme nerven – und doch treffen sie den Nerv, denn man erkennt sich peinlich berührt in ihnen wieder. Rooney führt uns unsere eigenen Widersprüche vor: unser moralisches Bewusstsein, unsere Kritik an kapitalistischen Lebensentwürfen und zugleich den Wunsch nach einem bequemen, schönen Leben. Auch mit «Intermezzo» zeigt sie erneut auf, wie schwer es ist, sich von den Normen und den sozialen Strukturen und Konstrukten zu lösen, in denen man aufgewachsen ist. Genau darin liegt Rooneys Kunst: Widersprüche so schmerzhaft offenzulegen, dass man geneigt ist, sie als Heuchlerin zu bezeichnen – und damit der eigenen Heuchelei begegnet.
Inhaltlich überzeugt Rooney, doch stilistisch steht sie sich manchmal im Weg. All die detaillierten Beschreibungen – pinke Knie, Lippen und Ohrläppchen, Körperteile, die im Badeschaum nass glänzen – können ermüdend wirken und nehmen den Dialogen ihre Dringlichkeit. Auch ihre komplexen Frauenfiguren bleiben oft oberflächlich. Warum erfahren wir nichts über die genaue Natur von Sylvias Krankheit? Warum bleibt Naomi, abgesehen von Peters Fetischisierung, so flach? Der transaktionale Charakter von Beziehungen, besonders zwischen Peter, Sylvia und Naomi, könnte Denkanstösse liefern – fällt jedoch durch fehlende Tiefe der weiblichen Figuren flach. So wird in Rooneys «Intermezzo» nicht der Marxismus, sondern das Frausein zum performativen Akt.
Stärker sind hingegen die Passagen, die sich der Beziehung der Brüder widmen. Rooney zeigt eindrücklich, wie schwer Trauerarbeit in einer Gesellschaft fällt, die darauf ausgelegt ist, Menschen schnell wieder produktiv zu machen. Sie macht Scham, Wut und Verlorenheit spürbar und zeigt, dass Trauer kein linearer Prozess ist und dass wir als Teil einer Gesellschaft immer abhängig voneinander sind.
Fazit: Rooney und unsere Widersprüche
Mit «Intermezzo» erfindet sich Rooney nicht neu, doch das Phänomen Rooney bleibt relevant. Die Widersprüche ihrer eigenen Person sowie ihrer Charaktere spiegeln unsere eigenen wider. Ihre Figuren halten uns einen Spiegel vor, in dem wir unser Unvermögen erkennen, Ideale und Realität in Einklang zu bringen. Werden wir jemals in der Lage sein, Konzepte, Ideen und Überzeugungen glaubwürdig in unser alltägliches Leben zu übersetzen? Ob man sie gerne liest oder nicht: Rooney zwingt uns, uns mit der Dissonanz zwischen unserem Bewusstsein und unserem Handeln auseinanderzusetzen. Und genau deshalb bleibt sie eine der wichtigsten Stimmen unserer Zeit.
02. Januar 2025