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Fächersprache: Eine neue Perspektive auf den stillen Widerstand von Frauen

Zur Etikette des 18. und 19. Jahrhunderts gehörten extravagante Handfächer, die viel mehr als reine Luftwedel waren. Sie wurden zum modischen Werkzeug weiblicher Ausdruckskraft, vor allem beim sogenannten Poussieren (altdeutsch für Flirten). Die dabei genutzte Fächersprache beinhaltete Gesten, die geheime Codes vermittelten. Geschichte, neue Blickwinkel und ein mögliches Wiederaufleben der feinsinnigen Kommunikation.

Von Janine Friedrich

Der Ursprung des Fächers reicht bis in die Antike und selbst zu dieser Zeit war er nicht nur ein Hilfsmittel zur Abkühlung. Im alten Ägypten sowie in Griechenland und Rom waren Fächer aus edlen Materialien Statussymbole von höhergestellten Autoritäten. Sie nutzen sie unter anderem als rituelle Gegenstände, die dafür mit einer bestimmten Bedeutung aufgeladen wurden. Über die Kreuzzüge gelangten die Fächer im 12. Jahrhundert nach Europa und erlebten im 16. Jahrhundert einen Boom: Auch hier wurden die kunstvoll verzierten asiatischen Importe von der Oberschicht genutzt. In der Epoche des Barocks und Spätbarocks wurden Handfächer von adeligen Damen als Ausdruck von Eleganz, Reichtum und sozialem Stand verwendet. Besonders unter Ludwig XIV. in Frankreich hatten die teuren Accessoires aus Seide, Elfenbein und Gold als Ausdrucksmittel für gesellschaftliche Normen ihre Blütezeit.

Zwischen Selbstbestimmung und Anpassung: Die ambivalente Rolle der Fächersprache

Im 18. und 19. Jahrhundert entstand, so angenommen, die berühmte Fächersprache, mit der Frauen der Oberschicht bei Anlässen wie Bällen durch subtile Bewegungen verschiedene Botschaften an Männer übermitteln konnten. Diese nonverbale und stilvolle Art der Kommunikation entwickelte sich aus gesellschaftlichen Restriktionen heraus, die Frauen wenig direkten sprachlichen Ausdruck erlaubten. Vor allem in Spanien und Frankreich wurde die Fächersprache von der höfischen Kultur aufgegriffen. Frauen fanden also eigene Wege, um diskret zu flirten, Ablehnung auszudrücken oder geheime Treffen zu arrangieren. Mit der Industrialisierung konnten sich schliesslich auch bürgerliche Frauen Fächer leisten, jedoch verloren diese dann ihre Rolle als luxuriöses Statussymbol und Kommunikationsmittel. Im 20. Jahrhundert rückte der Luftwedel als Alltagsgegenstand und Accessoire immer mehr in den Hintergrund und Ventilatoren oder Klimaanlagen übernahmen die Sache mit der Abkühlung. Jedoch blieb er als kulturelles Symbol und Kunstobjekt zum Beispiel im Theater, in der Oper oder bei traditionellen Tänzen wie Flamenco präsent. Darüber hinaus wird er in historischen Romanen und Filmen noch heute thematisiert und in Museen wie dem Fan Museum in London als wichtiger Teil des höfischen Lebens dargestellt.

