Es ist, auf gut Deutsch, gerade alles ziemlich beschissen. Die Decke ist mir schon so krass auf den Kopf gefallen, dass ich sie jetzt als Halskrause trage. Ich hatte noch nie das Vergnügen eine Halskrause zu tragen, aber ich stelle mir das etwa so vor, wie sich momentan alles anfühlt: Mühsam, immer kurz davor aber doch nicht ganz, irgendwie behindert und einfach unbequem.
Vor einem Jahr war ich guten Mutes, dass alles wieder ganz schnell normal werden würde und wir nur ein bisschen auf die Zähnli beissen müssen. Nun sitze ich da mit Decken-Halskrause und versuche jeden Tag nicht im Trübsal zu ertrinken. Dass ich hier auf höchstem Niveau rummeckere, weil anderen Menschen noch ganz andere Dinge auf den Kopf fallen und sie in Wasser statt Trübsal ertrinken, ist mir glasklar. Dennoch hilft auch dieses Wissen an einem gewissen Punkt nicht mehr weiter.
In den Tag hineinleben, sich treiben lassen, einfach mal machen, präsent sein, nicht an Morgen denken. So war ich und kann es jetzt nicht mehr sein.
Das kratzt. An meinem Selbstwert und an meiner Identität. Und so scheint es wohl Vielen zu gehen. Die Hälfte meines Umfeldes steckt in einer Identitätskrise, die andere hat sich verlobt oder Babies gekriegt. Was eventuell ebenfalls auf eine Identitätskrise zurückzuführen ist.
Wenn also weise Worte wie: «Lebe den Moment», «Lebe im Hier und Jetzt», «Be present» sich einfach nur noch bescheuert anhören und anfühlen, leben wir halt eben für die Zukunft.
Wappnen wir uns dafür! Trainieren wir also unsere Lebern für Parties, wie wir sie noch nie gefeiert haben, unsere Kommunikationsfähigkeit für Gespräche, wie wir sie noch nie geführt haben, unsere Mägen für kulinarische Meisterwerke, wie wir sie noch nie gegessen haben und unsere Körper für Berührungen, wie wir sie noch nie gespürt haben.
15. April 2021