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Das nicht ganz neue «Belmondo»

Veränderung ist unaufhaltbar. Die Zürcher Quartiere befinden sich in einem stetigen und immer schneller voranschreitenden Wandel. Traditionsreiche Lokale werden geschlossen und durch neuartige, exklusive Konzepte ersetzt. Dass es auch mit etwas mehr Feingefühl geht, beweisen die neuen Pächter des «Belmondo» in Wipkingen.

Von Lino Kalt

Als ich als Jugendlicher in Wipkingen meine Runden drehte, hätte ich mir nie erträumt, jemals auch nur einen Fuss ins «Belmondo» zu setzen. Für uns gab es keinen Anreiz dort einzukehren. Zumal der damals, vom Quartierverein unter Präsident Benni Weder, neu gestaltete Röschibachplatz zum Flanieren mit eigenen Getränken einlud. Und das frisch renovierte «Nordbrüggli», mit nach wie vor bezahlbaren Bierpreisen, die deutlich interessantere demographische Durchmischung vorweisen konnte.

Das rot-bräunliche Interieur strahlte eine 70er-Jahre-Ästhetik aus und den Stammgästen, die mit bewusster Miene durch die rauchvergilbten Fenster nach draussen blickten, wollte man den Platz nicht streitig machen. Doch das war nicht immer so; das «Belmondo» ist durch eine lange Geschichte geprägt. Nun wird dem Lokal erneut Leben eingehaucht. Ausgehtendenzen verändern sich. 

In den frühen 80er-Jahren war Wipkingen ein raues Quartier. In der Stadt zu wohnen, war nicht sehr erstrebenswert. Ganz Zürich galt als Ballungszentrum von Alternativen, Armen und Randständigen. Insbesondere auch das dezentral gelegene Quartier Wipkingen im Nordwesten der Stadt mit seinem für diese Zeit verhältnismässig hohem Ausländer:innenanteil. Eine Platzkultur mit Sitzmöglichkeiten gab es hier nicht. Dennoch entwickelten sich die Subkulturen. 

Eine Anwohnerin erinnert sich 

Das Gasthaus Nordbrücke galt als eine der ersten Ausschankstellen im Quartier. Bereits ihre Mutter ging dort in den 50er-Jahren Bier holen, wenn die Familie Besuch hatte. In den Grossmärkten wurde kein Alkohol verkauft, in den Lebensmittelläden ebenfalls nicht. Am unteren Ende des Röschibachplatzes stand ein Kino, etwas weiter oben, an der Stelle des «Belmondo», eine Teestube. Zeit für Vergnügung blieb wenig. Eine Generation später sahen die Dinge nochmal anders aus.

Als sie selbst 16 war gab es noch immer nur wenige Ausgehmöglichkeiten im Quartier. Das Interessanteste: Die neue Disco «Number One» im ehemaligen Kino an der Röschibachstrasse. Jugendkulturen aller Art trafen sich dort zum Tanz. Es war laut, rauchig und meistens voll. Slow-Dance Programmpunkte gab es über die Nacht und den Tag verteilt sporadisch, wollte man aber jemanden genauer kennenlernen, musste man wohl oder übel das Lokal verlassen. Um zu plaudern – bei einem Spaziergang durch Wipkingen oder in einem der ruhigeren Lokale in der Nähe: «Nordbrücke» oder «Belmondo». Im Ersteren wurde damals heftig getrunken; Stammpublikum waren Alkoholabhängige. Wollte man also idyllische Zweisamkeit erleben, entschied man sich für das Letztere. Dort lernte sie ihren Mann kennen, mit dem sie heute noch zusammenlebt und zwei Kinder grossgezogen hat. Bei Kaffee und Bier, während einer Discopause, im ruhigeren, gutbürgerlichen, etwas stieren Restaurant «Belmondo».

Solche Alltagsgeschichten gibt es unzählige. Sie zeugen von einer kollektiven Heimatserfahrung. Sie wirken sich indirekt über die Äusserung, die Erzählung in das kollektive Gedächtnis eines Ortes ein. Und auf dessen Weiterentwicklung. Deshalb gehören sie erzählt – und festgehalten.

