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«Bin nicht sauer, nur enttäuscht» – Fear of Disappointing Others

Jemanden zu enttäuschen tut weh. Kein Wunder, dass es Menschen gibt, die sich genau vor diesem Gefühl fürchten. Und diese Angst hat sogar einen eigenen Namen: FODO – Fear of Disappointing Others (die Angst davor, andere zu enttäuschen).

Von Gisèle Moro

Oh shit. Von wem auch immer man diesen Satz gesagt bekommt : «Bin nicht sauer, nur enttäuscht» – eines ist sicher: bei dieser Person hat man verkackt. Und zwar so richtig. Im Vergleich zu Wut ist Enttäuschung nämlich eine Emotion, die sich irgendwie persönlicher anfühlt. Jemand, der oder die an dich geglaubt hat, dir vertraut hat, tut es jetzt nicht mehr. Und dafür bist du selbst verantwortlich. Autsch.

FODO. So nennt sich die Angst davor, andere zu enttäuschen. FODO ist FOMO’s Cousine sozusagen – klingt nicht nur irgendwie cringe, sondern ist auch ’ne ziemliche Bitch. Denn FODO ist eine listige Angst, die viele wohl gar nicht als eigenes Phänomen bezeichnen würden. Sie funktioniert schön schleichend im Hintergrund und sorgt ganz langsam aber sicher für einen Zustand ständiger Selbstüberforderung. Hey, kannst du mir spontan noch beim Umzug helfen? Ja. Magst du die Aufgabe, der alle aus dem Weg gehen, vielleicht doch übernehmen? Ja. Magst du deine Deadlines ignorieren und stattdessen lieber meinen Herzschmerz heilen? Ja. FODO sagt zu allem Ja. Und genau das ist das Gefährliche.

Aber lasst uns kurz nochmal einen Schritt zurück gehen: Woher kommt diese Angst überhaupt? Wie kann sie sich äussern? Und kann man FODO jemals überwinden?

FODO – was ist das?

Vermutlich stellt ihr euch jetzt genau die gleiche Frage wie ich mir noch vor ein paar Tagen. FODO – what the hell is that? Und obwohl wir alle vermutlich schon mal eine Form von FODO erlebt haben, ist dieser Begriff nur wenigen Menschen bekannt. Häufig wird über FODO, also die Angst andere zu enttäuschen gesprochen, ohne dass dabei der Begriff verwendet wird. Hinter der Angst andere zu enttäuschen, stecken nämlich eigentlich ganz viele gebündelte Ängste oder Verhaltensmuster, die häufig auf die Reaktion des Gegenübers bezogen sind. Also beispielsweise die Angst davor, das Gegenüber wütend zu machen oder die Angst davor als unzuverlässig oder schlechte Person angesehen zu werden. Darüber hinaus kann aber auch ein scheinbarer Kontrollverlust, eine Fehleinschätzung der eigenen Grenzen oder die Angst davor, Fehler zu machen für FODO verantwortlich sein. Nicht zu vergessen ist hier auch FODOs Bestie. Ihr Name ist People Pleaser und auf sie werde ich später nochmal eingehen. Letztendlich binden Menschen, die diese Angst erleben, ihr eigenes Wohlergehen an die Meinungen anderer. Psycholog:innen zufolge liegt der Ursprung dieser Angst, wie so oft, in der Kindheit. Wird ein Kind dafür zurechtgewiesen, eigentlich gesunde Grenzen zu setzen (im Zusammenleben mit Geschwistern beispielsweise oder von Lehrer:innen in der Interaktion mit Mitschüler:innen), kann im Erwachsenenleben die Angst entstehen, das weiterhin zu tun. Bevor man es sich bewusst wird, reisst man sich ein Bein aus und tut alles, um es auch wirklich jedem und jeder recht zu machen.

FODO und People Pleasing – Besties 4 Life

Wie schon oben kurz erwähnt, gehen FODO und das allseits bekannte People Pleasing Hand in Hand. Denn ohne das eine kommt das andere nicht aus. Das macht auch Sinn, da die Motivation, die diese beiden Verhaltensweisen hervorrufen, ähnlich sind. Die AOK (Allgemeine Ortskrankenkasse) nennt hier als Antrieb zum People Pleasing beispielsweise die Sucht nach Anerkennung und Akzeptanz, ein Verlangen nach ständiger Harmonie oder die Angst vor Ablehnung. People Pleaser wollen ihrer Umgebung gefallen, wie Menschen mit FODO auch. Die AOK schreibt weiter: «Auch wenn es für Betroffene sehr zermürbend sein kann, es allen recht machen zu wollen, gibt es in der Psychologie keine eigenständige Diagnose dafür. People-Pleaser haben keine psychische Erkrankung, sondern ein erworbenes Verhaltensmuster». Sollte man selbst also ein People Pleaser oder eine People Pleaserin sein, muss man zu dieser Diagnose wohl selbst kommen.

