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Ein Geburtstagsbrief an Joseph Beuys

Er war ein widersprüchlicher Mensch aber ein grossartiger Künstler. Am 12. Mai 2021 hätte Joseph Beuys seinen 100. Geburtstag gefeiert. Anlässlich dieses Jubiläums ein Brief, an den umstrittenen, suchenden Künstler, der eigentlich nur eins wollte: Die Welt zu einem besseren Ort machen.

Von Leila Alder

Verehrter Herr Joseph Beuys

Gleich vorneweg; ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie mag. Damit stehe ich wohl recht alleine da. Im Normalfall ist es nämlich so: Mensch liebt oder hasst Sie.

Dies hat verschiedene Gründe. Sie waren nicht immer ganz so ehrlich – Sie haben die Schule nicht abgeschlossen – wie ich – und hätten somit nicht an der Kunstakademie studieren dürfen, die ganze Kriegs-Tartaren-Story entsprach ebenfalls nicht der Wahrheit. Und was Ihre Nazi-Vergangenheit angeht – da hätten Sie mehr darüber reden und weniger schweigen sollen.

Heutzutage würden Sie wohl der Cancel Culture zum Opfer fallen. Ja, gefundenes Fressen wären Sie! Ihre Kunst wäre vergessen. 

Tatsache ist aber: Sie sind eben in einer anderen Zeit geboren. 100 Jahre alt wären Sie am 12. Mai 2021 geworden. Sternzeichen Stier – wie ich. Und ihre Kunst ist nicht vergessen.

Die war nämlich grossartig. Provozierend, politisch. Sie pflanzten 7000 Eichen, kommunizierten mit toten Hasen oder umgekehrt, schmierten Stühle mit Fett ein und formten menschliche Skulpturen aus weichem Filz statt hartem Stein. Sie wollten berühren, bewegen, anregen, Einwirkung haben auf Mensch und Umwelt. Museen und Ausstellungen reichten Ihnen nicht. Sie wollten mehr.

Also nahmen Sie sich die Freiheit, den erweiterten Kunstbegriff zu entwickeln, welcher auf folgender Idee, ich erlaube mir, Sie zu zitieren, basierte: 

«Es kann nicht die moderne Kunst das Mittel sein, um die Gesellschaft zu verändern, sondern nur ein erweiterter Kunstbegriff der jeden Menschen als einen potentiellen Künstler anspricht. Das heisst: auf den kreativen Punkt kommt es an. Auf die Kreativität als den Ausgangspunkt für die Veränderung. Deshalb nenn ich es eine logische Folgerung, denn in dem Augenblick, wo das bewusst ist, ist es auch klar, dass Geld gar kein Kapital sein kann. Das Kapital der Gesellschaft ist die menschliche Fähigkeit. Das was Menschen wollen, was sie können, was sie fühlen. Dieser ganze Reichtum menschlicher Schöpferkraft ist das eigentliche Kapital.»

Meine persönliche Lieblingsaktion Ihrerseits war der, auf dem erweiterten Kunstbegriff basierende, Protest an der Kunstakademie Düsseldorf: 1972 wurden Sie fristlos entlassen, weil Sie von der Akademie abgewiesene Studenten in Ihre Klasse aufnahmen. Das, weil Sie der Meinung waren, dass jedem Menschen der Zugang zum Kunststudium ermöglicht werden soll. Die Schüler protestierten ohne Sie weiter, bis Sie wieder unterrichten durften.

Sie scheinen also auch so manches richtig gemacht zu haben. Sofern wir denn überhaupt wissen, was richtig ist – oder was Kunst ist. Auf jeden Fall haben Sie vieles ins Rollen gebracht, viele Denkanstösse gegeben. Deshalb habe ich mich dazu entschieden, Ihnen diesen Geburtstagsbrief zu schreiben, obwohl ich noch immer nicht weiss, ob ich Sie mag oder nicht.

Herzlich,

Leila Alder

Anlässlich Joseph Beuys 100. Geburtstag findet im Kunstmusem Basel vom 23. Oktober 2021 bis am 27. März 2022 die Ausstellung «Joseph Beuys, Wiederaufnahme des Gesprächs», kuratiert von den Abteilungen Gegenwart und Programme / Bildung & Vermittlung statt.

Mehr Infos gibt es hier.

12. Mai 2021

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