Nächste Woche Sonntag findet der Triathlon in Zürich statt und ich denke, irgendwann könnte ich das auch. Irgendwann bin ich auch mal auf dem Velo, mache meine Runden, strample in die Pedale oder ziehe um sechs meine Joggingschuhe an, die ich momentan noch nicht besitze. Wenn ich mal laufen gehe, dann sind es meine abgeranzten Salomons, die ich sonst nur in der Stadt trage, um einen Iced Matcha zu trinken. In der Früh ziehe ich also meine Joggingschuhe an, so um sechs, vielleicht auch sieben, wollen wir mal nicht übertreiben, und gehe laufen, so ganz grosse Runden, irgendeine Kilometeranzahl, die andere halt überzeugt, tracke das dann auf Strava und teile das wiederum auf Instagram. Wäre ja nicht laufen, wenn es andere nicht mitbekommen.
Kurzum, ich bin in einem Alter angekommen, in dem Identität nicht mehr organisch wächst, sondern kuratiert wird. Dazu gehört zum Beispiel auch dieses eine Longevity-Buch, das mir in Berlin mal jemand empfohlen hat, das lese ich bestimmt noch demnächst, und dann rauche ich auch nicht mehr, wenn ich mal ein Glas Alkohol getrunken habe. Dann werde ich jeden Abend mit meinem Jade-Roller Gesichtsmassagen machen, dann trage ich grosszügig Retinol auf, in der Früh ein Probiotikum und Journaling nicht vergessen. Manchmal versinke ich in dem Meer an Möglichkeiten, dann schreibe ich sarkastisch über Selbstoptimierung und ertappe mich doch dabei, genau das alles zu wollen. Denn offenbar braucht man, sobald man die Schwelle zur Dreissig überschreitet, neue Koordinaten. Eine fancy Siebträgermaschine. Die teurere Mühle dazu. Ein Gravelbike. Oder doch eine dieser LED-Masken?

In einer Woche ist also dieser Triathlon. Meine erste Reaktion ist, das alles abzuwerten. Muss jetzt jede*r bei sowas mitmachen? Reichen nicht die Marathons, denen ich mental sowieso schon seit Jahren hinterherlaufe? Vielleicht könnte ich ja die Disziplin Schwimmen absolvieren, das wäre doch was, mal dieses Jahr einen Kraulkurs belegen, mein Schwimmabzeichen zu aktualisieren, das Seepferdchen, im Schwimmen war ich doch nie so schlecht. Ich erinnere mich an die Schwimmlektionen in diesem einen Schwimmbad, irgendwo in einem Nebenort, die Bahnen, die vor mir lagen, die Bahnen, die ich schwamm, und muss mir eingestehen: Das reicht wahrscheinlich doch nicht. Dann vielleicht doch lieber die Selbstverwirklichung in einem Töpferkurs, on the wheel, versteht sich. Ich sehe mir die Preise an und schliesse den Tab wieder. Fünfunddreissig weitere sind ja noch offen.
Ich bin bald dreissig und weiss nicht so recht, wer ich eigentlich bin, wenn mir niemand eine Schablone gibt. Deshalb gehe ich auf Instagram, doomscrolle für ein, zwei Stunden, fühle mich danach überragend (nicht), und habe den Siebdruck für mich entdeckt und mindestens fünf Reels gespeichert, in denen Menschen in schönen Leinen-Schürzen gesunde Sachen kochen, so bio und regional und saisonal und denke, morgen gehe ich zum Markt, ab jetzt nur noch am Markt einkaufen gehen, und gleich Blumen mit dazu, ich habe doch letzte Woche auf Galaxus diesen Ikebana-Igel gekauft, der viel zu klein für seinen Preis ist, irgendwie nur so daumennagelgross, das wird jetzt meine neue Persönlichkeit. Was ist das mit diesem Personenkult, dieser Dauerinszenierung von sich selbst, die mir doch eigentlich vertraut ist, denn immerhin kritisiere ich sie tagtäglich, finde eh alle auf Strava per se blöd (sorry, falls du das jetzt liest), und flüstere dann doch hinter vorgehaltener Hand, dass dieser Matcha Latte, den die hier in diesem hippen Café verkaufen, richtig scheisse ist, sieht man doch an der Farbe, sorry, den kann ich zuhause viel besser. Ist dreissig werden einfach auch sich selbst manchmal unsympathisch zu finden? Zu erkennen, dass man selbst halt auch ein wenig heuchlerisch, so ein bisschen ein hypocrite ist?
Ich nehme mir jeden Tag wieder neue Dinge vor und bringe nichts wirklich zu Ende und bin irgendwie neidisch auf andere und fühle mich halt doch auch ein wenig überlegen. Gaukle mir vor, losgelöst von allem zu sein, einen kritischen Geist zu besitzen, alles ist mittlerweile auf Konsum ausgelegt, das Reisen, der Sport, und doch finden sich alle in irgendwelchen Running- oder Cycling-Clubs zusammen, sind ein Kollektiv, eine Gruppe, eine Gemeinschaft, aber eben nur in den richtigen Pas-Normal-Trikots. Das denke ich und öffne im gleichen Moment meine Notizen-App, in der eine Wunschliste entlarvt, dass ich genauso basic wie alle anderen bin.
Dreissig zu werden, heisst eben auch, zu sehen, welche Abzweigungen man alle schon verpasst hat. Dass man eben nicht mehr Meeresbiologin wird, dass man den Rotmilanen im Himmel beim Soaren zusieht und einen kleinen Stich verspürt, weil man kein unnützes Wissen über sie verbreiten kann und eben nicht so spannend ist, und etwas wie Vogelbeobachtung betreibt oder japanische Gagaku-Musik studiert hat oder sich plötzlich bei der Art Basel an einem Samstagnachmittag befindet und sich die Jahrgänge der Künstler*innen ansieht und merkt: Scheisse, die sind ja alle jünger als ich.
Vielleicht ist das der eigentliche Schmerz an der Selbstoptimierung: dass sie immer auch ein stilles Verhandeln mit den Alternativen ist, die man nie gelebt hat. Und dass man Reels auf Instagram sehen muss, auf denen Gen Zs laut behaupten, dass alles nach 2000 alt ist. Oder die ersten Falten auf der Stirn bemerkt und sich denkt, ich bin halt eben natürlich, und doch – ganz weit unten regt sich der Wunsch nach ein bisschen Botox.
Nächsten Sonntag ist Triathlon. Vielleicht schaue ich zu. Vielleicht kaufe ich mir Laufschuhe. Vielleicht mache ich gar nichts – ausser zu atmen. Und das ist ja auch schon Leistung.