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Zu viel wollen sollen

Die Sorgenliste von Aktivist:innen passt längst nicht mehr auf ein einziges Poster: Klimawandel, Flüchtlingskrisen, Rassismus und eine Pandemie, die Verschwörungstheorien aufleben lässt. Viele Baustellen, wenig Erfolge. Die Gefahr: Aktivismus-Burnout. Aber was ist das eigentlich?

Von Carla Reinhard

Beginnen wir ganz von vorne: Aktivismus ist per Definition anstrengend. Der Philosoph Karl Popper definierte ihn so: «Die Neigung zur Aktivität und die Abneigung gegen jede Haltung des passiven Hinnehmens.» Passives Hinnehmen liegt für Aktivist:innen also nicht drin. Vielmehr kämpft man laufend, um den Status quo zu verändern und die Gesellschaft einen Schritt weiter zu bringen. 

Während dieser Kampf schon immer anstrengend war, hat sich in den letzen Jahren doch einiges verändert. Erstens: Wir erfahren durch unsere Smartphones in Sofortzeit von Problemen, denen wir uns auch noch widmen sollten. Wächst die Sorgenliste weiter und weiter, fördert das unsere Hilflosigkeit: Gibt es überhaupt noch Hoffnung? Bringt unsere Wut überhaupt etwas? Das Phänomen ist unter Compassion Fatigue bekannt.

Zweitens: Social Media ist ein nützliches Vernetzungs- und Motivationstool unter Aktivist:innen. Nur: Es schafft auch viel Druck, wie wir alle aus eigener Erfahrung wissen. Druck, einen trainierten Körper zu haben. Druck, in wunderschönen Hotels abzuhängen. Oder eben: Druck, eine bessere Aktivistin zu sein. Sieht man dauernd, wie viel andere kämpfen und erreichen, will man nachziehen: Hätte ich nicht auch an dieser Demonstration sein, eigene Flyer drucken, einen Stammtisch organisieren sollen? 

Diese Mischung aus schlechtem Gewissen und FOMO ist nicht neu, denn Aktivismus definierte sich schon immer durch Selbstlosigkeit. Gönnt man sich einen seltenen ruhigen Abend, sieht man in Echtzeit den Einsatz der Anderen. Und noch viel wichtiger: Diskriminierte Gruppen können sich schlicht keine Pause leisten, weil die Probleme zu erdrückend sind. Das macht es schwierig, ab und zu wirklich abzuschalten, obwohl genau das wichtig wäre, um einem Aktivismus-Burnout vorzubeugen.

Der Ausdruck Aktivismus-Burnout existiert schon länger, wurde jedoch mit der Black-Lives-Matter-Bewegung und den Klimaprotesten wieder hochaktuell. Ein Burnout ist das Resultat von chronischem Stress. Es wird charakterisiert durch emotionale Erschöpfung mit Kraft- und Freudlosigkeit. Was wir sonst in Verbindung mit dem Arbeitsplatz kennen, kann auch beim Aktivismus passieren. Sich in unserer «Always-on-Gesellschaft» für eine bessere Welt einzusetzen, eine grosse Last zu tragen und dauernd selbstlos zu sein, nagt an den Kräften. Besonders, wenn man das Licht am Ende des Tunnels nicht sieht – die nächste negative Notification kommt bestimmt.

Was also kann man machen, um nicht auszubrennen? In einem Factsheet zu Aktivismus-Burnout nennt die Organisation Amnesty International einige Tipps: 

  • Pause machen: Ein Tipp, der auf der Hand liegt, aber nicht immer einfach umzusetzen ist. Selbstfürsorge ist aber der Schlüssel dazu, sich wieder für andere einsetzen zu können.
  • Das Hirn anderweitig beschäftigen: Ein neues Hobby hilft, sich auch mal von der Sorgenliste abzulenken. Dort gibt es auch die Erfolgsmomente, die im Aktivismus manchmal viel zu lange auf sich warten lassen.
  • Sprich darüber: Rede mit deinem Umfeld über die Gefühle von Compassion Fatigue oder Aktivismus-Burnout. Das hilft, sich weniger isoliert zu fühlen.

Falls du dich auf irgendeine Art für eine bessere und fairere Welt engagierst: Danke. Und trage Sorge zu dir.

Disclaimer: Die Autorin ist keine medizinische Expertin. Wenn du mit jemandem ausserhalb deines Umfeldes über belastende Gefühle sprechen möchtest, gibt es in der Schweiz verschiedene niederschwellige Angebote, zum Beispiel Die Dargebotene Hand.

15. November 2021

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