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Abriss in Sicht: Wie lebt es sich in einem Haus mit Verfallsdatum?

In den vier Wänden, die schon nächstes Jahr komplett platt gemacht werden, fühle ich mich zuhause. Dem Bagger ist das egal, er wird am Ende der abgewohnten Zeit nur seinen Job machen. Trotz der Frist bin ich eingezogen. Warum? Weil wir alle das Wohnraumproblem in der Schweiz kennen und wo sonst könnte ich mich künstlerisch so austoben wie hier?

Von Janine Friedrich

Noch mache ich mir keine allzu grossen Gedanken, ob ich nächstes Jahr etwas Neues finden werde. Dann, wenn ich und alle anderen Bewohner*innen der acht Häuser aus meiner Genossenschaftssiedlung gleichzeitig nach Wohnungen suchen werden. Als sei der Kampf um Wohnraum nicht schon Challenge genug. Doch es hat ja bis jetzt immer alles geklappt, auch wenn es manchmal knapp wurde. Deshalb: Warum nicht einfach vertrauen, es abgeben und daran glauben, dass zum gegebenen Zeitpunkt die perfekte Lösung um die Ecke kommt? Ich versuchs mal damit. Und in der Zwischenzeit ist die einzige Frage, die ich mir stelle, diese hier: Kann ich bitte, wenn es so weit ist, die Türen mitnehmen? Ich hab sie alle so schön bemalt. Da steckt was drin. Oder dran. Liebe halt. Und jede Menge Acrylfarbe. Und sollte ich dann wirklich keine Wohnung finden, so habe ich wenigstens mehrere Türen, die sich öffnen können.

Mein anfänglicher Enthusiasmus, es mir in der Wohnung so gemütlich wie möglich zu machen, wich nun nach fünf Monaten einem: Naja, reicht eigentlich. Ist doch gemütlich genug. Viele Blumentöpfe sind doch noch leer und haben wohl ihre Bestimmung verfehlt, dank mir. Mittlerweile glaub ich mir das «Kommt noch!» ja selbst nicht mehr. Scheinbar ist doch schon die anfängliche Endzeitstimmung da und ich weiss: Alles, was ich mir jetzt zusätzlich anschaffe, muss ich dann auch wieder zügeln. Da ist mein Minimalismus-Approach schon viel praktischer. Mit dem Zügeln an sich habe ich auch gar kein Problem und auch nicht mit dem Mich-Wieder-Neu-Einleben. Wie oft ich das schon gemacht hab. Easy! Ich fühle mich so gut wie überall zuhause. Das Problem ist die Suche und noch viel mehr die viel zu wenigen Suchergebnisse, wenn ich meine Filter reinhaue und mich an meinen Ansprüchen entlanghangele.

Bild von Janine Friedrich

Viele in unserer Genossenschaft fangen jetzt schon an, aktiv zu suchen, was mich letztens kurz überrascht hat. Bin ich doch zu gechillt? Die Stimmung in der Siedlung schwankt irgendwo zwischen Unsicherheit und Traurigkeit. Der Abriss und das kollektive Gefühl «Kein Bock wegzuziehen» wird immer wieder zum Thema. Gleichzeitig machen aber alle einfach das Beste daraus und das Unausweichliche wird so oft es geht ausgeblendet. Ändern können wir es sowieso nicht; Wir werden uns sicher nicht an den Fussboden kleben oder an die Bäume im Garten binden. Oh Mann, die Bäume. Die haben noch schlechtere Karten als wir Bewohner*innen. Sie wissen nicht mal etwas von ihrem nahenden Tod.

Gerade kommt mir der Gedanke, dass dieser Wohnraum mit Ablaufdatum eine ganz gute Anekdote für unsere geliehene Zeit hier auf Erden ist. Wir sind auf diesem Planeten nur für eine kurze Zeit zur Untermiete. Verglichen mit der Ewigkeit ist das nix. Ausserdem bleiben nach dem Ablaufdatum alle irdischen und materiellen Reichtümer hier, wir nehmen davon nichts mit. Also, was will ich eigentlich mit den alten Türen? Vielleicht reicht es ja, den geistigen Wert, den sie für mich haben, einfach in Erinnerung zu behalten. Erinnerungen muss ich ja zum Glück nicht in Kisten packen, sonst würde das mit dem minimalistischen Umzug gar nicht aufgehen.

Ein bisschen sentimental werde ich trotzdem, wenn ich daran denke, dass diese Häuser mit ihrem ganzen Charme bald sterilen Neubauten weichen müssen. So schade! Der Vibe wird einfach mit abgerissen. Die Wände – Zeitzeugen von Millionen von Gesprächen – werden begraben. Ich werde vor allem den Gasherd vermissen. Sein ursprünglicher Geruch vom offenen Feuer erinnert mich an meine Zeit in Australien. Wo findet man sowas heute noch? Ich will keine Induktion. Diese alten Häuser sind lebendig, gefüllt mit Geschichten, Spuren, Autogrammen von Vormieter*innen. Die Neubauten hingegen kommen dann irgendwie ohne Seele daher. All die Versprechungen von modernen Lebensräumen haben nicht dieselbe Magie, sondern eher etwas von Massenabfertigung. Aber gut. Ich habe noch nie einer Wohnung nachgetrauert. Das waren alles Kapitel. Und jetzt merke ich zudem, dass es gar keinen Sinn macht, alte Türen für ein neues Kapitel zu öffnen. Da muss ich schon neue Türen aufmachen. Vielleicht kann ich die ja dann wieder bemalen.

Die Erkenntnis fühlt sich gerade erleichternd an. Und jetzt mache ich mir ein Suchabo für meine zukünftige Wohnung. 

13. März 2025

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