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«Wenn man das Bedürfnis hat, seine Ex zu kontaktieren, ist das ein klarer Indikator» – Bianca Jankovska im Interview

Im DACH-Raum prägt die Autorin und feministische Vordenkerin Bianca Jankovska den Diskurs rund um moderne Beziehungen und die Selbstbestimmung von Frauen. Mit ihrer #TrustHisEx-Initiative fordert sie dazu auf, toxische Verhaltensmuster von Männern zu hinterfragen und Ex-Beziehungen als Warnsignal zu nutzen. Wir sprachen mit ihr unter anderem über die Herausforderung, ihre progressiven Visionen ins Patriarchat zu tragen.

Von Janine Friedrich

Mit einem Abschluss in Kommunikationswissenschaft und Wirtschaftsrecht sowie einer Leidenschaft fürs Schreiben gründete die gebürtige Wienerin das Magazin «Groschenphilosophin». In ihrem Blogartikel «Trust His Ex: Bewegung gegen häusliche Gewalt» thematisiert Bianca die Gefahren, die von potenziellen Partnern für Frauen ausgehen können. Sie kritisiert die Hürden, die es erschweren, an Informationen über ihn zu gelangen. 
 
Mit dem Hashtag #TrustHisEx fordert sie stärkere Frauensolidarität, um Erfahrungen auszutauschen und potenziell gewalttätige Partner frühzeitig zu identifizieren. Sie ist sich sicher, dass der Hashtag #TrustHisEx bald global Fahrt aufnimmt. Auf Substack ist bereits eine englische Version erschienen, die international Aufsehen erregt. Ihre Vision: Jede Frau schreibt es in den Socials in ihre Bio und signalisiert damit anderen Frauen: «Ich bin eine Quelle, du kannst mich kontaktieren.» Klar ist: Es gibt kaum legale Wege, um herauszufinden, ob der Mann, den man datet, ein Abuser ist. Dass er Frauen emotional und/oder sogar körperlich missbraucht, wird er nicht von selbst offenbaren. Verzeichnisse mit Namen und Taten (deren Dunkelziffer sicher hoch ist) sind aus Datenschutzgründen verboten. Bleibt nur die Möglichkeit, seine Ex zu kontaktieren. 

Verrückt? Findet sie nicht, denn «manchmal bedeutet eine zweite Chance für einen überaus toxischen Mann, dass man halt stirbt.» In Deutschland wird fast jeden dritten Tag eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet. In der Schweiz ist jeder dritte Mord ein Femizid. Das muss endlich aufhören; und wenn ein Hashtag dabei hilft, please go viral!

Thema TrustHisEx: Wie valid ist denn überhaupt die Erfahrung der Ex für die Neue? Was, wenn er an sich gearbeitet hat, Therapie gemacht hat? Was, wenn er mit der Neuen komplett anders handelt?

Bianca: Wenn er sich wirklich verändert hat und alles super läuft, hat man als Frau kein Bedürfnis, seine Ex zu kontaktieren. Das hat man nur, wenn Misstrauen da ist oder er ungesunde Verhaltensweisen an den Tag legt. Das ist ein klarer Indikator, dass er sich nicht gebessert hat. Es kann natürlich sein, dass Männer, die von der Bewegung Wind bekommen, die Namen ihrer Ex-Partnerinnen nicht mehr verraten. Das ist aber ebenfalls schon eine grosse Red Flag, und da sollte man lieber rennen (lacht). Natürlich kann man auch Auskunft über die Männer geben, die gut waren. Doch die Informationen über die Abuser sind viel wichtiger.
 
Du hast dich selbst mal gefragt: Wo kommen immer die Frauen her, die all die abgelegten Trash-Männer übernehmen? Hast du darauf mittlerweile eine Antwort?

Woher weiss ich nicht, aber solange es okay ist, den Trash anderer Frauen aufzusammeln, und all das noch nicht genug kritisiert, sanktioniert und besprochen wird, werden Frauen die toxischen Männer von anderen Frauen aufsammeln. Es scheint noch die Norm zu sein, dass Männer, egal wie respektlos und beschissen sie sich verhalten haben, wieder easy eine Frau abbekommen. Das Problem ist wahrscheinlich, dass Frauen oft aus einer Bedürftigkeit heraus agieren. Wir wurden darauf trainiert, Liebe zu wollen, dass wir dadurch sozusagen die Konkurrentinnen am Markt unterbieten. Nur halt für eine Ware, die kaputt ist, sprich: Männer mit unzähligen Red Flags, wenn wir in diesem BWLer-Slang bleiben wollen. Ich habe schon so oft von Frauen gehört, dass in der Beziehung mit dem Ex psychische und physische Gewalt im Spiel war, und zwei Wochen später hatte er eine Neue. Das sind alles schöne, erfolgreiche Frauen, die so etwas erleben und mir das unabhängig voneinander immer wieder erzählen. Und ich frage mich dann: Wie ist das möglich?
 