Ein Quartier im Wandel

Denn in Wipkingen passiert gerade viel Veränderung. Seit dem Aufwertungsstart mit der Neugestaltung des Platzes und der Neueröffnung des «Nordbrügglis» werden Mehrfamilienhäuser renoviert, teilweise abgerissen und ganze Büro- und Wohnkomplexe hochgezogen. Die neugefundene Attraktivität des Platzes ist auch den Hauseigentümer:innen nicht entgangen. Und so steigen die Mietpreise rasant in die Höhe. Eine bestimmte Baustelle sticht direkt ins Auge: Im Neubau sollen neben Wohnungen und Büroplätzen im Hochpreissegment unter anderem auch Ableger des «Vi-Cafés» und der «Gelateria di Berna» ihren Platz finden. Gerüchte. Dennoch, das Misstrauen der Anwohner:innen gegenüber Neueröffnungen wundert mich nicht. Auch Geschichte muss weitergeführt werden.

Das «Belmondo» wird recycled

Nun; gänzlich neu ist das «Belmondo» nicht. Den Namen hat es behalten: Ich zwinge mich in der Raumentwicklungs- und Städtebaudebatte nicht nur schwarz oder weiss zu sehen. Die dynamische Umgestaltung und Weiterentwicklung müssen objektiv untersucht werden können und Berechtigung haben. «Ich hoffe einfach, dass das «Belmondo» ein Platz für alle bleiben kann. Die Zugänglichkeit für das gesamte Quartier ist mir wichtig. Der Charme darf nicht verloren gehen», so ein junger Anwohner.

Mich interessiert das neue Konzept des «Belmondo» – die Überlegungen dahinter. Ich treffe mich mit den Inhabern und der Geschäftsleitung auf einen Kaffee.

Francis ist Geschäftsführer und zusammen mit Alvaro und Justin Mitinhaber des «Belmondo». Alvaro und Justin sind seit Jahren Partner und führen neben dem «Dante» im Kreis 4 auch das «Grande» am Limmatquai und die «Le Raymond Bar» nähe des Paradeplatzes. Francis haben die beiden 2015 kennengelernt, als dieser seine Gastrokarriere in der «Le Raymond Bar» startete. Die Entscheidung, Francis die Geschäftsführung anzubieten, lag aufgrund seiner breiten Gastronomieerfahrung und dem persönlichen Bezug, auf der Hand. Das Vertrauen sei vollends da, und Francis soll grosse Freiheit in der Konzeptgestaltung und Führung des Lokals innehaben.

Auf das «Belmondo» haben sie schon seit längerer Zeit ein Auge geworfen. Bereits vor vier Jahren haben sie mit den damaligen Pächtern über eine Übernahme gesprochen. Konkret wurde die Realisierung des Projektes aber erst im November 2022, nachdem die Hauseigentümerin einen Grossteil des Hauses renovieren konnte. Innerhalb kurzer Zeit unterzeichneten beide Parteien einen Pachtvertrag und das «Belmondo» wurde totalsaniert.

Alvaro selbst hat auch schon in Wipkingen gewohnt und kennt die Geschichte des Lokals gut. Er erzählt: «Ich informiere mich bei einem neuen Projekt sehr genau über die Geschichte der Adresse und des Namens. In den städtischen Archiven und sogar in Telefonbücher. Denn die Stadtentwicklung bleibt nie stehen.» Spannend sei dies auch, zumal Kontraste und Tendenzen der Stadtveränderung in den einzelnen Quartieren sichtbar werden.

Aufgrund der langen Tradition des «Belmondo» als Gastronomielokal stand nie zur Debatte den Namen zu ändern. Der Name rufe zudem ein Lebensgefühl hervor, welches vermittelt werden will. Nicht zuletzt durch die, bei einer gewissen Altersgruppe, vorhandene Assoziation mit der französischen Filmikone und Exzentriker Jean Paul Belmondo. Dieser ist auch prominent, in Unterhose tanzend, auf der Einladung zur Eröffnung des Lokals abgedruckt.

