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Fight the Power #1

*Maria, 28 Jahre alt, protestierte im November 2018 in Basel gegen Nazis. Nun wurde sie wegen «passiver Teilnahme an mehrfacher qualifizierter Gewalt und Drohung gegen die Behörden und Beamten» – ein neuerfundener Straftatbestand – zu acht Monaten Haft verurteilt. Unbedingt.

Von Daniel Ryser

Fight the Power. Zum Beispiel in Basel. Nennen wir sie *Maria, 28 Jahre alt. 

Im November 2018 rufen Neonazis in Basel zu einer Kundgebung auf. Fünfzig fast ausschliesslich Männer folgen dem Aufruf, um dort für eine Ideologie auf die Strasse zu gehen, wo es letztlich um die Vernichtung vom Anderen geht.

Zweitausend Menschen treffen sich am selben Ort zum Gegenprotest, darunter Maria. Sie hatte ein Megafon dabei und skandierte Parolen gegen die Nazis, gegen Rassismus. 

Am Rande der Kundgebung kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Nazis, Gegendemonstranten, der Polizei. Die meisten der Anwesenden hatten friedlich demonstriert. Trotzdem laufen seit Anfang September vierzig Verfahren vor dem Basler Strafgericht, und dies bisher vor allem gegen Menschen, deren Vergehen es war, dass sie an jenem Tag einfach dort waren. Zum Beispiel ein junger Mann, der zu einer bedingten Strafe verurteilt wurde, weil er an jenem Tag Fotos gemacht hatte.

Und Maria, der diese erste Kolumne gewidmet ist: Bei der sechsten Verhandlung wurde die junge Frau zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Unbedingt. Sie muss das absitzen. 

Bloss was hat sie getan?

Das Gericht erfand den Straftatbestand der passiven Gewalt, offiziell die «passive Teilnahme an mehrfacher qualifizierter Gewalt und Drohung gegen die Behörden und Beamten».

Übersetzt heisst das: Weil sie an einer Kundgebung war, an deren Rande es offenbar zu Gewalt kam, muss sie mithaften. Der individuelle Tatnachweis, eigentlich ein Grundsatz des Rechtsstaates (ausser beim Landfriedensbruch, wo in der Regel Geldstrafen verhängt werden können wegen der reinen Anwesenheit an einem Ort, an dem es plötzlich zu Krawall kommt, zum Beispiel rund um ein Fussballspiel), wird hier ausgehebelt.

Am selben Tag verurteilte dasselbe Gericht einen ehemaligen Olympia-Boxer und SVP-Politiker zu einer bedingten Geldstrafe, weil er einem Migranten im Migros die Faust ins Gesicht geschlagen hatte.

Schlägst du in Basel Migranten zusammen, kriegst du eine bedingte Geldstrafe. Demonstrierst du gegen solche Gewalt, kannst du wegen «passiver Gewalt» lange ins Gefängnis gehen.

Keine Pointe.

Nachdem die Polizei am Kundgebungstag zurückhaltend gewesen war, stellte sich später heraus, dass man den ganzen Tag die weitere Umgebung mit hochauflösenden Kameras gefilmt hatte und im Nachgang einen riesigen Aufwand betrieb, insgesamt 303 Teilnehmende ausfindig zu machen und gegen über sechzig Verfahren einzuleiten. Monate nach der Kundgebung folgten Hausdurchsuchungen und Verhaftungen. 

«Der Staat fährt massive Instrumente hoch, wegen dem blossen Anwesendsein an einer Demo», sagt Reporterin Anja Conzett, meine Kollegin bei der «Republik», die die Basler Prozesse verfolgt.

Sie sagte, die junge Frau habe vor Gericht auf sie ziemlich furchtlos gewirkt, und sie sagt, dass das vermutlich für den Richter ein Problem gewesen sei. 