Was denkst du, wie das möglich ist?

Es liegt bestimmt auch daran, dass viele Frauen innerhalb des Patriarchats immer noch in dieser Wunschvorstellung einer intakten heteronormativen Familie gefangen sind. Nach ein paar Jahren des Single-Daseins schrauben sie einfach ihre Standards runter und sagen: Okay, dann akzeptiere ich halt das, das und das, aber dafür habe ich jetzt einen Freund und passe mehr in das Modell, das gesellschaftlich erwartet wird. Das rührt wohl auch von einem Mangel an Selbstliebe und Selbstwert, wobei der Selbstwert dann vom Anderen abhängig gemacht wird. Extrem gefährlich! Dazu kommt, dass es immer noch ein Tabu ist, über psychische und physische Gewalt in Beziehungen zu sprechen. Es will sich natürlich niemand die Schmach geben, in so einer Beziehung zu sein. Da sucht man eher noch die Schuld bei sich. Die Medien klären ausserdem nicht genug auf, sondern machen lieber Sensationsjournalismus mit solchen Themen. 
 
Die gesellschaftliche Entwicklung von romantischen Beziehungen hat sicher auch viel damit zu tun.

Definitiv. Für die Nachkriegsgenerationen waren toxische und gesunde Beziehungen keine klaren Begriffe; es war normal, gemein zueinander zu sein oder Dinge zu verschweigen. Man hat diese Verhaltensweisen oft gar nicht hinterfragt, sondern als Teil des Alltags hingenommen. Negative Kommentare oder Angriffe wurden als bedeutungsloser Tratsch abgetan und nicht ernst genommen. Die Antennen für toxisches Verhalten waren einfach nicht vorhanden – sie waren ausgeschaltet, abgebrochen. Romantische Beziehungen waren entweder Mittel zum Zweck oder Mittel zur Ausbeutung, in denen man sich gegenseitig ausgehalten und zeitweise verachtet hat. Kritik daran? Gab es nicht. So hat sich dieses Bild von Beziehungen eingeprägt. Dazu kommt, dass Frauen jahrhundertelang und noch bis heute nicht als gleichberechtigt angesehen werden. Noch bis vor gar nicht so langer Zeit war sogar Vergewaltigung in der Ehe in Deutschland erlaubt. Obwohl wir heute Fortschritte gemacht haben, gibt es immer noch viel Gewalt in Beziehungen, und das Thema wird oft nicht öffentlich genug debattiert. Femizide und Missbrauch sind nach wie vor Teil unserer Gesellschaft, und der Wandel kommt nur langsam, obwohl diese Verhältnisse seit Jahrhunderten existieren. Aber er kommt!


Was trägt zu diesem Wandel bei?

Ich bin dafür, dass ein neues feministisches Movement passiert und dass alle Frauen ihre Ansprüche erhöhen. Frei nach dem Motto: No Princess Treatment, no Pussy! Wir Frauen sollten uns viel öfter zusammenschliessen und sagen: Das und das und das ist jetzt das bare Minimum, liebe Männer, und unter diesen Standards geht es gar nicht mehr. Wenn das etabliert ist, dann passiert es nämlich nicht mehr so häufig, dass Frauen den Trash anderer Frauen aufsammeln. Und die Männer müssen dann natürlich auch ihr Game neu abstecken. Deshalb: Jetzt nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern neue Narrative schaffen. Eines meiner Ziele ist es, die Zukunft der Heterosexualität aktiv mitzugestalten. Trotzdem gelingt es mir noch nicht immer, die Scham abzuschütteln; die Scham, eine heterosexuell begehrende Frau im Patriarchat zu sein. Das ist ja schon eine mentale Aufgabe, die fast nicht mit Selbstachtung einhergeht.
 
Wie viel Einfluss haben wir darauf, Männer mit toxischen Verhaltensweisen anzuziehen?

