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BPoCs – Realness statt Klischee

Wie Trauma mit inszenierten Bildwelten in die Gegenwart transferiert wird, um den gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben – die Verarbeitung von afroamerikanischen Lebensrealitäten in der Fotografie.

Von Joshua Amissah

Die Repräsentation von schwarzen Körpern in der visuellen Kultur geschieht teils in einem vorbelasteten und klischeehaften Verhältnis. Angefangen mit verschiedenen Aneignungsformen von kulturellen Identitäten, bis hin zu Stereotypisierungen von Rollenbildern. Ja es mag sein, dass nicht-westliche Models im Zuge einer Trendbewegung gerade immer mehr gebucht werden, und derzeit mehr Einlass in Kampagnen und Fotostrecken finden. Doch es ist ein schmaler Grad zwischen «Tokenism» und angemessener diversitätsfördernder Repräsentation. «Tokenism» ist eine branchenübliche Praxis, bei der bewusst einzelne Personen aus unterrepräsentierten und marginalisierten Gruppierungen herbeigezogen werden. Dies geschieht zumeist unter dem Deckmantel von Diversität und Weltoffenheit. Die hier zugrundeliegende Frage ist aber, wer steht denn eigentlich hinter der Kamera?

Die weiss dominierte Kreativindustrie reproduziert oft eine normative Repräsentation von Black (or) People of Colour, was folgend als BPoC zusammengefasst wird. BPoC dient als analytischer und politischer Begriff, der sich an all diejenigen Menschen und Communities wendet, die in kolonialer Tradition als «the other» rassifiziert und unterdrückt werden. Er wird aktiv als Selbstbezeichnung – oft verbunden mit einem politischen Verständnis – verwendet. Sich der normativen Repräsentation widersetzend formt sich eine neue Community an BPoC Fotograf*innen, dessen Werke die Sichtbarkeit von BPoC Körpern in der visuellen Kultur mit neuen Narrativen vorantreiben. Es sind oft Narrative, die sich auf eine subversive Art und Weise mit der eigenen Lebensrealität als BPoC beschäftigen.

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Ganz besonders überzeugt der Visual Artist Jon Henry aus Queens, New York. Seine Arbeit reflektiert über Familie, gesellschaftspolitische Themen, Trauer, Trauma und Heilung innerhalb der afroamerikanischen Gemeinschaft. Im letzten Jahr erhielt Henry den «Arnold Newman Prize for New Directions in Photographic Portraiture» für seine eindrückliche Bildserie «Stranger Fruit». Die Portraitserie entstand als Reaktion auf die Morde an afroamerikanischen Männern aufgrund der rassenbasierten Polizeigewalt in Amerika.

Einbetten lässt sich die Bekanntheit der Fotografie in eine Zeitspanne, in der internationale Demonstrationen gegen Polizeigewalt gegenüber Afroamerikaner*innen und Rassismus als gesellschaftliches Problem vermehrt wahrgenommen wird. Es scheint, als wäre die Bildserie auch in diesem Kontext entstanden. Der Schein trügt. «Stranger Fruit» ist ein fortlaufendes Projekt, welches bereits 2014 seinen Anfang genommen hat und dank einem neueren kollektiven Bewusstsein grosse internationale Erfolge feiert.

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Die nuancierte Grossformat-Aufnahme «Untitled 13» inszeniert eine fiktionale und dennoch intime Familiensituation. Die Mutter hat ihren Sohn noch nicht verloren, doch versteht sie, dass ihr Sohn aufgrund seiner Hautfarbe der Nächste sein könnte. Die trauernde Miene der weiss gekleideten Frau deutet auf die Angst und das Trauma vor Verlust von afroamerikanischen Müttern. Fernab von systematischer Ungleichheit referenziert die Fotografie von Henry auch eines der bedeutendsten Werke der abendländischen Bildhauerei von Michelangelo: die römische Pietà aus dem Ende des 15ten Jahrhunderts. Oft gewürdigt als beispielhafte Darstellung von Trauer und Verlust erinnert die Skulptur gleichermassen auch an unsere eurozentristische Kunstgeschichtsschreibung.

Michelangelos Darstellung von zwei weissen Protagonist*innen aus dem Christentum wird neu mit zwei BPoC Körpern besetzt. Sohn Gottes Jesus Christus, der nach christlicher Lehre zur Erlösung aller Menschen starb, erscheint in Henrys Fotografie plötzlich als junger BPoC. Damit lassen sich auch Parallelen zur populären Tötung des Afroamerikaners George Floyd ziehen, der durch eine gewaltsame Festnahme ums Leben kam, und in der Medienwelt als «Märtyrer für den Wandel» zelebriert wird. Der Fakt, dass es selbst im 21. Jahrhundert überhaupt noch Märtyrer braucht, um gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben ist schmerzlich, aber anscheinend auch bittere Realität.

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14. März 2021

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