Die umstrittene Existenz der geheimnisvollen Interaktion

Historiker:innen und Kulturwissenschaftler:innen sind sich bisher nicht einig darüber, ob die Fächersprache tatsächlich in der beschriebenen standardisierten Form praktiziert wurde und flächendeckend bekannt war. Es gibt jedoch einige Beweise dafür, dass die besagten Handfächer im 18. und 19. Jahrhundert nicht nur ein romantisierter Mythos waren, wie es Zweifler:innen behaupten. Diese Hinweise sind oft anekdotisch und nicht eindeutig dokumentiert, was vor allem darauf zurückzuführen sein könnte, dass die geheimen Fächergesten samt ihrer Bedeutung aufgrund der restriktiven Kommunikationsmöglichkeiten nur schwer an andere Kreise oder eben an die Nachwelt übermittelt werden konnten. Fakt ist, dass die Fächermanufaktur Duvelleroy ebenfalls im 19. Jahrhundert Wind von dem Kommunikations-Phänomen bekam und sogenannte Fächer-Alphabete erstellte, um die Idee der Geheimcodes zu unterstützen. Vielleicht war es aber auch eine geniale Marketingstrategie, um Fächer noch populärer zu machen. Eindeutig nachweisbar ist die Existenz der Praxis also nicht, doch auch ohne festgelegte Fächersprache wurde der Fächer sicherlich intuitiv genutzt, um durch Haltung und Gesten nonverbale Botschaften zu senden. Ein sehr faszinierender Aspekt für weibliche Finesse und Kreativität in patriarchalen Systemen mit eingeschränkten Handlungsspielräumen. Die Fächersprache soll eine Vielzahl von Gesten umfasst haben, die decodiert folgende Bedeutung übermitteln wollten (hier ist anzumerken, dass teils verschiedene Aufschlüsselungen existieren):

  • Langsames Fächern: Ich bin verheiratet.
  • Geschlossenen Fächer auf die Lippe legen: Küss mich.
  • Den Fächer mit der rechten Hand vor das Gesicht halten: Folge mir.
  • Mit der linken Hand flattern lassen: Wir werden beobachtet.
  • Fächer mit abgespreiztem kleinen Finger halten: Auf Wiedersehen.

Aus einer feministischen Perspektive von heute

Man könnte sagen, dass sich die Frauen von damals bereits selbst empowerten – nur musste diese Bewegung eben im Verborgenen bleiben. Dennoch war es eine Form der Selbstermächtigung, mit subversiver und doch sehr unverblümter Kommunikation Lücken im stark reglementierten Patriarchat zu finden und diese mit Feingefühl und Überlegenheit zu nutzen. Die Frauen widersprachen mit der Fächersprache auf ganz raffinierte Weise den Zwängen, die ihnen offene und direkte Kommunikation mit Männern untersagten. War dies nun Einschränkung oder Freiheit? Feministisch interpretiert war der stille Selbstausdruck mit verschlüsselten Codes etwas, womit die Frauen die Kontrolle über ihre Gedanken- und Gefühlsbotschaften behielten. Also definitiv mehr Freiheit als Einschränkung. Gleichzeitig bezogen sie die Männer mit ein und hatten sie, im übertragenen Sinne, ebenso wie die Fächer in der Hand. Die Frauen des 18. und 19. Jahrhunderts waren damit sozusagen ihre eigenen Wingwomen, die mit der Aufmerksamkeit der Männer spielten und diese bewusst lenkten.

Comeback der Fächersprache?

Es gibt viele Gründe, warum die Fächersprache ein modernes Revival erleben könnte. Trends erzeugen schliesslich immer Gegentrends – und in einer digitalen Welt, in der Mimik und Gestik oft verloren gehen, könnten wir uns nach mehr Körperbewusstsein und alternativen Ausdrucksformen, besonders beim Flirten, sehnen. Obwohl wir heute offen und direkt kommunizieren, hat das Geheimnisvolle nach wie vor seinen Reiz und wäre daher gerade jetzt ein ansprechendes Gegenmodell zur Überkommunikation. Manchmal ist weniger mehr. Weniger Worte bedeuten nämlich nicht weniger Ausdruck. Auch Frauen untereinander könnten symbolische Gesten mit Fächern zur Stärkung weiblicher Gemeinschaft und Verbundenheit nutzen. Die Liebe zur Retro-Ästhetik könnte also über Kunstprojekte hinausgehen, wenn auch nur in kleineren Subkulturen. Die historische Verbindung von Fächersprache und der nuancierten Macht der Frauen ist heute zumindest eine spannende Grundlage für feministische Diskussionen und mögliche zeitgemässe Adaptionen – ob als kulturelle Inspiration, kreatives Statement oder ein reflektierter Ausdruck der inneren Gefühlswelt. 

17. Januar 2025

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