Schwierige Frage. Da muss man aufpassen, dass es kein Victim-Blaming wird. Sicher haben wir immer einen gewissen Anteil daran, aber ich denke auch, dass die Verfügbarkeit von ehrlichen, respektvollen Männern allgemein gering ist. Wenn nur etwa 10% der Männer diese Eigenschaften mitbringen, ist es logisch, dass die Wahrscheinlichkeit, an einen solchen Mann zu geraten, gering ist – auch wenn das natürlich nicht empirisch messbar ist. Dazu kommt, dass wir oft das anziehen, was uns vertraut ist, basierend auf unserer Sozialisierung und den Prägungen aus der Kindheit. Studien zeigen, dass Frauen aus gewaltvollen Haushalten häufiger in gewalttätige Beziehungen geraten. Das zeigt, wie wichtig Sozialisierung und positive Vorbilder sind. Es hat also weniger mit dem Charakter einer Frau zu tun. Ich kenne zu viele Frauen, die in solchen Beziehungen waren, und sie haben alle ganz unterschiedliche Persönlichkeiten. Ohne Therapie und das Auflösen alter Muster wird es zur Gewohnheit, immer wieder in ungesunden Beziehungen zu landen. Ich glaube, viele Menschen sind sich gar nicht bewusst, dass sie in einer toxischen Beziehung sind.
 
Hast du herausgefunden, wie man an gute Männer gerät?

Meine Therapeutin sagte mal, dass man sich vor Ablauf der ersten zwei Monate nicht sicher sein kann, was die Person, die man datet, für ein Mensch ist oder ob der neue Partner ein guter Catch ist. Das ist eine gute Richtlinie. Was noch hilft, ist, dass man sich die eigenen Werte aufschreibt, sie lebt, und dann während des Kennenlernens schaut, ob es passt. Es gibt auf jeden Fall gute Männer. Das behaupte ich immer noch. Ich habe definitiv nicht nur schlechte Erfahrungen gemacht und bin mit einigen meiner Ex- Freunden gut befreundet. Doch es gibt halt auch viele Männer, die noch das Minimum an Standards in Bezug auf den Umgang mit Frauen lernen müssen. Das ist mühsam, weil es viel zu erklären gibt. Aber eine Veränderung passiert bereits. Es ist wohl die schwierigste Aufgabe insgesamt in unserer Lebensspanne: Die Menschen an uns heranzulassen, die es tatsächlich verdient haben. 
 
Zum Schluss: Was sind deine Top 3 Red und Green Flags bei Männern?

Top 3 Red Flags: Wenn er bereits beim ersten, zweiten oder dritten Date über Menschen im eigenen Umfeld schlecht redet. Er beschimpft zum Beispiel seinen Mitbewohner, nennt seine Schwester Narzisstin etc. Wenn der Körper einem selbst schon in der Kennlernphase signalisiert, dass er einem nicht gut tut. Man bemerkt zum Beispiel beim Schlafengehen oder vor Treffen mit ihm ein komisches, unwohles Gefühl im Bauch. Wenn er ständig komische Kommentare macht, einen provoziert, manipuliert, Gaslighting betreibt und die eigenen Grenzen, die man zuvor kommuniziert hat, bewusst überschreitet. 

Und meine Top 3 Green Flags: Konsistente und klare Kommunikation, sodass man nicht ständig secondguessen muss, ob er einen mag: gesunder Kontakt; gegenseitiges Interesse deutlich machen am Anfang; sich nicht verstellen müssen. Wenn jeder ein eigenes Leben hat, die eigenen Werte lebt und sich nicht vollkommen voneinander abhängig macht. Also: Interdependence statt co-dependence. Wertschätzendes, respektvolles und loyales Verhalten: Das Gefühl zu haben, dass man mit der Person über alles reden kann – auch über Konsens, Grenzen und Beziehungsmodelle, ohne dass man denkt, man verliert die andere Person, wenn man etwas «Falsches» sagt.


Das Essay-Sammelband von Bianca Jankovska «Die Groschenphilosophin: Ein Jahrzehnt Internet, Feminismus und Popkultur» kommt im November bei Palomaa Publishing raus. Bianca Jankovska teilt zudem ihr geballtes Wissen über die (Arbeits-)Welt in Kündigungsberatungen (Thx bye), auf ihrem Blog, auf Instagram und in ihrem Buch über Anti-Work und Menstrual-Health, «Potenziell furchtbare Tage».

01. November 2024

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