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S*X: Vom Betrügen

Betrogen zu werden ist die grösste Angst vieler Liebenden. Doch Seitensprünge sind alles andere als eine Seltenheit. Fast 40% der Frauen und 44% der Männer haben laut Umfragen bereits ihre/n Partner:in betrogen. Wir haben uns mit dreien von ihnen über die Hintergründe, das Gewissen und ihre Gedanken unterhalten.

Von Leila Alder

Liebe und Leid liegen nah beieinander. Nie sind wir so verletzlich, wie wenn wir lieben. Das Schlimmste, was einem dann angetan werden kann, ist ein Vetrauensbruch. Wenn dieser dann auch noch mit einer anderen Person verknüpft ist, wird’s richtig schmerzhaft.

Für viele ist Untreue der Trennungsgrund schlechthin. Doch das Betrügen ist komplex. Für manche beginnt die Untreue bereits im Kopf, für andere bei leichtem Körperkontakt oder sogar erst beim Geschlechtsverkehr. Auch die Gründe für Seitensprünge könnten unterschiedlicher nicht sein. Ebenso, die Art und Weise, wie im Nachhinein damit umgegangen wird. Adem*(28) hat seine Freundin mit seiner Ex-Freundin betrogen – einmalig. Marina*(26) hat ihren Freund mehrmals betrogen und sich nach jedem Mal so sehr gehasst, dass sie ihrem Leben ein Ende setzten wollte. René*(59) hat seine Ehefrau bereits seit Beginn der Beziehung vor 40 Jahren regelmässig betrogen – das schlechte Gewissen hielt sich jedoch, aus bestimmten Gründen, in Grenzen. Wir haben uns mit den Drei unterhalten und durften durch ihre Offenheit mehr über die Hintergründe ihrer Seitensprünge erfahren.

(*Namen von der Redaktion geändert.)

Hatte das Betrügen mit eurem Gegenüber, eurem/eurer Partner:in oder mehr mit euch selbst zu tun? Was war der ausschlaggebende Grund?

René: Meiner Meinung nach hat Betrug immer mit einem selbst zu tun. Ich kann keinen bestimmten Grund nennen, der mich dazu bewogen hat – ich denke es war einfach Neugier und Gier.
Marina: Bei mir hatte es definitiv auch mit mir selbst zu tun. Ich war in dieser Zeit sehr unzufrieden mit mir – enorm unsicher und selbstsabotierend. Der Akt vom Betrügen bestätigte mir, wie scheisse ich doch bin. Im Moment des Geschehens realisierte ich diese ungewöhnliche Art von Selbstsabotage jedoch nicht. Da führte irgendwie einfach das eine zum anderen. Rückblickend muss ich auch sagen, dass ich in der Beziehung, die ich damals führte, nicht komplett erfüllt war, mir das aber nicht eingestehen wollte.
Adem: Bei mir hatte es ebenfalls mit mir selbst zu tun. Es war meine Entscheidung, in diesem Moment meiner Lust nachzugehen und diesen, wie Marina bereits gesagt hat, selbstzerstörerischen Akt auszuführen.

Wie habt ihr euch danach gefühlt?

René: Ich bin in der Zeit der freien Liebe aufgewachsen, in der es keinerlei Regeln gab, bis die Aidswelle nach Europa kam, da wurde man natürlich vorsichtiger. In diesem Sinne habe ich zwar betrogen, mich aber irgendwie nie richtig schuldig oder schlecht gefühlt, weil für mich das Ausleben seiner sexuellen Bedürfnisse kein Verbrechen war. Das nicht Kommunizieren natürlich schon – aber das habe ich wohl verdrängt. Für mich ist Herzenstreue viel wichtiger, als schnell mal «Sport treiben» zusammen, da sind irgendwie nie Schuldgefühle aufgekommen, weil es nach dem Akt für mich erledigt war.
Marina: Krass, also ich fühlte mich absolut grausam. Es war eine Mischung aus Scham, Schuld und Ekel vor mir selbst. Ich fühlte mich wie der schlimmste Mensch auf Erden. Umso paradoxer, dass ich mehrmals betrogen habe. Ab und zu kam dieses Gefühl sogar bereits während des Aktes hoch. Jede:r Aussenstehende:r würde wohl sagen, dass ich nicht ganz normal sei. Für mich war das irgendwie ein Teufelskreis, aus dem ich nicht mehr rauskam – ich brauchte diese Bestätigung immer wieder, dass das schlechte Bild, welches ich von mir selbst hatte, stimmt.
Adem: Ich habe mich auch sehr schlecht gefühlt. Erst im Nachhinein, als ich das Ganze aus einer andere Perspektive betrachtete, wurde mir so richtig klar, was ich getan hatte.

