Anja Graf fasziniert. Ihre Geschichte und ihr Werdegang lesen sich wie ein feministischer Roman: Schule geschmissen, erstes Unternehmen mit 16 gegründet, heute vierfache Mutter und an der Spitze eines internationalen Unternehmens. Die Erziehung der Kinder überlässt sie gerne auch mal den Papas, denn die können das – Achtung; Suprise – nämlich auch. Was Erfolg für sie ganz persönlich bedeutet, was sie von Geschlechterrollen hält und welche Art von Chefin sie ist, hat uns Anja Graf im Interview verraten.
Deine Geschichte ist alles andere als 0815 – magst du uns ein bisschen was darüber erzählen?
Anja: Vor der Gründung von Visionapartments führte ich mit drei Partnern eine Modelagentur – dies bereits während ich noch im Gymi war – ich war 16 Jahre alt. Wir vermittelten Models und haben Fashion-Shows organisiert. Das war eigentlich das erste Unternehmen. Für die Models aus dem Ausland brauchten wir Übernachtungsmöglichkeiten. Hotels waren zu teuer, also habe ich angefangen, einzelne Zimmer zu vermieten, die ich selbst renoviert hatte. Damals gab es in Zürich nur wenige solche Angebote. Die Schule verliess ich dann aber vor dem Abschluss, um mich auf meine unternehmerischen Tätigkeiten zu konzentrieren. Ich erhielt immer mehr Anfragen für meine Zimmer, sogar Geschäftsleute wollten diese mieten. Ich war von der Idee überzeugt, mietete und vermietete weitere Apartments, bis ich nach kurzer Zeit das erste Haus kaufen konnte. 1999 erfolgte der Startschuss für Visionapartments: im Herzen von Zürich wurden im Kreis 4 die ersten Wohnungen eröffnet.
Welches denkst du, sind die wichtigsten Eigenschaften, um beruflichen Erfolg zu haben?
Machen. Machen. Machen. Es wird zu viel geredet und zu wenig gemacht. Ich rate ab, auf den perfekten Zeitpunkt zu warten und zu oft zu zögern. Das Wichtigste bei einem Unternehmen ist es, die Ideen umzusetzen. Das zeichnet Unternehmer:innen aus. Man sollte sich nicht darin verlieren, was noch fehlt, sondern handeln.
Was bedeutet Erfolg denn ganz allgemein für dich?
Persönlichen Erfolg messe ich nicht am steigenden Umsatz, sondern am Erlernen neuer Fähigkeiten. Mit jedem neuen Projekt verändern sich meine Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Vom gestiegenen Umsatz sehe ich nicht immer etwas, denn oft wird dieser direkt wieder investiert. Doch das, was ich dazulerne, worauf ich mich spezialisiere, sind meine grössten Erfolge.
Warum denkst du, gibt es immer noch so wenige Frauen an der Spitze von grossen Unternehmen?
Frauen fällt es oft schwerer, sich abzugrenzen. Oft haben sie Angst, ihrer Mutterrolle nicht gerecht zu werden. Wenn man Frauen, die ihr Kind fremdbetreuen lassen, ein schlechtes Gewissen macht, können sie sich nie 100 Prozent auf den Job konzentrieren. Die Männer dagegen nehmen sich das einfach heraus. Ich habe fürs Kader in meinem Unternehmen immer wieder Frauen gesucht, oft haben die Kandidatinnen aber abgesagt, als sie erfuhren, was das bedeutet. Viele wollten nicht Vollzeit arbeiten, was ich in oberen Positionen schwierig finde, gerade wenn ich jemanden neu einstelle. Wenn jemand eingespielt ist, dann ist es nochmals etwas anderes.
Was für eine Art Chefin bist du?
Ich setze klare Ziele mit meinen Mitarbeiter:innen und erwarte auch, dass diese eingehalten werden. Je nach Aufgabenbereich bin ich mehr oder weniger involviert. Aber das, was mir am meisten Spass macht, ist nicht das Führen von Personen, sondern mehr die kreativen Aspekte und Geschäftsbereiche.
Was hältst du von Geschlechterrollen?