«Maria hat vor Gericht ein Plädoyer verlesen, in dem sie das Vorgehen der Polizei kritisierte, sie kritisierte, dass die Polizei in der Schweiz Neonazis schütze und dass an jenem Tag überhaupt eine solche Nazi-Demonstration bewilligt worden sei», sagt Conzett. «Sie sagte auch, dass sie selbstverständlich wieder ein Megafon in die Hand nehmen würde, wenn Nazis in ihrer Stadt demonstrierten. Ich sass dort und beobachtete den Richter und hatte das Gefühl, dass er als alter Mann die Aufmüpfigkeit der jungen Frau persönlich genommen hat, als Provokation verstand, und deswegen das krasse Urteil unter anderem mit Uneinsichtigkeit begründete.»

Uneinsichtig gegen Nazis?

Die Fragen, die über allem steht: Geht irgendjemand in Zukunft noch auf eine Demonstration, wenn er oder sie dafür für das blosse Anwesend sein im Gefängnis landen kann? Und: Kriminalisiert das Gericht bewusst die antifaschistische Bewegung?


Das ist ein Vorwurf, der in Basel inzwischen offen im Raum steht, nicht erst seit Marias Urteil, aber spätestens seit dann auf jeden Fall.

Nachdem es zum Beispiel im Juni 2016 an einer Demonstration gegen Rassismus und Aufwertung zu Sachbeschädigungen gekommen war, führte das Basler Strafgericht die Kollektivstrafe wieder ein (ein ähnliches Vorgehen wie heute). Weil nämlich nicht zu beweisen war, welche oder welcher der Teilnehmenden Sachbeschädigungen begangen hatte, tat die Justiz folgendes: Sie bestrafte alle Teilnehmenden einfach für alles, was an jenem Abend passiert war, weil es, so behauptete das Gericht, ohne dafür einen Beleg zu liefern, zu Beginn des Abends einen «gemeinsamen Tatentschluss» gegeben habe, zu randalieren, Gewalt anzuwenden. Bewiesen konnte dieser Tatentschluss natürlich nicht, getan wurde es trotzdem. Also wurden auch Leute für schwere Straftaten verurteilt, welche diese nicht begangen hatten.

Und jetzt also ein ähnlicher Fall, der Straftatbestand der «passiven Gewalt»: Acht Monate Gefängnis dafür, dass du nicht gewalttätig geworden bist.

Verrücktes Basel: Nachdem es im Nachgang zur der Anti-Nazi-Demonstration zu dutzenden Hausdurchsuchungen gekommen war, zeigten sich im letzten Jahr dutzende Mitglieder eines «Grauen Blocks», wie sie es nannten, selbst bei der Polizei an: Die älteren Menschen, viele von ihnen über sechzig, betraten an einem Abend im November 2019 einen Polizeiposten in Basel und sagten, auch sie hätten damals an jener Kundgebung gegen die Neonazis teilgenommen, und wenn die Jugend für dieses politische Engagement so hart bestraft werde, so sollten auch sie bestraft werden.

Der ehemalige Gerichtspräsident für Strafsachen in Basel, Peter Albrecht, sagte zu den bisherigen Urteilen in einem Interview: «Ich habe schon den Eindruck, dass die Staatsanwaltschaft eine härtere Linie fährt. Das Urteil wirkt auf den ersten Blick sehr hoch.» Er habe das Gefühl, dass der «politische Inhalt von Demonstrationen» in das Urteil des Basler Gerichts eingeflossen sei. Die Menge an Verfahren gegen linke Demonstrantinnen und Demonstranten werfe Fragen auf.

Das alles kostet die Betroffenen eine Menge Geld. Auch Maria.

Kürzlich besuchte ich einen Anlass in Zürich, bei dem eine Spendenkampagne lanciert wurde: «500K» heisst die Kampagne. Aktivistinnen und Aktivisten aus Zürich und aus Basel wollen in den kommenden Monaten für Maria und die anderen Angeklagten 500’000 Franken sammeln – das sind die Prozesskosten, die in Basel anfallen. 

«Antifaschismus kostet», schreiben die Initiatoren. In Basel werde versucht, Politaktivismus zu kriminalisieren, es gehe nicht darum, Recht zu sprechen, sondern Rache zu üben. 

Es gibt tatsächlich erheblichen Grund zur Annahme, und Marias Fall ist ein leuchtendes Beispiel dafür, dass die Basler Justiz den rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismässigkeit einfach bei Seite geschoben hat.

Spenden kannst du hier.

(*Name von der Redaktion geändert)

19. November 2020

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