Wollte man Tickets für die «Diagonale», das Festival für österreichischen Film, in Graz kaufen, musste man erst an einem überlebensgrossen, blutigen Tampon vorbei. Die direkt vor dem Kunsthaus aufgestellte Kunstinstallation von Anna Spanlang namens «Baby better have my menstruation. I ain’t no museum» konnte nicht nur als feministische Intervention, sondern auch als Einstimmung auf das filmische Programm des Festivals gesehen werden.
Dieses Jahr stachen gleich mehrere unkonventionelle Werke heraus, die sich alle mit Gender, Performance und Identitäten auseinandersetzen, wenn auch auf jeweils sehr unterschiedliche Weise. Da wäre etwa der Gewinner der Kategorie «innovatives Kino», «C-TV (Wenn ich Dir sage, ich habe Dich gern…)», in dem die Filmemacherinnen Eva Egermann und Cordula Thym in Form einer imaginären, von einem Hamster moderierten Talkshow Menschen mit Behinderungen zu Wort kommen lassen. Der humorvolle Kurzfilm schafft es dabei, die angesprochene Diskriminierung zu queeren, indem etwa eine Dragqueen das Studio putzt oder Crip-Trans-Aktivist*in Em Gruber von der morgendlichen Routine mit Testosterongel erzählt.
Doch auch bei den langen Formaten dachten mehrere Filme über performative Geschlechtlichkeit nach. In Hans Broichs Spielfilm «Menuett», der auf dem gleichnamigen Roman des flämischen Autoren Louis Paul Boon basiert und diesen ins zeitgenössische Berlin verlegt, geht es um die Dreiecksbeziehung zwischen einem Ehepaar und ihrem Hausmädchen. Was nach altbekanntem Stoff klingt, wurde von Broich allerdings in neue Form gegossen (und hat erst noch den Preis für die beste künstlerische Montage in der Kategorie Spielfilm gewonnen): Hier überlappen sich die Stimmen und Erzählungen, sodass es teilweise beinahe unmöglich ist, nur einem Narrativ zu folgen. Dabei scheint jede Figur in ihrer eigenen Erzählung gefangen zu sein, ohne auf die anderen eingehen zu können.
«So simpel wie möglich und so komplex wie nötig»
Noch expliziter und dekonstruierter gehen die beiden Dokumentarfilme «Feminism WTF» von Katharina Mückstein und «Mutzenbacher» von Ruth Beckermann das Thema an. In «Feminism WTF» erzählen Akademiker:innen und Expert:innen von verschiedenen Aspekten feministischer Theorie. Was unglaublich trocken klingt, ist dabei aber visuell poppig-bunt verpackt: Die Gesprächspartner:innen sitzen in farblich auf den Hintergrund abgestimmten Outfits vor der Kamera, ihre Statements wechseln sich mit kurzen Tanzeinlagen oder anderen performativen Sequenzen ab. «In „Feminism WTF“ geht es darum, Theorien des intersektionalen Feminismus aus der Academia zu einem mainstream Publikum zu bringen», erzählt Regisseurin Katharina Mückstein.
«So simpel wie möglich und so komplex wie nötig» sei das Motto des Films. Doch wer durch die kaugummifarbene Ästhetik einen ebensolchen popfeministischen Take erwartet, wird also enttäuscht. Bald geht es um Antikapitalismus, um Rassismus oder um die Notwendigkeit von Zärtlichkeit. «Ich habe das gemacht, was mir handwerklich am meisten entspricht, weswegen der Film sehr inszeniert und ästhetisiert daherkommt», sagt Mückstein, die ursprünglich aus dem Spielfilmbereich kommt. Unter den Interviewten ist auch Franziska Schutzbach, eine Geschlechterforscherin und Soziologin, die in Basel lebt und lehrt und zuletzt mit ihrem populärwissenschaftlichen Buch «Die Erschöpfung der Frauen» feministische Theorien einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Im Film spricht sie unter anderem über die Bedeutung von unbezahlter Care Work und Antifeminismus: «Vielleicht sind diese massiven Aggressionen und Gegenreaktionen gegen Feminismus und Gleichberechtigung tatsächlich auch ein Zeichen der Schwäche des Patriarchats.»
