Text von Gastautorin Lea Schlenker
Unser erstes Treffen fand in einem Café in Bern statt. Mit einer Tasse Kaffee setzten wir uns auf die Terrasse und tauschten unsere Gedichtbände miteinander. Wir beide standen damals bereits regelmässig auf der Bühne – sie vor allem als Slam-Poetin, ich als Lyrikerin. Kennengelernt hatten wir uns kurz zuvor bei einer gemeinsamen Lesung in Bern. Bei unserem Treffen sprachen wir auch über den generellen Wunsch, einmal hinter der Bühne als Veranstalterin mitmischen zu können. Während wir unsere Texte und Bühnenerfahrungen teilten, wurde uns beiden rasch klar: Wir sehnten uns beide nach einer feministischen, inklusiven Lesebühne – einem Ort, der nicht nur Platz für unsere Worte, sondern auch für unser Bedürfnis nach mehr Sichtbarkeit bot.
Diese Sehnsucht entstand unter anderem aufgrund bisheriger Erfahrungen im Literaturbetrieb: Veranstaltungen, die sich explizit mit Themen wie Feminismus und Diversität auseinandersetzten, waren in der Literaturwelt noch nicht so häufig anzutreffen. Stattdessen dominierten Lesebühnen mit rein cis-männlichem Line-up oder nur vereinzelten FINTA-Autor*innen das Bild – Ausgewogenheit oder strukturelles Bewusstsein waren vielerorts noch ausbaufähig. Also beschlossen Sarah und ich, uns auf die Suche nach Gleichgesinnten zu machen – und eine Lesebühne in Bern zu gründen, wie wir sie selbst schon so lange vermisst hatten.
Viele der FINTA-Personen, die im Literaturbetrieb tätig sind, können gut nachvollziehen, woher dieses Bedürfnis kommt. Sie haben sich alle schon mit Begriffen wie «Frauenliteratur» auseinandergesetzt, der oft verwendet wird, um von FINTA-Personen geschriebene Werke als seicht, inhaltsfrei oder belanglos zu bezeichnen. Auch eine übertrieben-emotionale Stilisierung wird ihnen häufig zugeschrieben. Zudem sind wir wohl alle fast ausschliesslich mit den literarischen Werken von Männern sozialisiert worden. Wer hat etwa in der Schule nicht die Bücher von Goethe, Mann, Schiller, Frisch und Dürrenmatt lesen müssen oder dürfen? Und bei wem wurden wichtige Frauen aus dem Literaturkanon des 20. Jahrhunderts gekonnt vernachlässigt? Eben. Oder wie es Michelle Steinbeck gegenüber der NZZ schon erwähnt hat: Es entsteht ein einseitiges Bild vom Genie als etwas Männlichem. Es überrascht also nicht, dass auch Lesebühnen oder Lesungen generell für lange Zeit und teilweise auch heute noch als eher männlich geprägter Raum wahrgenommen wurden. Und das, obwohl auch nicht cis-männliche Menschen viel auf der Bühne mitzuteilen haben und zudem Spass daran haben, sich diesen Raum zu nehmen.
Aus all diesen Überlegungen heraus hat sich dann das «Kollektiv Kitzeln» gegründet. Schnell haben wir mit Mia und Fine eben diese Gleichgesinnten gefunden und konnten loslegen. Wir sind vier Autor*innen, die regelmässig mit unseren Texten auf der Bühne stehen. Gefunden haben wir uns, weil wir alle das geschriebene (beziehungsweise das performte) Wort lieben und uns auf feministische Art und Weise engagieren möchten. Schon eine Zeit lang hegten wir den Wunsch, eine eigene Lesebühne auf die Beine zu stellen. Von Anfang an war es für uns selbstverständlich, dass diese Bühne inklusiv und feministisch sein sollte. Das bedeutet für uns konkret: jenen Personen Raum zu geben, denen dieser Zugang zur Bühne über Jahrzehnte hinweg erschwert oder gar verwehrt wurde. Aus diesem Grund haben wir uns dafür entschieden, bei unseren Veranstaltungen ein reines TINFA-Line-up zu buchen. Das beinhaltet sowohl den literarischen Special Guest des jeweiligen Abends als auch die musikalische Untermalung der Veranstaltung.
Wir sind dabei nicht die einzigen, die die Kulturszene feministischer und inklusiver gestalten möchten. Mit Gossip ist ein Literaturmagazin gegründet worden, das ausschliesslich Beiträge von TINFA-Personen publiziert, und mit Cats Calling Back ist ein Kollektiv entstanden, das mit seinen feministischen Partys die Ausgangsszene aufwirbelt. Dann gibt es noch das Literaturkollektiv RAUF, das seit 2019 Stammtische und weitere Veranstaltungen zum Thema Feminismus im Literaturbetrieb organisiert, oder auch das Zürcher Künstler*innenkollektiv Hulda Zwingli, das Sexismus in der Kunstwelt aufzeigt. Damit sind nur einige Beispiele aus der Schweiz genannt. Feministische Veranstaltungen und Bewegungen stossen oft auf positive Resonanz – sie sind regelmässig gut besucht oder gar ausverkauft. Das zeigt, dass in der Bevölkerung ein klarer Wunsch nach Veränderung und Widerstand gegen überholte Strukturen besteht. In einer Gesellschaft, in der es noch in unzähligen Gleichstellungsthemen Aufholbedarf gibt, ist dieser Widerstand mehr als verständlich.
Diese Initiativen machen Mut – sie zeigen, was alles möglich ist, wenn wir uns für eine gerechtere Kulturszene einstehen. Wir sind überzeugt: Der Wandel hat begonnen, und wir werden ihn gemeinsam weiter vorantreiben. Lasst uns gemeinsam an einer Kulturlandschaft arbeiten, die für alle Platz bietet.
21. Mai 2025