Text von Nina Kneubühler
Jugendlicher Glow, glatte, faltenfreie Haut – die Kosmetikindustrie verspricht mit ihren zahlreichen Produkten so einiges. Mit ein wenig Investment klappt die Verwandlung in eine fünf Jahre jüngere Version seiner selbst – ganz einfach im Schlaf. Auf Tiktok und Instagram tummeln sich Beauty-Influencer:innen, die den ganzen Tag über nichts anderes sprechen als ihre 243-Step-Skincare-Routine. Das Ziel dieser Routinen ist klar: faltenfreie Haut. Jung bleiben. Zumindest äusserlich.
Die Skincare-Branche boomt: Von Facials und Treatments über Cremes, Collagen-Coffee und UV- Lampen – das Angebot an Methoden und Produkten der Hautverjüngung ist endlos. Es ist nicht leicht, sich diesem Drang nach glatter, makelloser Haut zu entziehen, wenn tagtäglich neue Produkte auf den Markt kommen, die sich einem aufdrängen, sobald man die Instagram-App öffnet. Kann man diesem Druck ewig jung aussehen zu müssen überhaupt entkommen?
Das Altern ist ein ambivalentes Thema. Einerseits sammelt man Lebenserfahrung, wird optimalerweise gelassener. Andererseits bedeutet das Altern auch Verlust an Vitalität und Mobilität, von Menschen und von Schönheit. Zumindest wenn man annimmt, dass sich Schönheit und Jugendlichkeit bedingen. Jung auszusehen ist das oberste Gut, und sobald die 30 überschritten ist, ist jünger geschätzt zu werden das grösste Kompliment überhaupt.
Auch ich bin jetzt in einem Alter, in dem ich mich freue, wenn die Kassiererin an der Coop-Kasse mich beim Weinkauf nach meinem Ausweis fragt. Und das, obwohl ich mich gerade noch in diesem Zwischenraum zwischen jugendlich und so richtig erwachsen befinde. Das Thema «Altern» wurde in den letzten Jahren meiner 20er immer präsenter. Erste Fältchen, vereinzelte graue Haare und die Angst vor der 30. Aber wann wird denn aus dem harmlosen «Älterwerden» eigentlich «Altern»? Und wieso freue ich mich heute nicht mehr wie eine Vierjährige auf meinen Geburtstag, und dass ich endlich auch fünf werde, wie alle meine Freund:innen, die früher im Jahr geboren sind als ich?
Laut einer Studie der WHO ist die Altersgrenze, also das Alter ab dem eine Frau als «älter» gilt, fünf Jahre früher als bei Männern. Der Anspruch an weibliche «Schönheit» ist eng mit der Jugendlichkeit verknüpft. Während «reifere» Männer noch als durchaus attraktiv gelten, werden Frauen schon mit 20 dazu animiert, gegen die ersten Anzeichen des Alterns vorzugehen. Am besten funktioniert dies natürlich mit einer Vielzahl von Anti-Aging-Produkten, die nicht nur Zeit, sondern auch viel Geld rauben. Es beginnt beim Angebot in den Regalen der Drogeriemärkte und Kosmetikabteilungen, wo die Auswahl an Produkten «for men» bloss einen kleinen Bruchteil des Regals ausmacht. Während sich die Produkte in den Badezimmerschränken meiner weiblichen Freundinnen türmen, sind die meiner männlichen Bekanntschaften ziemlich leer. Ein verirrtes Nivea Men 3-in-1-Duschgel und die dazugehörige Feuchtigkeitscreme aus der dunkelblauen Dose, that’s it.
Weiblich gelesene Menschen sind stärker vom Anspruch, jung auszusehen, betroffen als männlich gelesene. Gegen das Altern ankämpfen zu wollen scheint dadurch eine logische Konsequenz. Wenn die Falten aber erstmal da sind, werden diese aber auch mit den teuersten Cremes, Seren und Masken nicht wieder verschwinden – auch wenn die Beautyindustrie uns genau das verkaufen will. Mit 26 Jahren gehört man heutzutage zu den Spätzündern, wenn es um die Verwendung von Anti-Aging-Produkten geht. Eine 10-Steps-Skincare-Routine ist schon bei vielen Jugendlichen ein unverzichtbares Abendritual.
Ich beobachte immer wieder, wie anfällig ich selbst für Trends und Neuheiten aus dem Beautysegment bin. Im Frühling begegnete mir zum ersten Mal der Begriff «Collagen-Coffee». In fetten Lettern stand das an der Glasfront eines Pariser Eckcafés. Der Subtext: Dieses Café ist viel mehr als bloss ein Café. Es ist ein Erlebnis, ein Lifestyle. Hier kommen wir zusammen, um Heissgetränke zu konsumieren, die mit Marine Collagen angereichert sind. Die Kund:innen des Kollagen-Cafés sind ausschliesslich weiblich gelesene Menschen, kaum älter als 30 Jahre, einige definitiv jünger.
Auf Google stiess ich auf zahlreiche Anbieter:innen, die das Produkt, meist in Pulverform, anbieten. Die Preise variieren zwischen 25 und 250 CHF pro Packung. Marine Collagen, oder auf Deutsch «Meereskollagen» soll die Elastizität der Haut verbessern, sie optimal mit Feuchtigkeit versorgen und ganz wichtig: Falten reduzieren. Es kann besonders gut vom Körper aufgenommen werden und erlebt dadurch gerade einen massiven Aufschwung in der Beauty-Industrie.
Der Collagen-Coffee-Trend verspricht, schon mit jugendlich strahlender Haut in den Tag zu starten. Das Ganze ist superleicht: Einen Löffel Kollagenpulver unter den morgendlichen Kaffee mischen und fertig ist der Jugendtrank. Schliesslich kann man nie früh genug damit anfangen, gegen erste Fältchen vorzugehen. Wahre Schönheit scheint also doch von innen zu kommen. Eine weitere Möglichkeit, Selbstoptimierung direkt in ein ganz alltägliches Ritual wie das morgendliche Kaffeetrinken zu integrieren.
Obwohl ich mich nicht in ein Kollagen-Café setzen werde, ist mein erster Impuls, mich auf die Suche nach einer einigermassen preiswerten Alternative des Produkts zu machen, das ich selbst in meinen Alltag integrieren kann. Die Bereitschaft, mein Hautbild zu optimieren und mit verschiedenen Beautyprodukten möglichst lang faltenfrei zu bleiben ist gross. Aber um welchen Preis? Wie befreit man sich von dieser Annahme, dass das Altern ein Prozess ist, dem wir, zumindest auf der optischen Ebene, ständig entgegenwirken müssen?
19. August 2024