Nicht viel – meiner Meinung nach ist eine Aufgabenteilung in einer Familie zwar wichtig, aber wie die Aufgaben aufgeteilt sind, sollte nicht vom Geschlecht beeinflusst werden.
Hast du Vorbilder in der Unternehmer:innen Welt oder machst du lieber einfach dein Ding, ohne nach links und rechts zu schauen?
Erfolgreich wird man dann, wenn man etwas tut, das dem innersten Bedürfnis und der eigenen Persönlichkeit entspricht. Wer glaubt, fremde Erwartungen erfüllen zu müssen, entfernt sich von sich selbst. Und genau das verhindert häufig den Erfolg. Den Beruf übt man jeden Tag aus. Da ist es essentiell, dass man ihn wirklich gerne macht und sich kongruent fühlt. Ich finde es ist ganz wichtig, sich selbst treu zu bleiben und seinen eigenen, persönlichen Weg zu gehen. Wenn ich mich also mit jemandem vergleiche, dann mit meiner 5-Jahre jüngeren Version.
Visionapartments gibt es bereits seit über 20 Jahren. Wie hat sich das Unternehmen entwickelt und welches waren die Treiber dieser Entwicklung?
In der heutigen Zeit der Schnelllebigkeit und Globalisierung sind Serviced Apartments eine passende Lösung für unsere Gesellschaft. Der Co-Hype ist sehr beliebt und die Leute wollen sich weniger binden. Sie suchen nach flexiblen Möglichkeiten und Konzepten im privaten und professionellen Bereich. Wir spüren vor allem den Trend zur Individualisierung, greifen dies auf und setzen es um. Zudem bleibt der Schweizer Mietmarkt in den grossen Städten weiterhin angespannt. Hier schliessen Serviced Apartments eine Angebotslücke für Privatpersonen, Expats und Firmen. Seit unserer Gründung 1999 sind wir extrem schnell gewachsen und haben nun schon über 2000 eigene Apartments. Ich bin davon überzeugt, dass Visionapartments auch weiterhin wachsen wird.
Wie unterscheidet sich Visionapartments von der Konkurrenz?
Innenarchitektur und Style spielen eine immense Rolle und heben uns von der Konkurrenz ab. Wir haben ein eigenes Interior Design-Team, welches die Apartmentstile plant und diese umsetzt. Die Stile variieren von Apartment zu Apartment, und wir lancieren immer wieder neue Konzepte. Diese müssen zwar funktional, dürfen aber auch gerne etwas ausgefallen sein. Des weiteren hebt uns unser ausgezeichnetes Preis-Leistungsverhältnis und unsere guten City-Standorte von der Konkurrenz ab.
Was sind die nächsten grossen Pläne mit Visionapartments?
Wir haben Acomodeo gekauft, eine Art Airbnb für Business-Leute. Diese Plattform wollen wir ausbauen. Zudem haben wir ein Herrenhaus etwas ausserhalb von Bukarest übernommen, welches in eine Food-Fabrik umgewandelt wird. Das Ziel davon ist, unsere «Jar-Food»-Produktion auszuweiten. Die Weck-Gläser enthalten leckere vorgekochte Gerichte, welche frisch und natürlich hergestellt sind. Diese werden nicht nur an unsere Mieter:innen direkt in den Gebäuden, sondern auch über unseren Onlineshop verkauft.
Allgemein steht weiterhin die Expansion in Zentrum. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, sowohl im In- als auch im Ausland weiter zu wachsen. Im Fokus stehen Ballungszentren in europäischen Business-Destinationen. Neben dem Kaufen von eigenen Gebäuden, sind wir sehr an Management-Verträgen sowie auch Franchising interessiert. Weiterhin spielen bei der Expansion auch unsere weltweiten Sales Offices eine grosse Rolle.
Ein weiteres neues Projekt ist «Vision City». Ich würde es als kleine Stadt in einem Haus beschreiben. Also ein Haus in dem alltägliche Servicedienstleistungen angeboten werden. Gerade für das Senior:innenwohnen ist diese Idee spannend. Ich kann mir zudem vorstellen, in Rumänien, wo ich aktuell lebe, in diesen Häusern Schulen zu integrieren und so gute Bildung auch ausserhalb der Zentren anzubieten.
03. Juni 2022