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«Die Kunstszene ist immer noch sehr eurozentrisch, und ich stosse hier definitiv an die Grenzen»  – Galerist Olivier Chow im Interview

Nach erstklassigen Ausstellungen mit Kunstschaffenden wie Didier Viodé, Pierre Louis Herold, und Tafadzwa Tega widmet sich die Schweizer Galerie Foreign Agent gerade der Künstlerin Tiffanie Delune. Der junge Ausstellungsort pflegt im Schweizer Kulturgeschehen einen progressiven Ansatz, der weit bis über die Grenzen des Landes hinausgeht. Wir haben uns mit dem Founding Manager Olivier Chow über die normative Kunstrezeption, seine Sammlungstätigkeit und aktuellen Trendbewegungen von zeitgenössischen Künstler:innen aus Afrika und dessen Diaspora unterhalten.

Von Joshua Amissah

Foreign Agent ist eine dynamische Galerie für zeitgenössische Kunst mit Sitz in Lausanne, die aufstrebende und etablierte zeitgenössische Künstler:innen und Designer:innen aus Afrika und der Diaspora in einer einzigartig kuratierten afro-futuristischen Umgebung ausstellt. Zwischen exklusiven Glasfasermöbeln von Yinka Ilori und einer beachtlichen Auswahl an Kunstbüchern finden hier – nebst Vertretungen an verschiedenen Kunstmessen – rund sechs Ausstellungen pro Jahr statt. Die progressive Galerie Foreign Agent wurde von Olivier Chow gegründet, einem Weltbürger, der in Genf, London und vor Ort ausgebildet wurde. Chow ist nicht nur Politikwissenschaftler, Kunsthistoriker und Galerist, sondern auch selbst eine ambitionierte Sammlerpersönlichkeit. Noch während seinem Aufenthalt an der 1-54 Contemporary African Art Fair in New York konnten wir uns mit ihm austauschen.

Olivier Chow, woher rührt Ihr Interesse an zeitgenössischen Künstler:innen und Designer:innen mit Verbindung zu afrikanischen Ländern und deren Diaspora?

Oliver Chow: Mein Interesse für den Kontinent begann mit klassischer afrikanischer Kunst, die ich später an der SOAS (School of Oriental and African Studies), University of London, mit einem MA in afrikanischer Kunst bei John Picton, einem führenden Wissenschaftler für nigerianische Kunst, studierte. Ausserdem habe ich mehrere Jahre in Afrika gelebt und gearbeitet – in der Demokratischen Republik Kongo, in Ruanda, Guinea, Niger und Südafrika – als Delegierter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), was mein Interesse an afrikanischer Kunst und Kultur noch verstärkte. Erst als ich mich 2010 in Kapstadt niederliess, kam ich stärker mit der zeitgenössischen Kunst- und Designszene in Kontakt.

Bis heute ist der Grundkanon der Kunstgeschichte und des Kunstmarktes insgesamt sehr eurozentristisch. Lausanne wird oft als recht kosmopolitische Insel in der Schweizer Kulturlandschaft gesehen – deckt sich das mit den Reaktionen und Rückmeldungen der lokalen Kunstszene auf Ihre Initiative?

Mit der neugeschaffenen «Plateforme 10» festigt Lausanne definitiv seine Bedeutung als eine der führenden Kunstszenen in der Schweiz – vor allem in der Romandie – und es ist spannend zu sehen, dass dies jetzt geschieht. Die Kunstszene ist jedoch immer noch sehr eurozentrisch, und ich stosse hier definitiv an die Grenzen, da ich eine der wenigen im Land bin, die sich mit Kunst und Design vom afrikanischen Kontinent und der Diaspora befasst. Aber ich stelle fest, dass afrikanische Künstler:innen zunehmend in Schweizer Galerien vertreten sind. In der Schweiz wird Afrika immer noch sehr stark durch das Prisma von humanitären Angelegenheiten, Konflikten und negativen Tropen gesehen. Ich versuche also, die Wahrnehmung der Menschen zu ändern, indem ich die Talente des Kontinents fördere, sei es in der Kunst, im Design oder in der Mode. Und die Resonanz ist grossartig! Die Schweiz hat viel weniger Beziehungen zu Afrika als alle anderen Nachbarländer, aber es gibt eine zunehmend dynamische schweizerisch-afrikanische Gemeinschaft, mit der ich definitiv in Verbindung stehe.

«There’s Gasoline in my Heart» 2021 by Tiffanie Delune

Sie sind auch selbst Kunstsammler – wie gehen Sie beim Sammeln vor und was verbindet die verschiedenen Stücke Ihrer persönlichen Sammlung?