Ein junges Projekt in verschachtelter Quartierlage. Eine der grossen Herausforderungen; die Balance finden zwischen den täglichen Bedürfnissen der Anwohner:innen und eigenen «Unique selling points», welche die Menschen dazu veranlassen, gezielt ins «Belmondo» nach Wipkingen zu pilgern. Eine Durchmischung wird angestrebt: «Schön, wenn Leute extra herkommen, schön wenn die Leute darüber stolpern oder Anwohner in der eigenen Gegend ihren Platz finden.» Hybrid-Spagat nenne ich das.

Ein möglichst diverses Publikum soll angesprochen werden – eine Quartierkaffeebar 2.0, ohne fest definierte Zielgruppe. Wichtig dabei sei aber, dass das Team die Freiheit behalten könne, aktuelle und frische Konzepte mit Freude an der Gastronomie zu verfolgen. Gastronomie soll Spass machen und auf aktuelle Fragen antworten können.

Dass der Standort nicht täglich von 12’000 Leuten, wie beispielsweise das Limmatquai, frequentiert werde, biete auch Chancen. Auf ein Sortiment, welches für alle tauglich sein muss kann verzichtet werden. So findet sich beispielsweise kein herkömmliches «Coca-Cola» im Angebot. Platz für Experimente also. Ob die Anwohner:innen mit der Neubelebung des «Belmondo» klarkommen, wird sich zeigen. Lärmbeschwerden können der Gastronomie übel mitspielen.

Die etwas andere Gastronomie

Von der Röschibachstrasse her erkennt man zwei Schilder mit der Aufschrift «Belmondo» – ein neues und ein altes. Für das neue Logo wurde das alte Logo nachgezeichnet und kopiert, und es wurde etwas mit der Schattierung gespielt. Bei Nacht ist das kalkweisse Interieur, mit reichlich grüner Abwechslung in Pflanzenform, spärlich stimmungsvoll beleuchtet und löst bei mir direkt eine nicht definierbare Nostalgie aus. Sitzmöglichkeiten gibt es zur Genüge. Sowohl draussen auf der Terrasse als auch drinnen.

Kernstück der Bar ist eine lange(!), rundgeformte Bar mit roten Kacheln und einem massiven Tresen aus Gussbeton. Darauf befinden sich eine Reihe von Ausschankhänen. Das elaborierte Tab-System sticht direkt ins Auge: Neben verschiedenen Bieren kann man sich hier auch Weiss- und Orangewein sowie hauseigene Cocktail-Kreationen ausschenken lassen. Und das mit Stil: Das Weinsortiment besteht zu einem grossen Teil aus österreichischem Naturwein, der in Druckfässern geliefert wird.

Auch Essen kann man im «Belmondo». Zwei junge Köche bereiten zurzeit frische Focaccia und hausgemachte Ravioligerichte zu. Den Anspruch jedoch, als Restaurant wahrgenommen zu werden, hat das «Belmondo» nicht. Ob sich die Speisekarte periodisch verändere, müsse man noch herausfinden. Die Resonanz der Gäst:innen werde dabei ausschlaggebend sein. Wenn man sich die Öffnungszeiten und das Menu anschaut wird klar: das «Belmondo» will vieles bieten. Es ist ein Café, eine Bar und ein Bistro gleichzeitig. Fusion.

Wein aus dem Zapfhahn? 

Alvaro und Francis erklären mir, dass sie in ihrer Art, wie sie Gastronomie betreiben und zelebrieren wollen, konstant auf der Suche nach neuen Herausforderungen und frischen Konzepten sind. Mit einer Ausweitung des Zapfsystems liebäugeln sie schon lange. Zum einen spare man so Emissionen ein; beim Transport und beim Recycling, zum anderen entfalle so der Mehrpreis für die Flasche selbst, welcher den Gäst:innen verrechnet werden muss. Die Qualität des Produktes ändere sich nicht, im Gegenteil. Alvaro bringt zur Veranschaulichung das Beispiel einer drei Liter Champagnerflasche, wo sich die Fassungsgrösse vermeintlich auf die Rund- und Ausgereiftheit des Inhaltes auswirkt. Ein weiterer Vorteil sei, dass man beim Ausschank zeitlich deutlich effizienter ist und sich somit mehr Zeit für den Austausch mit den Gäst:innen und den Service selbst nehmen könne. Dazu komme die Verfügbarkeit der Flaschen – zur Zeit ein knappes Gut. Im letzten Jahr konnte deshalb über drei Monate kein Mezcal/Tequila aus Mexiko exportiert werden.

