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Was sind wir ohne unsere Jobs?

Die Arbeitslosigkeit steigt rasant. Im Januar 2021 waren 40% mehr Menschen in der Schweiz als arbeitslos gemeldet als im Vorjahresmonat. Zeit also, sich folgende Frage zu stellen: Was sind wir denn eigentlich ohne unsere Jobs?

Von Leila Alder

Wer beim RAV angestellt ist, braucht sich momentan wohl wenig vor einer Kündigung zu fürchten, haben sie doch alle Hände voll zu tun. Die Arbeitslosenzahl in der Schweiz hat in den letzten Monaten so stark zugenommen, wie schon lange nicht mehr. Doch was heisst das für die Menschen, die in einem Land leben, welches sich gerne mit seinen tüchtigen und gutgebildeten Bürgern schmückt, wo Arbeiten das Leben bedeutet und Leistung höher angerechnet wird als Empathie? Was macht es mit uns, wenn wir unseren Job verlieren? 

Die 1933 veröffentlichte Marienthal-Studie, ein soziographischer Versuch über die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf den Menschen, ergab, dass eine Beschäftigung nicht nur finanzielle Vorteile mit sich bringt, sondern auch in Bereichen, die darüber hinausgehen: Sie strukturiert unsere Tage, bietet einen sozialen Zugang ausserhalb der unmittelbaren Kreise von Familie und Nachbarn, sie zeigt uns, wie das Kollektiv mehr erreichen kann als das Individuum, und sie verdeutlicht die persönliche Identität.

Heisst also: Wenn wir unseren Job verlieren, verlieren wir mit ihm auch Struktur, soziale Kontakte und einen Teil unserer Identität. Wer ist Mensch dann noch, mit halber Identität?

«Aus dir wird mal was!» – eine Anwältin, eine Chirurgin, eine Unternehmerin? Schon früh wird uns klar gemacht, was es bedeutet, «Etwas» zu sein: Einen guten, lukrativen Job zu haben, der ausreicht für den Urlaub auf Dubai, für eine Loft-Wohnung mit Dachterrasse und für jede Säule, in die man einzahlen kann. 

Davon, sich über den Job zu definieren, kann auch ich euch ein Liedchen singen oder gar ein ganzes Album aufnehmen. Gerade in der Kreativbranche verwandeln wir uns geradezu in unsere Berufe – wenn dann noch die Selbstständigkeit dazukommt, verschmilzt Persönlichkeit und Tätigkeit noch mehr.

Dies bringt einige schöne Vorteile mit sich, jedoch eben auch Gefahren. Denn bekanntlich bleibt nichts, wie es ist. Plötzlich werden wir von einer Pandemie überrollt – nicht nur wir, sondern auch so manche Unternehmen, Pläne und Ideen. 

Nun sind wir gefordert. Gefordert unsere Identität zu finden oder sie neu zu kreieren. Eigentlich eine schöne Aufgabe, wenn auch nicht ganz einfach. Dabei helfen könnte das Zurückbesinnen, denn dass Mensch auch vor seiner beruflichen Laufbahn bereits ist, scheinen die meisten von uns vergessen zu haben.

Wer warst du vor «Aus dir wird mal was»? Ein spannender Nebeneffekt dieser Auseinandersetzung könnte sein, dass man vielleicht plötzlich realisiert, dass der bisherig ausgeübte Job eigentlich so gar nicht dem Menschlein, das da in einem drin hockt, entspricht. Man hat sich in eine Rolle gedrückt, eine Identität angenommen und etwas ausgeübt, weil es sich gut anhörte – nicht gut anfühlte. Und man die damit verbundenen Menschen eigentlich nicht einmal mag und dennoch den grössten Teil seiner Zeit mit ihnen verbringt.

Also nun nochmals: Was sind wir ohne unsere Jobs? Eine blanke Leinwand. Eine Leinwand, die bemalt werden kann. Von uns selbst. Mit genau den Farben, die uns gefallen, den Formen, die uns entsprechen, den Kontrasten, die uns zusagen. Und wenn sie dann bemalt ist, haben wir die Chance, das Kunstwerk genau dort aufzuhängen, wo es hingehört.

26. Februar 2021

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