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In der Kurve

Die Fan-Kurve im Stadion ist ein Ort der Ekstase und des Zusammenhalts – aber auch Nährboden für dominante Männlichkeit und Gender-Performances.

Von akutmag

Text von Dominik Folger

Um das Offensichtliche vorwegzunehmen: Ja, ich habe bereits Fussballstadien besucht und mich auch in Fankurven aufgehalten. Mir war bewusst, in welchen Raum ich eintrete. Mir war klar, dass ich dort nicht auf Vorreiter:innen des Anti-Sexismus, Anti-Rassismus oder auf Queer-Freundlichkeit treffen würde. Das, was ich dort erlebt habe, war keine Überraschung. Das, was ich erlebt habe, passiert während einer Saison wahrscheinlich öfter, als die Fans in der Kurve Tore bejubeln dürfen. Wichtig zu erwähnen ist, dass ich das Privileg habe, meine Queerness hinter einem Schleier aus dichtem Bart, tiefer Stimme und 1.87 Meter Körpergrösse verstecken zu können. Schlicht, als heteronormativer Mann in Situationen zu «passen», in denen ich das möchte.  Dennoch beängstigt mich diese Erfahrung, sie beschämt mich und sie dient als Beispiel für die Weitergabe und Adaption von Gender-Performances. 

Angst

An einem sonnigen Sommertag versammelt sich eine Gruppe, um vor dem Spiel gemeinsam Pasta zu essen und sich mit Bier in Fussball-Stimmung zu bringen. Gut gelaunt und etwas angetrunken bewegt sie sich Richtung Stadion. Erst dort wird mir bewusst, dass ich auffalle. Ich trage keine Fanartikel des Heimvereins, sondern eine Cap mit der Aufschrift «Tabaluga & Lilly». Mit Schrecken stelle ich fest, dass meine Nägel immer noch in einem pastelligen Gelbton lackiert sind. Das fällt auf und missfällt einigen, so deute ich zumindest die Blicke, die an mir haften, mich verfolgen und unmissverständlich zu verstehen geben: «Leute wie du haben hier nichts zu suchen.»

Männer-WCs waren mir schon immer zuwider. Männer-WCs in Fussballstadien, besonders in der Fankurve, sind vermutlich der Vorhof der Hölle für alle, die nicht als weisse cis-Männer gelesen werden. Ich bin gross, das hilft, denn im Tanz der Gender-Performance spielt Körperlichkeit eine Rolle. So komme ich meist, selbst mit gelb lackierten Nägeln, unbeschadet durch derartige Situationen. Sie sind dennoch beunruhigend. Flapsige Kommentare über eng beieinander stehende Pissoirs und die damit einhergehende Nähe der Urinierenden wechseln sich mit Beschimpfungen über den ungeliebten Stadtrivalen und die Mütter der gegnerischen Fans ab. Interessant, wie sich das Patriarchat und damit gesellschaftliche Strukturen weltweit über Frauen definieren. Sie werden als Referenzpunkt für Beleidigungen, Stolz, Würde, Scham und Schande herangezogen. Aber nie als Subjekt, sondern immer als Objekt der Zuschreibungen wütender, beschämter, stolzer und beleidigter Männer.

Männer-WCs in der Fankurve sind vermutlich der Vorhof der Hölle für alle, die nicht als weisse cis-Männer gelesen werden.

An diesem schönen Sommertag finde ich das Männer-WC zum ersten Mal nicht nur beunruhigend oder unangenehm.  Ich habe Angst. Angst, aufzufallen, Angst, angepöbelt zu werden, Angst, verspottet zu werden. Ich  versuche, mich noch etwas mehr aufzurichten. Ich strecke die Brust heraus, kneife die Augen zusammen und stelle mich möglichst breitbeinig ans Pissoir. Augenkontakt ist natürlich strengstens verboten; dieser könnte direkt als homosexuelle Annäherung verstanden werden. Also balle ich meine Hände zu Fäusten, nicht in Erwartung einer körperlichen Auseinandersetzung, sondern um meine Nägel in den Handflächen und somit einen Teil von mir zu verbergen. Es ist zu eng, zu dunkel, zu männlich.

Schnell pinkeln, die Hände kurz einseifen, abwaschen, und dann bin ich draussen. Ein kurzes Aufatmen in der gleissenden Sonne. An der frischen Luft fühle ich mich wieder freier. Meine Fäuste löse ich jedoch erst, als ich wieder bei meiner Gruppe stehe; zur Sicherheit.