War euch während des Aktes bewusst, was ihr gerade tut?

Marina: Fix. Wie bereits erwähnt, packten mich die schlimmen Gefühle teilweise bereits während des Aktes oder spätestens kurz danach. Das Absurde daran ist, dass ich trotz dem Bewusstsein weitergemacht habe – da wären wir dann eben wieder bei der Selbstsabotage.
René: Ja, mir war es auch bewusst – ich weiss eigentlich immer, was ich tue.
Adem: Mir war es ehrlich gesagt nicht bewusst. Ich war wie im Rausch, in jedem Aspekt – ich hatte getrunken.

Habt ihr den Betrug eurem/eurer Partner:in gestanden?

René: Nein, ich habe nie etwas über diese «Eskapaden» erwähnt, weil sie für mich nicht von Bedeutung waren, meine Partnerin aber hätten verletzen können, da sie einen ganz anderen Bezug zur Sexualität hat, als ich.
Adem: Ich habe auch nicht gestanden, aber weil ich mich so sehr geschämt habe.
Marina: Ich habe es ihm gesagt. Ich habe meinen Ex-Freund mehrmals betrogen. Ich habe ihm jedoch nicht jeden Seitensprung gestanden, aber einige. Zu einem bestimmten Grad, habe ich wohl aus egoistischen Gründen gestanden, weil das schlechte Gewissen zu gross wurde. Zum Ende der Beziehung hoffte ich mit jedem Geständnis, dass er mich verlassen würde.

Seid ihr trotzdem aufgeflogen, René und Adem?

René: Ja, aber erst Jahre später – in Gesprächen, als ich klarstellte, wie unbedeutend Sex für mich ist und dass es in meinem Empfinden rein gar nichts mit Liebe zu tun hat.
Adem: Ja, bin ich. Meine Ex-Freundin hatte ihr T-Shirt nach dem Sex im Bett meiner neuen Freundin liegen gelassen – ob absichtlich oder nicht sei dahingestellt.

Wie hat euer/eure Partner:in reagiert?

René: Meine Partnerin hat zu dem Zeitpunkt, als sie es erfahren hat, gut reagiert. Zu einem früheren Zeitpunkt hätte es wohl etwas anders ausgesehen. Auch sie braucht sehr viele Freiheiten – aber eher geistig, als körperlich. Wir sind beide in der Flower Power Zeit aufgewachsen. Das hat Spuren hinterlassen. Ich bewundere die heutige Generation, die sich viel monogamer verhält.
Marina: Beim ersten Mal ist er komplett ausgerastet. Absurderweise galt seine Wut jedoch mehr dem Mann, mit dem ich ihn betrogen hatte, als mir. Die anderen Male reagierte er sehr traurig und weinte viel. Wir waren insgesamt sechs Jahre zusammen, nach jedem Betrug, entschied er sich erneut dafür, trotzdem mit mir zusammen zu bleiben – im Sinne von; wir haben schon so viel zusammen geschafft, dann schaffen wir auch das noch. Extrem viel Toleranz von ihm also – aber auch sehr toxisch das Ganze.
Adem: Sie wurde wütend und traurig – viele Emotionen aufs Mal. Dann schmiss sie mich raus und beendete die Art von Beziehung, die wir hatten. Kontakt hielten wir aber dennoch.

Bereut ihr eure/n Ausrutscher?

René: Nein, ich bereue keinen Ausrutscher. Reue bringt einem nie etwas.
Adem: Ich bereue es auch nicht. Es hat mich einiges gelehrt und mir gezeigt, dass Lust ein temporäres Gefühl von kurzer Dauer ist. Dass es gescheiter ist, dieser Lust in gewissen Momenten zu widerstehen, statt sich von ihr leiten zu lassen.
Marina: Ich bereue, dass ich einem Menschen Schmerz zugefügt habe und sein Vertrauen missbraucht habe, ebenso, dass ich meine Bedürfnisse nicht ausdrücken konnte. Nicht aber die Ausrutscher an und für sich. Es waren immer sehr spannende Begegnungen und schlussendlich durfte ich dadurch viel über mich lernen. Und hätte ich damals gewusst, wie ich mich richtig mitteile, hätten diese Begegnungen kein Betrug sein müssen.

Zieht ihr in Betracht, dass euch künftig erneute «Ausrutscher» passieren werden? Ganz à la «Einmal Betrüger:in, immer Betrüger:in»?

