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Ein altes Nokia in der modernen Welt

Unsere angeblich so smarten Phones lassen uns ironischerweise eher verdummen. Wir wissen das alle – und trotzdem klebt dieses rechteckige Stück Bildschirm ständig an unserer Hand, als wäre es eine Erweiterung des Arms. Deshalb: back to basics.

Von Janine Friedrich

Smartphones wird nachgesagt, unser Leben zu vereinfachen. Für alles gibt es eine App. Damit wir schneller, effizienter und besser durch den Alltag kommen und am Ende noch mehr Freizeit geniessen können. So der Mythos. Doch in Wahrheit machen diese Apps vieles komplizierter: Sie wollen unsere Aufmerksamkeit, unsere Reaktionen und ja, vor allem eben unsere Zeit. Die Ferne wird also noch ferner, wenn unsere Augen ständig so nah am Bildschirm hängen. Die Menschen, die an uns vorbeigehen, nehmen wir nicht wahr. Statt Klarheit haben wir ein permanentes Grundrauschen von Dingen, die meist weder Wert noch Erfüllung zu unserem Dasein beitragen. 

Unbemerkte Abhängigkeit wird oft weggelächelt

Es fällt nicht so leicht, zuzugeben, dass viele von uns mittlerweile ein Opfer der eigenen Technik geworden sind. Doch es ist Tatsache. Schon allein drei Stunden tägliche Screentime summieren sich, aufs Jahr gerechnet, auf eineinhalb Monate. Eineinhalb Monate, die man durchgehend, also 24/7, am Smartphone hängt. Dass die meisten weit über drei Stunden kommen, macht die Rechnung nur noch erschreckender. Dehnt man die Zeitspanne für die Rechnung noch auf das halbe Leben aus, nun ja – es wird nicht besser. Aber wenn es so einfach wäre, dieses Ding links liegen zu lassen, würden wir es ja alle machen. 

Leider geben wir unsere innere Ruhe ja sogar freiwillig auf und lassen zu, dass Benachrichtigungen ein Stück von uns selbst übertönen. Kleine Momente der Stille ziehen also unbeachtet und ungenutzt an uns vorbei und wichtige Gedankengänge bleiben stumm. Wir sind zu beschäftigt mit Dopamin-Kicks: Mails checken, Sprachnachricht hören, Nachrichten lesen, Bilder und Videos anschauen. Und wenn wir nicht smart genug sind, geben wir dem Impuls aus unserem Gehirn nach und tun, was es verlangt, um noch mehr Belohnungshormone zu bekommen. Ich frage mich wirklich, warum sich die Gesellschaft über dauergestresste Menschen noch wundert, wenn die Antwort so nahe liegt. Neben Vollzeitjobs beschäftigen uns die Smartphones ebenfalls gefühlt rund um die Uhr. Entspannung und Entschleunigung? Klar, dafür gibt es sicher eine App, aber das kann nicht ernsthaft die Lösung sein. Ich bin überzeugt, dass wir nicht einfach bei allem, was uns vorgesetzt wird, mitziehen müssen, als hätten wir keine Wahl. Das Argument, «mit der Zeit gehen zu müssen», hat nämlich jede Menge Schwachstellen.

