Interview von Gastautorin Susanna Bosch
In den rund 405 Wohnungen des Brunauparks leben viele Menschen seit Jahrzehnten, einige Familien sind über mehrere Generationen in der Wohnsiedlung zuhause. Einfühlsam zeigen die beiden Filmemacher eine Gemeinschaft, die Veränderung erfährt und sich dagegen wehrt, auseinanderzubrechen.
«Brunaupark» feierte seine Premiere diesen Frühling am Vision du Réel in Nyon, wo er den nationalen Wettbewerb gewann. Ab dem 29. August 2024 läuft der Dokumentarfilm in den Schweizer Kinos.
Wie seid ihr auf den Brunaupark aufmerksam geworden?
Felix: 2019 wurden wir auf der 1. Mai-Demo von einer Person angesprochen, die Unterschriften für eine Petition sammelte, um im Gemeinderat auf den geplanten Abriss aufmerksam zu machen. Daraufhin sind wir zum Brunaupark gefahren, um zu schauen, was dort eigentlich passiert.
Dominik: Die Kündigungen wurden schon 2018 zugestellt. Wir sind also etwas verzögert eingestiegen. Nachdem der Medienansturm abflaute, gab es für uns Raum, um hinzusehen und hinzuhören.
Felix: Der Initialmoment war diese direkte Begegnung mit einer betroffenen Person. Und natürlich hatten wir schon in den Medien davon gelesen. Das Gebäude an sich hat uns auch interessiert. Dieser Tatzelwurm oder Betonklotz, der dort steht und viele alte Menschen und Familien beherbergt, die besorgt sind.
Was sind eure persönlichen Bezüge zum Thema Wohnpolitik?
Felix: Zwischen 2009 und 2017 lebte ich an der Weststrasse, einer Verbindungsachse von Zürich Nord und Süd. 2010 baute man eine Umfahrung und führte Tempo 30 ein. Daraufhin hat sich die Strasse verändert – viele Häuser sind renoviert worden. Menschen, die zuvor jahrelang in dieser Abgaswolke gelebt haben, wurden dazu gezwungen, auszuziehen. Da habe ich realisiert, dass etwas nicht stimmt mit dieser Wohnpolitik. Seither habe ich das mit mir getragen.
Dominik: Wir sind mit 19 oder 20 Jahren als Studenten nach Zürich gezogen und haben damals an verschiedenen Orten im Kreis 3 und 4 gelebt. In Gegenden, die jetzt spürbar aufgewertet werden. Gentrifizierung hat als überregionales Phänomen eingeschlagen. Das so intensiv zu erleben, hat vielleicht auch etwas mit unserer Generation zu tun.
Felix: Obwohl wir per se nicht die meist betroffene Personengruppe darstellen. Das sind Familien, alleinerziehende Eltern oder Menschen mit Migrationsgeschichte. Leute, die sich auf einem Lohnniveau befinden, mit dem sie sich in der Stadt schlichtweg keine Wohnungen mehr leisten können. Im Brunaupark gibt es viele Familien, die nach dem Auszug keine vergleichbaren Wohnungen mehr bezahlen können.
Der Brunaupark zeigt, was passiert, wenn Menschen durch eine Kündigung ihr Zuhause verlassen müssen und um ihre Zukunft bangen. Die Botschaft des Films beschränkt sich aber nicht nur auf Wohnpolitik, sondern thematisiert auch das Zusammenleben in unserer Gesellschaft.
Felix: Der Leitfaden des Films war Community. Wir haben versucht zu erspüren, was Community an diesem Ort ist, wie sie in Gefahr gerät und wie sie sich erhaltet. Viele der älteren Menschen im Brunaupark leben von den Ressourcen der Nachbarschaft. Manche Familien sind über drei Generationen in der Wohnsiedlung zuhause. Wenn dieses soziale Netz reisst, wenn sie gezwungen sind auszuziehen, dann bricht auch ihr soziales Leben zusammen.
Dominik: Dabei geht es auch um den Raum, den die Gemeinschaft überhaupt ermöglicht. Wenn dieser weggenommen wird, dann entstehen auch keine Verbindungen mehr. Im Brunaupark haben wir etwas Fragmentarisches vorgefunden – ein Mosaik, das aus vielen Teilchen besteht, die alles zusammenhalten.
