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Illegalisierte Abtreibung – eine Zumutung

Seit einigen Wochen gilt in Texas ein neues Gesetz: Nach ersten Anzeichen von Herzschlag ist Abtreibung illegal, also nach ungefähr sechs Wochen. Die Strafe dafür meist höher als die für Vergewaltigung. Wieso dieses Gesetz und die Haltung widersprüchlich und problematisch sind, auch für Abtreibungsgegner:innen.

Von Sina Schmid

Schwangerschaften sind oft erst nach einigen Wochen festzustellen. Nicht nur von Schwangerschaftstest, die frühestens nach zwei bis drei Wochen zuverlässige Ergebnisse liefern, sondern von unserem Körper ganz allgemein. Wenn jemand nicht damit rechnet, schwanger zu sein, kommt die Erkenntnis oft zu spät.

Natürliche Indizien wie das Aussetzen der Periode, Übelkeit, Gelüste können entweder ganz ausfallen oder erst spät einsetzen. Wenn einer Frau dann verboten wird, eine Schwangerschaft abzubrechen, können diese Folgen für alle Beteiligten gravierend sein. 

Ein ungewolltes Kind kann für gewisse ein Geschenk sein, für andere ist es ein Fluch. Die psychischen, finanziellen und physischen Belastungen, welche eine Schwangerschaft und ein Kind mit sich ziehen, sind den meisten nicht wirklich bewusst, bis sie selbst Eltern werden. Wie kann man also als Staat entscheiden, wer ein Kind zu gebären hat?

Viele Menschen, die gegen Abtreibungen sind, sehen das Thema schwarz-weiss. Schwangerschaft gleich Leben gleich Abtreibung ist Mord. Aber dem ist leider nicht so. Ein Kind, welches zwar zur Welt kommt, hat danach genau wie die Mutter auch ein Leben zu verlieren. Dann kommt es nämlich darauf an, ob die Eltern für das (ungewollte) Kind sorgen können.

Wir können uns bei dieser Debatte auf die Erfolgsgeschichten beziehen, weil wir als Menschen allgemein schlimme Situationen romantisieren, um nicht an ihnen zu verzweifeln, aber dem ist leider oft nicht so. Es ist eine Zumutung, von einer Frau zu verlangen, ein Kind auszutragen, welches sie nicht will.

Die Schuldgefühle, die eine Mutter empfinden muss, wenn sie weiss, dass sie diesen Embryo nicht will oder es gar verabscheut für das, was es ihr nimmt, sind unvorstellbar.

Die Debatte Pro-choice vs. Pro-life ist sehr emotional behaftet. Verständlicherweise. Dennoch hört das Pro-life-Ding leider oft nach der Geburt auf. Danach sind die Eltern verantwortlich, ob sie nun wollen oder nicht. Zuvor schien das Kind ja auf den Schutz von Gesellschaft, Staat und Allgemeinheit angewiesen zu sein, danach bitte nicht zu sehr die sozialen Einrichtungen auslasten. Diese Ambivalenz verwirrt. Zudem vergisst man, dass auch das Leben der Mutter wichtig ist. Nicht nur ihr Überleben, sondern ihre Freiheit, Träume, Hoffnungen, Ziele. 

Auch wird der Extremfall Schwangerschaft nach Vergewaltigung komplett ausser Acht gelassen. Wie kann man von jemandem erwarten, das Kind des Vergewaltigers auszutragen oder gar grossziehen zu müssen?

Ja, wir sind hier nicht in Texas, und das Gesetz trifft hier niemanden. Angehen tut es aber alle. Es zeigt erneut, dass ein Staat über den Körper einer Frau bestimmen darf. Und das in einem Industrieland. Das Recht auf Selbstbestimmung wird dort wie da enorm gross geschrieben. Leider ohne Rücksicht auf die Frau und ihren Körper. 

Zudem hätte dieses Gesetz auch hierzulande mehr Diskussionen ins Rollen bringen sollen. Abtreibungen sind ein Tabu, was zum Teil verständlich ist, jedoch müssen wir uns als Gesellschaft überlegen, ob wir etwas tabuisieren sollten, wofür wir selbst so lange gekämpft haben. 

Gewiss sollen Abtreibungen nicht als Verhütungsersatz dienen, das werden sie aber auch nicht. Keine Frau entscheidet sich leichtsinnig zu einer Abtreibung. Schlussendlich muss jedoch sie die Verantwortung tragen.

Auch das Argument, dass man ein Kind ja zur Adoption freigeben kann, ist realitätsfremd. Ein Kind neun Monate auszutragen, die hormonellen Umstellungen, eventueller Job-Verlust, Depressionen und sonstiges sind wie eine Abtreibung nicht zu unterschätzen. 

Zudem werden die ganz offensichtlichen Gefahren, welche die Illegalisierung mit sich ziehen, unter den Teppich gekehrt. Denn es werden mehr Frauen an selbst versuchten Abtreibungen sterben, als uns bewusst ist. Der altbekannte Film «Dirty Dancing» sprach schon 1987 an, was auch heute noch ein grosses Problem ist, wenn wir auf Schulmedizin diesbezüglich verzichten: Frauen werden zu alternativen, lebensgefährlichen Mitteln greifen, um ihrer ungewollten Schwangerschaft ein Ende zu setzen.

Es ist legitim, dass sich jede:r selbst eine Meinung zum Thema bilden darf. Wenn es aber um Gesetze geht, hört das Ganze auf. Niemand hat das Recht, über den Körper und das Leben einer Frau zu bestimmen.

21. September 2021

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