Doch die Angst kommt zurück. Diesmal auf den Rängen. Das Spiel hat gerade erst begonnen, die Menge hüpft, singt und klatscht. Genau deshalb bin ich hier; ich liebe das gemeinsame Singen, das Gefühl der Verbundenheit, das entsteht, wenn man gemeinsam seine Mannschaft nach vorne peitscht. Auf der Stufe über uns stehen mehrere Jungs um die 18, unsichere Jungs, die noch nicht so genau wissen, was sie tun müssen, um als «echte Männer» durchzugehen. Sie tragen das obligatorische Kurvenoutfit: weisse Leder-Sneaker, blaue Jeans, weisses Shirt oder Jersey. Es wird getrunken, es wird gekifft und gegrölt. «Seht her, wie laut ich singen kann», möchten sie ihren Freunden und der Menge beweisen, doch die Stimme bricht und es klingt viel mehr nach Hilferuf als nach Männlichkeitsbestätigung.

Es wird getrunken, es wird gekifft und gegrölt. Seht her, wie laut ich singen kann, möchten sie ihren Freunden und der Menge beweisen.

Bei den Jungs steht auch ein deutlich älterer Mann, ich schätze ihn auf Mitte 30. Der Anführer der Truppe. Diese Rolle muss er sich nicht erkämpfen, so wie die Jungs ihn anblicken, ist klar, er ist der Chef. Er holt das Bier und verteilt es wie selbstverständlich an die Jungs. Als sie ihr Bier bekommen, blicken die Jungenaugen in die des Mannes und strahlen. Dieser tätschelt die Jungenschultern mit grossväterlichen Gesten und animiert sie, schneller zu trinken. Man sei ja schliesslich nicht umsonst hier. Er will den Jungs zeigen, wie «maskulin» er ist und sie für seine Art der Männlichkeit gewinnen, und so bestätigt er die Jungs in ihrem Handeln und die Jungs ihn in seiner «Anführer-Rolle». Erst werden zwei Frauen, die mit uns dort sind, das Ziel der Schmähungen. Er möchte sie «auswechseln», weil sie nicht oder zu leise singen, schneidet hinter ihrem Rücken Grimassen und tut so, als würde er sein Bier über ihren Köpfen ausleeren. Ich möchte einschreiten, doch aus Angst vor der Konfrontation mit der Gruppe, aus Angst, selbst zum Ziel zu werden, tue ich es nicht. Doch es hilft nichts. Vielleicht haben sie meine Nägel entdeckt, vielleicht singe ich ihnen nicht laut genug, vielleicht stört sie mein Hochdeutsch. Wie auch immer, das erste Tor fällt, und mich trifft eine volle Bierdose am Rücken. Gut, das kann in Fankurven mal passieren. Ausserdem hat es 26 Grad, es ist also eine Abkühlung; klebrig, aber erfrischend.

Das Spiel läuft weiter, und nach dem ersten Torjubel werden die Jungs-Gruppe und der Mann hinter uns immer stiller. Immer wieder versuche ich, mich unauffällig umzudrehen, um zu sehen, was vor sich geht. Ihr lautes Sprechen geht immer mehr in ein Flüstern über, immer wieder trifft mich heisse Asche am Bein. Auch das kann in einer Fankurve mal passieren, aber die Frequenz macht mich nun doch stutzig. Dem Spiel und den Gesängen kann ich immer weniger folgen, ich konzentriere mich fast ausschliesslich auf die Gruppe hinter uns, die weiter Pläne auszuhecken scheint. So werden meine Haare, die ich zum Zopf zusammengebunden trage, mehrfach angefasst und sofort wieder losgelassen, als ich mich umdrehe. Ich sehe den Mann seinem Nachbarn erklären, wie er die Frauen vor ihnen anzubaggern habe. In der Pause tönt er laut: «Du bist so verschwenderisch, wegen dir sind sie jetzt gegangen. Die wären doch was für dich gewesen.» Der Junge: «Ach so bin ich eben, verschwenderisch mit Frauen.»

Gellendes Gelächter.

Vielleicht haben sie meine Nägel entdeckt, vielleicht singe ich ihnen nicht laut genug, vielleicht stört sie mein Hochdeutsch.

Der Mann erwidert, der Junge müsse noch einiges über «die Frauen» lernen und festigt so implizit seine Rolle als Anführer. Die Jungs blicken ihn mit grossen Augen an, es scheint, als stellen sie sich vor, was der Mann wohl schon alles über «die Frauen» wüsste und was sie von ihm lernen könnten. 

Die Angst begleitet mich auch in die Halbzeit. Wir sitzen auf den Stufen, hinter uns nach wie vor die Jungsgruppe, und sobald ich mich etwas nach hinten lehnte, merkte ich, wie sich Schuhe in meinen Rücken drücken. Ich rutsche ganz nach vorne auf die Stufe.