Diesbezüglich empfinde ich den runden Tisch als schönes Bild mit starkem Symbolcharakter. Ihr filmt verschiedene Gruppen, die sich diese Orte des Brunauparks aneignen.
Als eine Zwischenvermietungsfirma die Zimmer der leerstehenden Wohnungen möbliert und kurzfristig an Einzelpersonen vermietet, bringen diese eine neue Lebensform in die Siedlung.
Felix: Die Jugendlichen, Kinder oder auch älteren Menschen bewegen sich an diesen Orten und kommunizieren mit ihnen. Sie übernehmen dabei Verantwortung für den Raum. Bei diesen Business-Appartements hingegen fällt das weg. Es gibt einen Shift. Man lebt drei Monate an einem Ort und verlässt ihn wieder. Es gibt keine Beziehung mehr zum eigentlichen Ort.
Dominik: Im Brunaupark leben manche Leute seit den 80er-Jahren, da konnte etwas wachsen. Bei dieser abstrakten Wohnform werden die Räume extrem uniform. In diesen Zimmern ist alles identisch – gleich gestrichen, gleich möbliert. Es wird präpariert zum Konsumieren. Das hat mit Eigenerschaffen oder Leben nichts mehr zu tun.
…sondern mehr mit marktwirtschaftlichen Überlegungen?
Dominik: Ja. Es empört mich, dass heute rund 4000 Business-Apartments als Lebensform in ganz Zürich existieren. Im Brunaupark wurden dafür gut geschnittene Dreizimmerwohnungen zu vier individuellen Zimmern umgenutzt. Dabei wurde das Wohnzimmer, in dem Gemeinschaft entstehen kann, wegrationalisiert.
Felix: Mittlerweile kann jeder auf Airbnb Verwalter:in oder Landlord werden. Genau wie bei Room Estate oder bei Zwischennutzungsfirmen stehen meist Leute dahinter, die sich mit Verwalten oder Wohnungen kaum auskennen. Den Room Estate-Wohnungen im Brunaupark hat zum Beispiel sehr viel gefehlt. Dieser Entwicklung muss man politisch entgegenwirken. Es kann nicht sein, dass so viele Menschen Geld aus Wohnraum schlagen.
Im Film gelingt euch eine eindrückliche Gegenüberstellung, ohne selbst zu kommentieren. Wieso habt ihr euch gegen eine Voice-over entschieden?
Dominik: Es war nie unser Anliegen, argumentativ vorzugehen und das eine gegen das andere auszuhebeln.
Felix: Und es war uns wichtig, Erfahrung zu übermitteln. Erfahrungen von Raum und Leben, die nicht über eine Erzählung erklärt werden können. Wir versuchten das kollaborativ über die Menschen zu machen. Deshalb stehen auch Beobachtungen und Fragmente im Vordergrund.
Die Kamera ist relativ zurückhaltend. Theaterähnlich wird ein Raum aufgemacht, in den die Menschen ein- und austreten können.
Dominik: Wir haben uns dazu entschieden, dass es eine Form von Bühnen gibt: Runder Tisch, Balkone, Lift. Die Kamera rahmt diese Orte, an denen die Menschen wiederkehrend agieren und die Räume mit ihrer Präsenz aufladen. Der Bildrand selbst verweist auf eine Realität ausserhalb der Cadrage. So kann sich die Figur im Bild bewegen und auch an den Rand gedrängt werden – das ist vielleicht auch ein Symbol der Marginalisierung, welche die Bewohner:innen erfahren.
Die statische Kameraführung bringt auch eine Langsamkeit in den Film.
Dominik: Die Kamera an sich hat etwas Architektonisches. Wie der Brunaupark aus Beton ist auch die Kamera schwer. Sie ist fixiert. Hat keinen Atem. Die Innen- und Aussenräume werden repetitiv gezeigt. Zeit wird sichtbar. So versuchen wir, die kleinen Veränderungen aufzuspüren. In Gemeinschaften sind es oft kleine Abweichungen, die etwas auslösen. Dort wollen wir hinschauen und ein Ohr bieten. Mit den Leuten reden, zuhören. Wir haben viel Zeit im Brunaupark verbracht. Das war auch ein sozialer Akt.