Adem: Nein, das denke ich nicht. Weil ich mittlerweile den Gedanken gegen Lust anzukämpfen spannender finde, als die Lust gewinnen zu lassen – das ist nämlich sehr viel einfacher.
René: Ich habe mich die letzten Jahre so ausgelebt, dass ich seit längerem gar kein Bedürfnis mehr nach Sex verspüre. Zudem führen meine Partnerin und ich keine monogame Beziehung mehr. Somit könnte ich noch nicht einmal betrügen.
Marina: Nach meiner letzten Beziehung dachte ich, dass das wohl so sein wird. Als ich dann aber in eine neue Beziehung kam, in der ich nun noch immer bin, lernte ich, dass man seine Bedürfnisse mitteilen kann – beziehungsweise muss. Kommunikation ist das A und O in einer gesunden Beziehung. Wenn man offen ist miteinander, ist man dem Betrügen bereits einen Schritt voraus – somit kann es gar nicht erst dazu kommen.

Wie würdet ihr euch fühlen, wenn euer/eure Partner:in euch sexuell betrügen würde? Könntet ihr verzeihen?

Adem: Es wäre sehr schwer für mich, aber ich denke ich könnte verzeihen. Ob ich die Beziehung weiterführen könnte, weiss ich jedoch nicht.
René: Ich könnte meiner Partnerin in diesem Punkt alles verzeihen, solange wir in Herzensangelegenheiten Eins sind.
Marina: Durch meine Vorgeschichte, würde ich auch ganz klar Ja sagen – in der Praxis weiss ich jedoch nicht ganz, wie ich reagieren würde. Die Beziehung, in der ich momentan lebe, ist mir sehr wichtig. Daher würde ich das Gespräch suchen wollen, um herauszufinden, was nicht stimmt oder welche Freiheiten mein Partner für sich braucht.

Wo beginnt Betrug?

René: Betrug beginnt mit Lügen und ausweichendem Verhalten – in ganz verschiedenen Angelegenheiten, das hat für mich primär nichts mit Sex zu tun.
Marina: Ich sehe das ähnlich. Sobald man etwas vor seiner Partnerin oder seinem Partner verheimlicht, das kann auch eine emotionale tiefe Verbindung zu einem anderen Menschen sein, würde ich von Betrug sprechen.
Adem: Dann, wenn man weiss, dass man seine/seinen Partner:in verletzt. Und da schliesse ich mich den beiden an; für mich hat Betrug definitiv auch nicht nur mit Sex zu tun.

Kann man das sexuelle Betrügen denn rechtfertigen?

Adem: In bestimmten Fällen, ja. Und zwar dann, wenn das Geständnis mehr Schmerz zufügen würde, als nötig. So wie René es vorhin geschildert hat: Wenn es einfach nur rein körperlich ist, ohne jegliche Gedanken oder Gefühle dahinter.
René: Nicht direkt, weil ich mir nicht sicher bin, ob es für mich überhaupt so bedeutend ist, dass ich es rechtfertigen müsste.
Marina: Rechtfertigen bedeutet für mich, einen guten Grund dafür haben, warum man etwas tut – und den habe ich definitiv nicht. Es gibt meiner Meinung nach nie einen Grund, etwas heimlich hinter dem Rücken der Partnerin oder des Partners zu tun. Wenn man in einer Beziehung nicht offen über seine Bedürfnisse sprechen kann, dann stimmt etwas Grundlegendes nicht.

Was hältst du von Monogamie?

René: Ich denke der Mensch ist absolut nicht für Monogamie geschaffen. Monogamie ist meiner Meinung nach eine Vorgabe der Kirche und Glaubenslehren.
Marina: Ich bin mittlerweile verheiratet und lebe in einer monogamen Beziehung. Durch meine Vergangenheit ziehe ich aber in Betracht, dass ich nicht für immer monogam leben werde. Eine offene Beziehung kann sehr befreiend sein. Hätte ich damals, als ich noch mit meinem Ex-Freund zusammen war, gewusst, dass diese Beziehungsform existiert, hätte viel Leid erspart werden können.
Adem: Bei der Monogamie geht es wieder darum, seine eigene Lust bändigen zu können, in dem man sie hinterfragt. Ich lebe ebenfalls in einer monogamen Beziehung und das stimmt so für mich, weil es meiner Meinung nach die Form von Beziehung ist, die einem am meisten gibt aber auch am meisten fordert.

Warum betrügt Mensch?

Adem: Aus Komplexen und psychischer Schwäche – und wieder; die ungezügelte Lust.
René: Weil er zu neugierig ist.
Marina: Ich bin für mich zum Entschluss gekommen, dass Betrug dann passiert, wenn man Bedürfnisse hat, die unterdrückt oder nicht mitgeteilt werden – aus welchen Gründen auch immer. Wenn man ehrlich ist, zu sich selbst, aber auch zu seiner Partnerin oder seinem Partner, muss kein Betrug passieren.

13. Februar 2022

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