Getränke ab Hahn, eine Doppelmoral. Irgendwie assoziiere ich den Offenausschank mit niedrigeren Preisen und tieferer Qualität des gleichen Produktes aus einer Flasche. Komisch eigentlich; wenn man bedenkt, dass das Zapfsystem, durch den Einfluss der Werbung, unser Bier-Erlebnis ziemlich aufzuwerten vermag. Wenn wir an ein kühles Glas Bier denken, stellen wir uns ein «frisch» gezapftes vor. 

Direkt ab Tresen. Der Hygiene dieser Systeme, und deren konstanter Wartung, vertrauen wir sowieso schon. Ein Flaschenbier kann man doch auch im Supermarkt kaufen. Hinsichtlich der oben genannten Vorteile liegt es vielleicht auch an uns Konsument:innen, uns solchen neuen Möglichkeiten der Produktpräsentation anzunehmen.

Immer schön flexibel bleiben

In der Gastronomie soll es keine in Stein gemeisselten Konstanten geben. Auch das ist den dreien wichtig. Ihre Art, Gastronomie betreiben zu wollen heisst: viel forschen, ausprobieren, zuhören und umsetzen. Denn strukturelle Veränderungen werden immer auch direkten Einfluss auf das Gastro-Gewerbe haben. Sei es nun ein gesteigertes Verlangen nach Nachhaltigkeit in der Produktauswahl und -beschaffung oder eine demographisch bedingte Veränderung in den generellen Vorlieben der Besucher:innen. Sowohl deren Rückmeldungen als auch die der Anwohner:innen sind erwünscht. Auch Stammgäst:innen einer anderen «Belmondo»-Generation sollen ihren langjährigen Anliegen Ausdruck verleihen können. Ein Beispiel dafür, so Francis, sei die Einführung der Bargeldbezahlung, obwohl das «Belmondo» zu Beginn als bargeldlose Kaffee-Bar konzipiert war. 

Der Mensch steht bei all ihren Gastro-Konzepten an oberster Stelle. Die Produkte und wie diese serviert und kuratiert werden, nehmen eine Vermittlerfunktion zwischen der «Belmondo»-Vision und den individuellen Interessen der Besuchenden ein. Sie ermöglichen den Austausch über neue kulinarische Konzepte, Veränderungen in der Lebensmittelindustrie und politische Rahmenbedingungen in diesem Themenfeld. Veränderung und Begeisterung als fluide Prozesse. «Menschen, die sich damit befassen, finden wir lässig und spannend. Dafür soll bei uns Platz bleiben», so Alvaro. 

Auch fördert die konstante Suche nach neuen Herausforderungen, wie das Tab-Konzept, den Teamgeist. Das merkt man, wenn man die verschiedenen Betriebe des Kollektivs etwas genauer untersucht. Das «Grande» hat sich die Spezialisierung auf Kaffee zur Mission gemacht, das «Dante» hat sich über die Jahre auf die Welt der Cocktails konzentriert. Das «Belmondo» verkörpert ein neues Kapitel. 

Auf die mir als wichtig erscheinende Frage nach dem der «billigsten» Stange antwortet Francis schmunzelnd: «Foif füfzg!» Alvaro fügt augenzwinkernd an: «Billig gibt es nicht bei uns, ich glaube du meinst das günstigste.» Charmant!

Eine grosse Aufgabe, welche das «Belmondo» zu erfüllen hat. Doch ich habe keine Angst, dass das Team dahinter diese Verantwortung nicht gerecht werden kann.

Belmondo
Röschibachstrasse 75
8037 Zürich

Öffnungszeiten
Di – Fr ab 8 Uhr
Sa – So ab 9 Uhr
Montag geschlossen

26. April 2023

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