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Down the Rabbit Hole

In Zusammenarbeit mit der ZHdK und dem SRF hat sich Lara Pretz, Atheistin, auf die Reise in eine andere Welt gemacht. Ihre Stieftante führt eine intensive Beziehung zu Gott und dem christlichen Glauben – wie sehr unterscheiden sich ihre Welten und worin sind sie gleich?

Von Vanessa Votta

Text von Lara Pretz

Keine Realität ist exakt dieselbe – und wir alle haben unsere eigene Version davon. In diesem Projekt begebe ich mich «Down the Rabbit Hole», indem mir Marina Salonen, meine Stieftante, einen Einblick in ihre mir völlig fremde Welt ermöglicht, in der ein akademischer Beruf, ein hoher IQ und fundamentalistischer Glaube und Gottesvisionen keine Widersprüche sind.

Wir Menschen tendieren dazu, unterbewusst unsere eigenen Blick auf die Welt, als die einzig mögliche Variante der Realität zu definieren. Kognitive Verzerrungen der menschlichen Wahrnehmung und vielleicht sogar die Algorithmen von Social Media verstärken dieses Bild noch – wir bleiben in der eigenen Bubble hängen. In dieser Arbeit begebe ich mich auf eine längere Reise von Zürich nach Wien, um die aussergewöhnliche Weltanschauung meiner Stieftante, mit der ich nur einen sehr sporadischen Kontakt pflege, kennenzulernen und um meine Bubble zu erweitern.

Marina ist ca. 50 Jahre alt, fundamentalistische Christin, hat einen direkten Draht zu Gott, fühlt sich dazu berufen, das Wort Gottes an andere zu verbreiten, und unterrichtet gleichzeitig Mathe in einer Hauptschulklasse in Wien. In ihrer Funktion als Lehrerin und sehr belesenes und intelligentes Mitglied unserer modernen, aufgeklärten Gesellschaft stösst Marina höchst wahrscheinlich auf Gegenwind von aussen. Und obwohl sie akademischer Teil dieser Gesellschaft ist, hält sie schon Jahrzehnte an ihren strengen Glaubenssätzen fest und versucht aktiv, ihr Umfeld von deren Richtigkeit zu überzeugen. Kann es sein, dass wir Menschen trotz unserer Vielzahl an Meinungsverschiedenheiten doch alle im Grunde das Gleiche wollen? Was passiert mit meinen eigenen Grundsätzen, wenn ich mich eine solch intensive Zeit lang mit Marina auseinander setze?

Ich bin selbst atheistisch erzogen worden, habe jedoch im selben Alter wie Marinas Schüler:innen eine katholische Privatschule besucht, die mir durch das striktes Regelsystem und durch zahlreiche intensive Gottesdienste den christlichen Glauben ein wenig unsympathisch gemacht hat. Sowohl damals wie auch heute bin ich Befürworterin der modernen wissenschaftlichen Erkenntnisse über unsere Erdgeschichte, jedoch der Idee bezüglich einer höheren Macht, in welcher Form auch immer, nicht grundsätzlich abgeneigt.

Laut Marina gibt es keine Frage des Lebens, die ungeklärt bleiben muss: alle Antworten dazu befinden sich in der Bibel. Ich selbst bin zwar Atheistin, aber super neugierig: Wie lebt sich das Leben als fundamentalistische Christin denn so? In einem Video habe ich meine Erkenntnisse zusammengestellt.

Am Ende vom Tag sind Marina und ich doch nicht so unterschiedlich, wie ich zu Beginn geglaubt habe; nur weil ich mein Selbstwertgefühl nicht durch eine höhere Macht bekomme, sondern durch etwas anderes externes – nämlich unsere Leistungsgesellschaft – bin ich wahrscheinlich nicht «besser» oder «normaler» als meine Tante. Schlussendlich definieren wir uns beide durch etwas von aussen. 

Auf dem Instagram Channel vom Projekt «Rabbit Hole» werden alle Erlebnisse und Behind the Scenes festgehalten, damit jede:r den Prozess miterleben kann

Hast auch du eine kreative Arbeit, die gesehen werden muss? Wir bieten dir bei akut eine Plattform, um genau diese zu publizieren. Sende uns deine Arbeit, einen kurzen Beschrieb zu dir und deinem Projekt inkl. Credits auf redaktion@akutmag.ch und vielleicht wird auch bald dein Werk bei uns zu sehen sein.

11. Mai 2022

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