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Das Studium

Das Studium bestand hauptsächlich darin, in wahnsinnig verdreckten Grossraumateliers nach Zigaretten zu suchen. Über das Studium.

Von akutmag

Text von Nadina Dollie

Es gab Vorlesungen und Debatten, zu denen man per E-Mail eingeladen wurde, aber niemals hingegangen ist. Einzig Landschaftsarchitektur war ein beliebter Zeitvertreib. Da wurden unfassbar schöne Bilder von Gärten und Parkanlagen gezeigt, und diese dienten ausgezeichnet als Inspiration für den nächsten Urlaub. Urlaub ist ein wichtiges Stichwort, welches diesem Studiengang Relevanz verleiht, denn Architektur kommt auch in anderen Städten vor, und deswegen bereisen die Studierenden jedes Semester den gesamten Globus, um diese anderen Architekturen kennenzulernen. Die Reisegruppen bestehen aus zwanzig Architekturstudent:innen, einigem Begleitpersonal und einem Professor. Die Begleitpersonen haben Wochen zuvor Hotels und Flüge gebucht, die Studierenden haben sich rechtzeitigen dafür eingeschrieben, und der Professor weiss bis am Flughafen nicht so recht, wo es nun hingeht. Das ist auch nicht weiter schlimm, dafür ist das Begleitpersonal zuständig, für die Reise, und auch für den Professor. An Professoren lässt sich gut erkennen, wie man Mitte Sechzig noch immer absolut unselbständig sein kann.

Welches Gate nun bitte? Was meinen die mit Übergewicht? Wann gibts Essen? Warum ist das nicht auf Englisch übersetzt? Wieso kann man in diesem Land nicht mit Euros bezahlen? Alles wahnsinnig rührende Fragen, die ein Professor auf diesen Reisen in die Runde wirft.

Diese Exkursionen sind natürlich das allgemeine Lieblingsfach der gesamten Fakultät. In der marokkanischen Wüste wird man selten beim Flirten unterbrochen, in Georgien kann man mit irgendeinem schönen georgischen Menschen entschwinden, und auf der Akropolis wird man von einer griechischen Person auf eine Party eingeladen. Dabei wird die Reise immer, und wirklich immer mit wahnsinnig teuren Sammlerstücken-Leicas festgehalten, dokumentiert und dann auf die Website des jeweiligen Professors hochgeladen. Eine Art akademischer Social-Media-Ausflug. Nach dieser wichtigen Reise beginnen die semesterüblichen Basteleien. Gebastelt wird bis in die frühen Morgenstunden hinein, es werden kleine Hölzchen zersägt und reihenweise auf weise Pappe aufgeklebt. Auf kleinen Macbooks werden riesige Pläne gezeichnet, natürlich alles auf der Gratistestversion. Dabei beginnen die kleinen Rechner bedrohlich zu rauschen, und ab 100°C legt man fürsorglich den Joghurtbecher zur Abkühlung auf die Tastatur.

Nach der dritten Woche ist das erste Lavabo bis zur absoluten Unbrauchbarkeit mit Gips verstopft, so dass der Siphon direkt abmontiert und das Positiv davon in eine Ausstellung gegeben werden kann. Auch Abfalleimer werden als Gipsbehälter verwendet, und verenden nach und nach als klobige Gipssockel. Rege genutzt werden auch alle Selecta Automaten, dabei werden über das jeweilige Semester klare Trends sichtbar, welche Schokoriegel am effizientesten gegen Müdigkeit helfen. Morgens geht dann immer einer in den nächsten H&M um frische Unterwäsche für die ganzen Nachtschichtfreunde zu kaufen. Dies schweißt uns zusammen, und erstickt jegliches Gefühl von körperlicher Anziehung. Dafür hat man jetzt diese Freunde fürs Leben.

Das Studium ist generell sehr gut dazu geeignet, Dinge zu vergessen: Welcher Tag gerade ist, dass es noch andere Studiengänge gibt, die Beziehung, die eigene Mutter, solche Dinge. Die gesamte Aufmerksamkeit wird dafür aufgewendet, nicht einzuschlafen und verzweifelt in Drucker zu treten.

Einmal glaubte ich, mich für das Thema Klima zu interessieren, woraufhin ich einen Kurs dazu belegt habe. In der ersten Vorlesung erkannte ich dann, dass der Professor nicht von Gretas Klima, sondern viel mehr von Lüftungsmethoden in grossen Gebäuden sprechen wollte. Da hab ich mich sofort wieder ausgeschrieben.

Sechs Semester und ein qualvolles Praktikum später erinnert man sich dann brav an den ersten Schultag, an dem uns ein Dozent dringend von diesem Studiengang abgeraten hat. Er sei sehr zeitintensiv und finanziell völlig uninteressant. Das haben wir alle ignoriert und erst drei Jahre später die Bedeutung dieser Aussage verstanden.

Finanziell uninteressant. Diese beiden Worte hätten sie, wie ein Warnschild, vor und nach jeder Vorlesung laut vorlesen müssen. Und dabei ein Bild eines sehr traurigen kleinbürgerlichen Architekten einblenden müssen, mit der gleichen grotesken Abschreckästhetik, die auf jeder Zigarettenpackung zu finden ist.

Hast auch du eine kreative Arbeit, die gesehen werden muss? Wir bieten dir bei akut eine Plattform, um genau diese zu publizieren. Sende uns deine Arbeit, eine kurze Beschreibung zu dir und deinem Projekt inkl. Credits an redaktion@akutmag.ch und vielleicht wird auch bald dein Werk bei uns zu sehen sein.

16. August 2023

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