Bilder: Mutzenbacher © Ruth Beckermann Filmproduktion
Mückstein gelingt es, Feminismus als «Denkschule, die sich der Komplexität und Ambivalenz verschrieben hat» darzustellen, wie sie selbst sagt. Und ihre Strategie scheint aufgegangen zu sein: Der Film wurde mit dem Publikumspreis belohnt.
Männliche Sexualität unter der Lupe
Die von Mücksteins Film angesprochene Komplexität und Ambivalenzen zeichnet auch Ruth Beckermanns Dokumentarfilm «Mutzenbacher» aus. Allerdings spezifisch in Bezug auf Männlichkeiten und männliche Sexualität. Die Grande Dame des österreichischen Kinos, die 2019 in die Oscar-Akademie berufen wurde, hat für ihren Film Männer zu einem offenen Casting eingeladen, wo sie Textpassagen aus dem Erotikroman «Josefine Mutzenbacher oder die Geschichte einer Wienerischen Dirne» vorlesen oder teilweise sogar nachspielen.
Dabei dient Beckermann der Text als Trigger, «um über männliche Sexualität zu sprechen, aber auch um männliches Verhalten heute in Bezug zu einem vor mehr als hundert Jahren erschienenem Text zu beobachten», wie sie sagt. Da kann es schon auch zu unangenehmen Momenten kommen, etwa wenn Männer scheinbar Inzest rechtfertigen oder sich nicht einig werden können, ob eine spezifische sexuelle Handlung einvernehmlich stattgefunden hat oder nicht. Doch Beckermanns Stimme, die nur aus dem Off zu hören ist, scheint immer in Kontrolle zu sein – als Fragende, Helferin und manchmal auch als Provokateurin.
Beim mehrheitlich jungen Publikum sorgte der Film nach dem Screening auf jeden Fall für Diskussionen. Von Frauen habe sie viel Zustimmung erfahren, so Beckermann. «Es gibt Männer, die sich mit den Protagonisten überidentifizieren, manche fühlen sich dann schlecht», sagt sie weiter. «Mutzenbacher» ist eben alles zugleich: feministisch, erotisch, herausfordernd und humorvoll.
Working the trap
Co-Festivalleiter Peter Schernhuber erklärt diese sich teils überschneidenden Interessen an Feminismus und Geschlechterrollen wie folgt: «Es ist schlichtweg so, dass sich der österreichische Film zuletzt stärker für Feminismus und feministische Themen interessiert, andererseits ist es generell unser Anspruch „rote Fäden“ im Programm auszumachen und zu thematisieren.» Zudem werde durch die diversen Arbeiten unterschiedlichster Filmschaffenden deutlich, dass der österreichische Film eine «grossartige feministische Seite» habe.
Was grundsätzlich sehr verschiedene Filme wie «C-TV», «Menuett», «Feminism WTF» und «Mutzenbacher» vereint, ist eben ihr Interesse am Aspekt des Performativen von Gender und Sexualität. Dieses Performative wird teils als befreiend und lustvoll dargestellt, doch erinnern einen die immer wieder erscheinenden Spannungen – etwa die angesprochenen Ambivalenzen des Feminismus oder in ihrer Sexualität verunsicherte Männer – auch an Judith Butlers Aussage im Gespräch mit Liz Kotz in Artforum:
«gender is not to be chosen and […] „performativity“ is not radical choice and it’s not voluntarism. […] Performativity has to do with repetition, very often with the repetition of oppressive and painful gender norms to force them to resignify. This is not freedom, but a question of how to work the trap that one is inevitably in.»
Egerman und Thym, Broich, Mückstein und Beckermann zeigen zwar alle die Gefahren des Steckenbleibens in dieser Trap auf. Vor allem aber weisen sie auf unterschiedliche Weisen darauf hin, wie man mit dieser Falle arbeiten und dabei erst noch Spass haben kann.
05. April 2023
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