Die Momente, in denen Andrea Studer singt und ihr Leid beklagt, wirken im Film inszenierter als andere. Das eröffnet einen Interpretationsraum und weckt fantastische Assoziationen. Was waren eure Überlegungen zu dieser Figur?
Felix: Alle Leute, die im Film vorkommen, haben die Art und Weise geprägt, wie wir gefilmt haben. Mit Frau Studer haben wir die Szenen kollaborativ erarbeitet. Andrea Studer hat die Räume des Brunauparks – den Wald oder die Garage – als Probebühnen wahrgenommen. Ihr Gesang war also schon bekannt in der Siedlung. Für den Film haben wir gemeinsam Lieder ausgesucht, die auf den Raum oder die aktuelle Situation reagieren. Sie hat immer gesagt, dass ihr Kampf nicht das Politische, sondern das Singen sei. So gingen wir mit ihrer Figur in eine etwas fantastischere Ebene.
Dominik: Die Sängerin Andrea Studer stellt durch die Musik die Frage, wie Menschen emotional auf solche schwierigen Situationen reagieren. Die Balladen sind aus einer anderen Zeit und verbinden so die Vergangenheit mit der Gegenwart. Dadurch wollten wir zeigen, dass es wiederkehrende Erzählungen gibt.
Die Erzählungen von Gemeinschaften, die auseinandergerissen werden?
Felix: Ja. Sie schafft lyrische Bilder, die tief verwurzelt sind. Die nicht nur heute, sondern auch schon vor langer Zeit existiert haben. Das hat in fiktionalisierter Form in diesem Film stattgefunden.
Mit Andrea Studer und auch anderen Leuten, die im Film vorkommen, zeichnet ihr ein widerständiges Bild der Nachbar:innenschaft im Brunaupark.
Felix: Zum einen sind da das Leiden und der Schmerz der Leute. Gleichzeitig ist es aber auch ihr Kampf. In diesem Sinne haben wir nicht nur eine traurige Geschichte erlebt, sondern auch eine kämpferische und widerständige. Der Film nährt von beiden Energien. Ciccio zum Beispiel verliert mit dem Restaurant einen Grossteil seines Lebens. Trotzdem sucht er nach Alternativen in diesem Verdrängungsprozess.
Aber auch wenn die baurechtlichen Prozesse vor Gericht gewonnen worden sind, sind viele Leute auch heute noch verunsichert. So kann es immer noch passieren, dass sie ihre Nachbarschaft verlieren. Seit die Kündigung vor vier Jahren eintraf, ging schon ganz viel kaputt.
Wie habt ihr die gemeinsame Arbeit erlebt?
Felix: Wir haben sehr davon profitiert, zusammen als Filmemacher aufzutreten, um diese Last der Community und Beziehungen gemeinsam zu tragen.
Dominik: Filmemachen hat auch einen sozialen Aspekt, der zäh sein kann. Es ist kein Konsumieren von Geschichten und Lebensinhalten, sondern ein soziales und lokales Engagement. Wir kommen aus Zürich und arbeiten in der eigenen Stadt. Es ist wichtig, in die eigene Nachbarschaft zu schauen. Auch dort müssen Themen filmisch verarbeitet werden.
BRUNAUPARK ab 29. August im Kino
Vorpremieren:
Zürich: RiffRaff: Freitag, 23.08., 20:40 Uhr
https://www.riffraff-houdini.ch/de-ch/film/brunaupark.htmln
Luzern: Sonntag, 25.08., 18:00 Uhr
https://www.kinobourbaki.ch/de-ch/film/brunaupark.html
Lunchkino: Dienstag, 27.08.
https://ticket-cloud.ch/Arthouse/Show/1634547
Bern: Mittwoch, 28.8., 20:30 Uhr
https://www.rexbern.ch/filme/brunaupark
Zürich: Donnerstag, 29.8., 20:30 Uhr, Kalkbreite Openair
22. August 2024