Meine Sammlung ist sehr vielfältig und wie alle Sammlungen tief mit meiner eigenen Lebensgeschichte verbunden. Sie umfasst klassische traditionelle Kunst, die ich oft während meiner Arbeit im Ausland gesammelt habe, und andere Erinnerungsstücke aus meinem Leben vor Ort mit dem IKRK – das waren wichtige Jahre für mich. Die zeitgenössischen Werke stammen oft von Künstler:innen, die ich persönlich kenne und mit denen ich mich im Laufe der Zeit angefreundet habe, wie Wallen Mapondera, der gerade für Simbabwe an der Biennale von Venedig teilgenommen hat, sowie von Künstler:innen, die ich auch in meiner Galerie Foreign Agent vertrete, wie Didier Viodé und Maurice Mboa. Ich liebe auch zeitgenössisches afrikanisches Design, und in meiner Wohnung finden sich Werke von Designer:innen wie Hamed Ouattara, Peter Mabeo, Jean Servais Somian und Ousmane Mbaye, mit dem ich auch zusammenarbeite. Ich fühle mich zu Materialität, Textur, Erzählungen und auch Humor hingezogen, der in der kongolesischen Kunst sehr stark ausgeprägt ist. Es ist grossartig, wenn deine Umgebung dich amüsieren kann.

«No Path to follow» 2022 by Tiffanie Delune

Auch in der Kunstrezeption werden heute oft Begriffe wie «afrikanische Kunst» oder sogar «Schwarze Kunst» verwendet, um das Schaffen afrikanischstämmiger Künstler:innen zu kategorisieren. Ist diese Kategorisierung angesichts der Tatsache, dass es auf diesem riesigen Kontinent eine Vielzahl unterschiedlicher Strömungen und Tendenzen gibt, überhaupt sinnvoll?

Sie ist auf jeden Fall reduzierend und einschränkend und ermöglicht es den Menschen nicht wirklich, die grossen Unterschiede zwischen den verschiedenen Kulturen und Trends zu verstehen. Die kongolesische Kunst und die Kunst aus Ghana unterscheiden sich in Bezug auf Verfahren, Stil und Erzählweise erheblich. Viele Schwarze Künstler:innen stammen ebenfalls aus der afrikanischen Diaspora, und auch ihre Vision unterscheidet sich völlig von der der Künstler:innen, die auf dem Kontinent tätig sind. Das Ziel vieler dieser Künstler:innen ist es definitiv, als zeitgenössische Künstler:innen angesehen zu werden. Daher sind Plattformen wie die Kunstmesse 1-54, die sich Kunstschaffenden aus Afrika widmet, wichtig, denn ohne sie würden viele Künstler:innen nicht die Art von Aufmerksamkeit und Anerkennung erhalten, die sie derzeit erhalten.

Welche aktuellen Trendbewegungen beobachten Sie bei den Künstler:innen, mit denen Sie zusammenarbeiten?

Jeder meiner Künstler:innen hat seine eigene Welt und seinen eigenen Werdegang. Die meisten von ihnen sind aufstrebende Künstler:innen, d.h. sie befinden sich am Anfang oder in der Mitte ihrer Karriere, mit Ausnahme der Designer:innen, mit denen ich zusammenarbeite und die eher etabliert sind. Die meisten der Künstler:innen, mit denen ich zusammenarbeite, sind in ihrer Praxis recht vielfältig (von Malerei über Mischtechniken bis hin zu Textilien oder Fotografie) und entwickeln mehrere Arbeitsbereiche. Sie wollen sich nicht einschränken und freuen sich, wenn sie von einem Medium und einer Perspektive zur anderen wechseln können. Viele der Designer:innen sind dabei, die nächste Generation auszubilden und in ihr Erbe zu investieren.

«Carry Me Home» 2021 by Tiffanie Delune

Die Ausstellung «There’s Gasoline In My Heart» der französisch-kongolesischen bildenden Künstlerin Tiffanie Delune wurde erst kürzlich eröffnet. Was können wir von ihr erwarten?

Ich freue mich sehr, Tiffanies Arbeiten in der Schweiz zu zeigen, denn sie ist eine so einzigartige und talentierte Künstlerin. Sie ist Autodidaktin, was ich immer sehr faszinierend finde. Es ist ihre erste Einzelausstellung in diesem Jahr, und ich bin froh, ihre Arbeiten zeigen zu können, denn sie ist eine sehr gefragte Künstlerin mit einer internationalen Karriere, die kürzlich Ausstellungen in New York, Dallas, London und bald auch in L.A. hatte, sowie einen geplanten Aufenthalt und eine Einzelausstellung in der Gallery 1957 in Accra. Es ist toll, sie in Lausanne zu haben. Die Ausstellung wurde von Artsy als eine der fünf «Must-See»-Galerieausstellungen der Welt in dieser Woche aufgeführt, was sehr cool ist. Man darf sich auf warme Farben, übereinanderliegende Texturen, abstrakte Formen und biomorphe, sinnliche Formen mit einer Vielzahl von talismanischen Bildzeichen freuen! Sie plant sogar, eine Art Wörterbuch zu erstellen, um die vielen Symbole, die sie verwendet und die einzigartig für ihre Praxis und ihr Universum sind, zu indexieren und zu referenzieren. Faszinierend sind auch ihre Erzählungen, die sich auf ihre fesselnde Kindheit und ihre spirituellen Reisen beziehen. Es ist spielerisch und fesselnd, und man entdeckt ständig neue Dinge. Ich bin sehr stolz auf diese Show.

Tiffanie Delune at Foreign Agent

Die Ausstellung «There’s Gasoline In My Heart» ist noch bis zum 2. Juli 2022 an der 64 avenue d’Ouchy in Lausanne zu sehen.

27. Mai 2022

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