In der zweiten Hälfte fällt ein weiteres Tor für die Heimmannschaft, und ich bekomme eine weitere Bierdusche. Eine Person aus meiner Gruppe bietet mir an, die Plätze zu tauschen, was ich dankend annehme. Mittlerweile ist mir klar, dass die Gruppe mich gezielt angreift, auch wenn sie alle unschuldig in unterschiedliche Richtungen blicken, sobald ich mich umdrehe. Nur der Mann kann sich ein verschmitztes Lächeln nicht verkneifen.

Ich zähle die Minuten bis zum Abpfiff. Die Kurve kocht, die Mannschaft spielt gut, doch ich kann nichts davon geniessen. Noch nie habe ich mich in einem Fussballstadion so unwohl gefühlt. Ich will die Gruppe zur Rede stellen, aber ich traue mich nicht. Ich will fliehen, ihnen aber diesen Sieg nicht schenken. Also stehe ich da, den Blick starr auf das Spielfeld gerichtet und klatsche immer etwas zu fest in meine Hände.

Der Schlusspfiff ertönt, und ich atme auf. Doch dann bemerke ich zwei Hände auf meinen Schultern, die mich schütteln. Ich drehe mich um und sehe in die Akne-übersäte Fratze eines der Jungen. In seinen Augen glänzt der Alkohol, aber nicht nur der. Ich sehe Hass in seinen Augen, und bevor ich realisiere, dass ich das Ziel seines Hasses bin, schreit er mich an. «Gewonnen haben wir», lallt er, und reisst die Hände nach oben. Ich hätte ihn gerne gefragt, was das alles sollte. Aber mich überkommt wieder die Angst und ich stehe da, weiss nicht, was ich sagen soll, und alles, was ich herausbekomme, ist ein: «Ja, sehr gut. Wir haben gewonnen.» Er erwidert spöttisch: «Du bist aber ein ganz geiler Typ. Du kommst sicher nicht von hier.» Dreht sich um und geht.

Eine klare Gender-Performance, um sich sozial zu positionieren. Er imitierte das hypermaskuline Verhalten, das der Mann, der Anführer, das ganze Spiel über an den Tag gelegt hatte, und stellte sich «über» mich. Er zeigte mir, dass ich dort nicht hingehörte, nicht so angezogen war wie sie, und mich sogar erdreistete, mit lackierten Nägeln in die Fankurve zu gehen.

Scham

Auf dem Heimweg verabschiede ich mich ziemlich schnell von meiner Gruppe. Sie haben nur teilweise mitbekommen, was passiert ist. Ich verabschiede mich schnell, weil ich mich schäme. Ich schäme mich dafür, dass ich mich nicht gewehrt habe, obwohl ich normalerweise immer sehr direkt meine Meinung äussere. Dass diese unsicheren, unreifen und verletzlichen Jungs solche Angst in mir auslösen konnten. Es beschämt mich, dass ich ihnen so viel Raum gegeben habe, nur um festzustellen, dass sie sich diesen Raum nahmen, den ich ihnen nie gewährt habe.

Es ärgert mich, dass ich das Geschehene relativiere, weil man ja wisse, wie es in Fussballkurven so zugeht. Und ich ärgere mich darüber, dass ich mir im Nachhinein selbst eine Teilschuld gebe. Ich ärgere mich darüber, dass ich vorerst nicht mehr in eine Fankurve gehen werde und somit genau das tue, was die Jungs und der Mann erreichen wollten: Einen Raum generieren, der mir zwar physisch zugänglich ist, in dem ich aber nicht willkommen bin.

Es ärgert mich, dass diese Räume den Jungs und dem Mann mehr gehören als Menschen wie mir. Dass Sexismus und Queer-Feindlichkeit auch in der vermeintlich «linken» Kurve dieser Stadt fest verankert sind. Die Unsicherheit der Jungs wird in diesen Räumen, in denen es keine erkennbare Alternative zur Hypermaskulinität gibt, von solchen Männern ausgenutzt. Vor allem, um ihre eigene Maskulinität zu stabilisieren, ihr Dominanz zu verleihen.

Liebe Männer, die versuchen, Männlichkeit exklusiv zu definieren, die versuchen, Jungen zu «Männern zu machen»: Ihr macht mir Angst und ihr tut mir leid. Wahrscheinlich tut ihr mir mehr leid, als dass ihr mir Angst macht, denn ich sehe euch in eurer Zerbrechlichkeit, die nur durch eure ständige Rückversicherung «männlich» zu sein, an die Welt da draussen verschleiert wird.

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