Ein Neubeginn auf alten Wegen

Schon länger hatte ich den Drang nach einem alten Retro-Handy. Am liebsten nach einem Nokia 3410, dem türkisfarbenen, wie ich es noch von früher kenne. Das, wo der Akku über eine Woche hält. Das, was echte Tasten hat. Das, ohne Farbdisplay und mit Snake. Ohne Apps. Genau das. Witzigerweise meinen die Leute in Gesprächen immer, dass es ja schwierig sei mit so einem Oldschool-Handy, da heutzutage alles nur mit App geht. Doch ich denke: Dann löse ich halt ein Ticket am Automaten oder am Schalter. Dann frage ich halt echte Menschen statt Google Maps nach dem Weg. Dann mach ich mir selbst Gedanken, statt ChatGPT zu nutzen. Dann check ich Mails nur noch ab und zu am Laptop. Dann nehme ich eben eine analoge Kamera mit. Dann gehe ich halt die Extrameile, aber entspannter, bewusster und achtsamer. Es ist alles eine Frage der Ansicht und der Einstellung. Ein altes Nokia in der modernen Welt bedeutet zwar raus aus der Komfortzone und Bequemlichkeit, aber rein ins echte Leben. Das bedeutet mehr Freiheit, weniger Stress, mehr Geduld, weniger unnötige Zeiträuber, mehr Langsamkeit, weniger Unzufriedenheit, mehr nachhaltige Glücksmomente.

Hände frei, Kopf freier

Das erste, was auffällt: Zum Scrollen gibt es beim alten Nokia nichts. Man merkt erstmal, wie oft man sonst das Smartphone greifen würde, ohne überhaupt zu wissen, warum. Doch mit freien Händen und ohne Ablenkung kann man wieder ganz fokussiert aus der S-Bahn schauen oder die Augen kurz schliessen und entspannen.  

Für Abmachungen braucht man nur das Nötigste vorab zu kommunizieren: Denn bei SMS ist jedes der 160 Zeichen kostbar. Alles Wichtige folgt dann im persönlichen Gespräch bei einem Chai Latte. Die Devise mit einem alten Handy lautet also: mehr selber zuhören und reden im echten Sozialleben, statt Podcasts zu konsumieren, von Menschen, die man nicht kennt. Selbst Spaziergänge sind wieder Spaziergänge und kein Schrittzählerlauf mehr und auch keine Flucht aus der Welt mit Noise-Cancelling-Kopfhörern. Man ist wieder bei sich und es fühlt sich gut an.

Digitaler Minimalismus und nur Real-Life-Existenz

Ein altes Nokia ist eine Gegenbewegung zur Dauerverfügbarkeit, sogar eine bewusste Entscheidung für klare Grenzen. Es fängt damit an, dass Smartphones genau diese Grenzen von Berufs- und Privatleben immer mehr verschwimmen lassen: Für jeden Job braucht es mittlerweile eine WhatsApp-Gruppe. Wichtige Informationen per Brief oder Mail oder am schwarzen Brett auf der Arbeit würden es tatsächlich auch tun.

Es ist irgendwie absurd, dass, wenn man sagt, dass man kein Instagram hat, einem oft nicht geglaubt wird oder es sogar unseriös wirkt. Als hätte man die Grundausstattung des heutigen Lebens damit verweigert und die alleinige Existenz im echten Leben reiche nicht aus. Dabei sollte digitale Abwesenheit weniger als Makel und vielmehr als Pluspunkt angesehen werden. Das, was man wirklich tut, ohne es online präsentieren zu müssen, zählt wieder mehr.

Kontrolle zurückgewinnen und loslassen

Ein türkisfarbenes Nokia ist sicher keine Lösung für alle Probleme. Aber es ist ein Kontrast, der spürbar macht, wie sehr das Smartphone unser Leben bestimmt. Wer einmal wieder T9 tippt, merkt: Das Leben fühlt sich langsamer an, die Zeit leichter, die Momente wertvoller. Vielleicht sollten wir den Filmtitel «Zurück in die Zukunft» wörtlich nehmen und mit der nachhaltigeren Technik von gestern die Zukunft von morgen wählen. Ganz bewusst und mit Mut, erstmal komische Blicke zu ernten.

Und keine Sorge an alle, die es gewohnt sind, dass Reaktionen in Sekunden eintreffen: Es braucht natürlich eine kurze Umgewöhnung. Doch die Erkenntnis «Gut Ding will Weile haben» liegt auf der Hand. Genau da, wo sonst immer das Smartphone war. 

11. September 2025

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