FODO kann sich in zwei Formen äussern: Mangel oder einem Übermass an Engagement

Im Arbeitsleben können sich FODO und People Pleasing in zwei Formen äussern. Entweder in einem Mangel oder einem Übermass an Engagement. Lasst es mich an einem Beispiel erklären: Person A, dreifache Mitarbeiterin des Monats, ist nur mit dem Besten vom Besten zufrieden. Immer muss sie eine Top Leistung erbringen – ihre Ansprüche an sich selbst sind enorm hoch, gar unrealistisch. Letzten Monat ist ihr aber ein Kollege zuvorgekommen und hat sich den Titel des Mitarbeiters des Monats gekrallt – eine Katastrophe. Von heute auf morgen ist Person A in eine Spirale der Selbstzweifel abgerutscht und pusht sich jetzt noch mehr als zuvor. Sie gibt 110%, auch wenn das für die nächsten zwei Wochen nur vier Stunden Schlaf pro Nacht und Dauerstress bedeutet. Nicht das eigene Wohlergehen, sondern eine top Leistung hat Priorität.

Am anderen Ende des Spektrums: Person B. Person B liegt nicht wirklich viel daran, Aufwand in Dinge zu investieren. Person B ist aber nicht faul. Als Kind war sie nämlich Musterschülerin und schrieb eine Bestnote nach der anderen. Doch ihre Geschwister hatten Schwierigkeiten in der Schule und konnten nicht mit Person B mithalten. Und wann immer Person B mit der Bestnote auf ihrer Klassenarbeit nach Hause kam, fühlten sich ihre Geschwister schlecht. Da sagte ihre Mama ihr eines Tages «Gib nicht so an – da fühlen sich die anderen dumm!» Und das hörte sie immer wieder. Ihre Noten wurden schlechter und jetzt haben wir den Salat. Person B möchte gar keine guten Leistungen mehr erbringen, wenn dadurch auch nur ansatzweise die Gefahr besteht, dass sich die Leute in ihrem Umfeld danach schlecht fühlen. Das ist es Person B einfach nicht wert.

Nur zur Klarstellung: Die gerade beschriebenen Szenarien sind potentielle Ergebnisse, wie gewisse Erfahrungen (in der Kindheit) erwachsene Entscheidungen beeinflussen können. In einem Paralleluniversum juckt es Person A vielleicht kein Bisschen, dass sie nicht Mitarbeiterin des Monats geworden ist. Und vielleicht hat Person B plötzlich doch Lust sich anzustrengen, wird voll die krasse Überfliegerin und gewinnt einen Friedensnobelpreis oder so. Zwar ist nichts in Stein gemeisselt, doch FODO ist etwas, dass früh anfängt, mit der Zeit wächst und so gut wie alle Lebensbereiche betrifft.

Okay, FODO ist kacke. Verstanden. Aber wie kann ich es überwinden?

Sorry to disappoint aber – das kann ich euch leider nicht beantworten. Ich könnte euch jetzt die Bulletpoints aus den vielen Selbsthilfe Blogs, die ich für diesen Text gelesen habe, zitieren. «Lebe im Moment, sei geduldig, gib deinen Emotionen Raum,…» und ein Tipp, den alle aufzählen: «Geh in Therapie.» Alles gute Ratschläge. Aber irgendwie fühlt es sich nicht richtig an, hier zu sitzen und so zu tun, als hätte ich die Lösung für das Problem. Ich hab die Weisheit nicht mit Löffeln gegessen und finde mich weitaus öfter, als ich es zugeben möchte, in Situationen, in denen ich vor Überforderung glatt heulen könnte *räusper* ich meine geheult habe.

Wozu also dieser Text? FODO ist etwas, das ich die letzten Wochen wohl so intensiv wie noch nie erlebt habe. Und irgendwie habe ich mich mit diesem Gefühl super überfordert und vor allem allein gefühlt. Und wer weiss, ob es jemanden von euch nicht gerade auch so geht? Auf jeden Fall hat dieses schwere, dunkle, jahrelang gewachsene, undurchsichtige, angsteinflössende Ding einen Namen. Und wenn Dinge einen Namen haben, kann man über sie reden. Und ich glaube, das ist schonmal ein guter Anfang.

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